Dinslaken/Oberhausen. Zwei Jahre nach der Machtübernahme der Taliban bringt Dr. Marouf neun genesene Kinder nach Afghanistan. Für den Arzt ein ganz besonderer Einsatz.
Ein wichtiger Termin im Friedensdorfkalender ist der Gedenktag an die Atombombenabwürfe in Hiroshima und Nagasaki auf dem Oberhausener Friedensplatz. An diesem Tag lauscht ein afghanischer Arzt aufmerksam den nachdenklich stimmenden und friedensorientierten Beiträgen der Rednerinnen und Redner. Dr. Marouf hilft seit über drei Jahrzehnten in Kabul dem Friedensdorf-Team bei der Auswahl der kranken und verletzten Kinder für eine medizinische Versorgung in Deutschland. Jetzt, zwei Jahre nach der Machtübernahme durch die Taliban, reiste Dr. Marouf mit neun genesenen Kindern zurück in das Land am Hindukusch.
Seit 1978 kommt sein Land Afghanistan nicht zur Ruhe. Niemand der Anwesenden weiß besser als Dr. Marouf, wie sich Krieg anfühlt, welche Folgen er hat und was er mit den Menschen macht. Auch mit ihm. Die dramatischen Szenen, die sich vor zwei Jahren bei der Machtübernahme der Taliban am Kabuler Flughafen abgespielt haben, kann er nicht vergessen. Hautnah hat er gemeinsam mit dem Friedensdorf-Team Birgit Hellmuth, NRZ-Politikchef Jan Jessen und Claudia Peppmüller die rasante Machtübernahme der Taliban in der afghanischen Hauptstadt verfolgt.
Sogar die Brunnen in Kabul versiegen
Zum zweiten Mal erlebt er, wie die internationalen Wirtschaftssanktionen die Menschen an den Rand ihrer Existenz bringen. „Wir leben in großen Familien. Unsere Kinder sind unsere Altersabsicherung. Arbeitsplätze gibt es kaum noch und somit auch kein Geld, um die Miete zu bezahlen, Essen oder Medizin zu kaufen“, fasst der 64-jährige die Situation zusammen. Erstmalig musste er als Alleinverdiener sogar zusätzlich Wasser für seine achtköpfige Familie kaufen, da die Brunnen Kabuls versiegen.
Die Partnerorganisation von Friedensdorf International, der „Afghanische Rote Halbmond“, bestätigt seine Schilderung. Der „Rote Halbmond“ betreibt drei „Marastoons“. Das sind Heime, in denen alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern auf Zeit versorgt werden. Und täglich werden es mehr, die aufgenommen werden möchten. Normalerweise wären sie im Todesfall ihrer Männer bei ihren Familien untergekommen. Doch diese haben kein Geld, um sie zu ernähren. Im schlimmsten Fall haben die Familien selbst bei einer der vielen Naturkatastrophen im Land ihr ohnehin weniges Hab und Gut verloren.
Selbst Verbände sind zum Luxusgut geworden
Seit 1988 liegt der Fokus der Kinderhilfsorganisation Friedensdorf International in Afghanistan auf der medizinischen Einzelfallhilfe – und diese ist auch bitter nötig. Beim letzten Hilfseinsatz im März hat sich gezeigt, dass selbst Verbände zum Luxusgut geworden sind. Viele Kinder leiden unter Knochenentzündungen. Oft sind diese so weit fortgeschritten, dass die Knochen freiliegen – nur bedeckt vom Kopftuch der Mutter.
„Wir sind allen Kliniken so dankbar, dass sie trotz ihrer eigenen Existenzsorgen unsere Hilfe unterstützen und alles möglich machen, um einem dieser verletzten Mädchen oder Jungen zu helfen“, erklärt Friedensdorf-Leiterin Birgit Stifter. Angesichts der dramatischen Zustände hat auch Friedensdorf International seine Hilfe für Afghanistan in den letzten zwei Jahren ausgeweitet. Mehrfach wurden bereits Lebensmittel-Lieferungen geschickt.
Es geht um die Basisversorgung
Erst am vergangenen Wochenende ist beim „Afghanischen Roten Halbmond“ eine vom Friedensdorf finanzierte Lieferung mit Medikamenten angekommen, darin vor allem die dringend benötigten Schmerzmittel. Es geht darum, eine Basisversorgung zu ermöglichen – mit Medikamenten und auch mit Trinkwasser. „Inzwischen haben wir in den letzten zwei Jahren rund 2,7 Milllionen Euro für Lebensmittel und Strukturhilfen zur Verfügung gestellt. Damit haben wir auch Arbeitsplätze sichern können. Eigentlich müsste man in Afghanistan viel mehr helfen. Leider müssen wir die Hilfe unserer Spendensituation anpassen“, fügt Birgit Stifter hinzu. Dr. Marouf weiß, wie wichtig, diese einzelnen Maßnahmen sind, auch wenn sie sein Land in Gänze nicht retten können. Beim Abflug am Donnerstag hatte er einen großen Wunsch im Gepäck: „Frieden und Gerechtigkeit für alle“.