Essen. Am Freitag erscheint das neue Album der Rock-Legende Alice Cooper. Die Platte „Road“ klingt wie er selbst: sehr vital, forsch und voller Energie.

Ganz alte Schule: Zur verabredeten Zeit meldet sich die Assistentin von Alice Cooper (75) telefonisch und verbindet Steffen Rüth mit dem sogenannten Schockrocker, der natürlich kein bisschen schockt, sondern während des folgenden Gesprächs einen äußerst eloquenten und empathischen Eindruck macht. Der Anlass für die Unterhaltung ist „Road“, das ungemein vital und forsch klingende neue Album, das am Freitag erscheint: Coopers zweiundzwanzigste Soloplatte.

Alice, Sie haben den Sommer mit den Hollywood Vampires auf Tournee in Europa verbracht – stimmt es, dass Ihre Frau Sheryl Sie stets begleitet?

Cooper: Korrekt. Wir sind seit 47 Jahren verheiratet, Eltern von drei großartigen, längst erwachsenen Kindern, stolze Großeltern. Ich bin mit einem gesunden Wertesystem großgeworden. Meine Eltern haben immer zu mir gesagt: „Heirate die Person, die du wirklich liebst. Und die dich genauso liebt wie du sie“. Daran haben wir uns beide gehalten.

War das mit der Treue je eine Herausforderung?

Nicht für mich. Ich denke, für meine Frau auch nicht. Wir haben eine Art Pakt geschlossen, dass wir uns niemals betrügen oder wehtun wollen. Die fast etwas langweilige Wahrheit ist, dass wir einfach wahnsinnig gerne zusammen sind.

Sie nehmen sich nach wie vor Zeit für richtige Dates, nicht wahr?

Ja, voll und ganz. Wir haben das immer so gemacht, auch als die Kinder noch klein waren. Du musst regelmäßig was Schönes zu zweit unternehmen. Auf Tournee zu sein, ist immer so etwas wie eine kleine Hochzeitsreise. Sicher, ich arbeite an den Abenden, aber tagsüber haben wir Zeit, um uns umzuschauen und gemeinsam Sachen zu machen.

Wer von Ihnen steht morgens früher auf – Sie oder Ihre Frau?

Ich! Um Längen. Ich bin um fünf Uhr morgens munter. Meine Frau verlässt in der Regel erst das Bett, wenn ich von meiner Golfrunde heimkomme.

Mit „Road“ haben Sie ja dem tourenden Musikerleben als solchem ein Denkmal gesetzt. Welche Idee steckt dahinter?

Jeder in der Band hat mindestens einen Song beigetragen, der es auf die Platte geschafft hat. Wir alle hatten heftig Lust, ein lautes und sehr gitarrenintensives Album zu machen. Hör‘ dir mal „White Line Frankenstein“ an, dieses gigantische, riesenfette Brett von einem Song, auf dem auch noch unser Freund Tom Morello mitspielt. Oder „Dead Don’t Dance“. So einen geilen Groove hörst du unter Garantie nicht jeden Tag.

Es gibt auf „Road“ ein paar ernsthafte Songs, etwa die Country-Ballade „Baby Please Don’t Go“ über Sehnsucht und Heimweh, die allermeisten der Lieder sind aber ziemlich heiter und lustig. Oder auch mal ein wenig zweideutig, so wie „Big Boots“.

Ironie ist eine echte Grundzutat meiner Kunst. Nicht zuletzt die Selbstironie. Meine Musik hat nicht den Anspruch, das politische Geschehen abzubilden oder sich ernsthaft in irgendwelche gesellschaftlichen Diskussionen einzuschalten. Ich stand immer in der Mitte, bin weder besonders progressiv, noch besonders konservativ. Gegen mehr Diversität, mehr Fairness und mehr Toleranz gibt es überhaupt nichts einzuwenden, aber manche Diskussionen kippen auch schon mal ins Alberne. In den meisten Fällen ist ein Kerl immer noch ein Kerl und eine Lady ist immer noch eine Lady. Ich finde, es wäre für alle von uns gut, wenn wir uns in unseren Debatten nicht immer so verbeißen würden, sondern vieles auch mal etwas lockerer nehmen könnten.

Sie haben ohnehin den Ruf, ein extrem umgänglicher Zeitgenosse zu sein.

Es bringt dich nicht weiter, ein Stinkstiefel zu sein. Ich fand es nie attraktiv, auf andere herabzublicken oder einen auf Rockstar zu machen. Ich halte sehr viel von Wertschätzung und von Empathie. Alle am Gelingen einer Show oder eines Albums Beteiligten sollen das Gefühl haben, dass ohne sie nichts geht. Der Kerl, der auf der Bühne die Kabel verlegt oder das Mädel, das den Kühlschrank hinter der Bühne auffüllt, verdienen denselben Respekt wie der Kerl, der vorne steht und seine Show abzieht.

Was haben Sie denn hinter der Bühne immer im Kühlschrank?

Nicht viel. Ich brauche eh nur Cola Light. Chips und solche Sachen machen mich überhaupt nicht an. Vor einer Show esse ich gar nichts. Ich war in meiner Jugend Mittel- und Langstreckenläufer, wir haben schon damals vor dem 3000-Meter-Lauf nichts gegessen. Und das habe ich bis heute so übernommen. Auf der Bühne will ich hungrig sein, im übertragenen wie im wörtlichen Sinne.

Und anschließend hauen Sie dann so richtig rein?

Auch nicht. Ich verliere während einer Tournee immer Gewicht. Die mit Abstand wichtigste Mahlzeit ist für mich das Frühstück. Da schlage ich ordentlich zu. Mittags gibt es nur was Kleines, und abends vielleicht einen Salat oder ein Müsli. Nach dem Konzert steht hinter der Bühne wirklich überall und immerzu Pizza herum. Die rühre ich erst gar nicht an.

Sie achten echt auf Ihre Gesundheit.

Das muss sein. In meinem Alter kannst du es dir nicht erlauben, nachlässig mit deinem Körper umzugehen. Er verzeiht es dir einfach nicht mehr. Als ich ein junger Mann war, hätte ich nicht für möglich gehalten, dass ich diesen Beruf so lange ausübe. Ich konnte mir nicht mal vorstellen, mit 30 noch zu rocken.

Die Liste Ihrer Kolleginnen und Kollegen, die ihren dreißigsten Geburtstag erst gar nicht erlebten, ist sehr lang.

Richtig, das ist sie. Ich hatte Glück, dass es mich nicht aus der Kurve getragen hat. Früher, in den Siebzigern und Achtzigern, kam ich von einer Tournee nach Hause und war so kaputt, dass ich eigentlich sofort ins Krankenhaus gehört hätte.

Sie unterstützen Kollegen dabei, nüchtern zu werden und nüchtern zu leben?

Ich habe mich mit einer Reihe von sogenannten Rockstars getroffen, weil sie sich an mich wandten und mir sagten, dass sie ein Problem haben. Das ist bereits ein riesengroßer Schritt. Denn, wenn du deinen Zustand nicht länger ignorierst, verleugnest oder schönredest, dann möchtest du ihn auch ändern. Ich war lange genug selbst drogen- und alkoholabhängig, so dass ich mir eine gewisse Expertise zugestehen möchte. Ich bin wohl eine Art Vorbild. Viele denken, wenn selbst Alice Cooper heute clean und nüchtern ist, einer der schlimmsten von allen, dann können auch sie mit dem Mist aufhören.

Fehlt Ihnen der Rausch manchmal?

Nein. Was ich gewonnen habe, ist so viel wertvoller als das, was ich aufgegeben habe: ein langes Leben mit wunderbaren Menschen an meiner Seite und eine lange Karriere. Von der ich immer noch nicht die Nase voll habe. An einem Rentnerleben reizt mich nichts. Golf spiele ich sowieso schon genug (lacht).