Hagen. Immer mehr Hausbesitzer wollen Strom vom eigenen Dach. In NRW hat sich der Zubau 2023 bereits verdoppelt. Wo in Südwestfalen investiert wird.

Nordrhein-Westfalen erlebt einen Solarboom. Was schon im vergangenen Jahr begonnen hatte, setzt sich fort. In NRW wird der Neubau von PV-Anlagen vor allem angetrieben von Privatinvestitionen. Ablesbar ist dies an den Zahlen der Bundesnetzagentur, bei der die Anlagen angemeldet werden müssen. Ergebnis: Schon nach einem Dreivierteljahr hat sich die Zahl gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Auch in Südwestfalen stehen interessierte Hausbesitzer Schlange. Allerdings ist die Nachfrage nicht überall gleich stark. Begrenzt wird die Realisierung von der Zahl der Fachleute, die die Anlagen anschließen dürfen. Laut des Zentralverbands Elektrotechnischer Handwerke (ZVEH) sind bundesweit bereits die Hälfte der Betriebe im Geschäft mit der Installation von PV-Anlagen.

Neue Anlagen in NRW

In Nordrhein-Westfalen wurden in diesem Jahr bis Ende September bereits 168.220 Anlagen neu installiert.

Die meisten sind PV-Anlagen auf Dächern von Eigenheimen, aber auch viele Steckersolaranlagen (Balkonkraftwerke) zählen dazu. Allerdings nur sehr wenige große Freiflächen-Anlagen. „Es besteht eine Pflicht, jede Anlage anzumelden. Das tun viele Menschen aber nicht, die sich eine Balkonsolaranlage zulegen – teils wissen sie es nicht, teils ist es ihnen zu kompliziert. Es gibt Branchenschätzungen, dass nur 25 Prozent der Balkonsolaranlagen angemeldet sind – entsprechend müsste man die Zahlen hochrechnen“, sagt Johannes Kempen, Experte des Landesverbands Erneuerbare Energien (LEE). Die tatsächliche Zahl neuer Anlagen liegt also noch höher. Da die Balkonkraftwerke aber im Schnitt wenig Strom erzeugen, wird der Ertrag der bisher neu installierten Anlagen nicht viel höher liegen als von der Netzagentur angegeben. Für 2023 beträgt dieser bereits rund 1620 Megawatt (MW) gegenüber 950 MW im gesamten Jahr 2022.

Neue Anlagen in Südwestfalen

In Südwestfalen wurden seit Januar (bis 26. Oktober) bereits 22.785 Anlagen neu installiert.

Knapp 7000 davon waren Balkonkraftwerke, die auch angemeldet wurden. An der Spitze beim Ausbau liegt der Kreis Soest mit 5189 neuen Anlagen, davon 1180 Balkonkraftwerke (BKW). Bei der Zahl der Anlagen folgt der Märkische Kreis mit 4347 und dem Spitzenwert bei den kleinen BKW mit 1644. Ähnlich viele Anlagen wurden im Hochsauerlandkreis (HSK) neu installiert: 4155, davon 1234 BKW. Weil also mehr „echte“ PV-Anlagen gebaut wurden, ist die zugebaute Leistung unter dem Strich sogar höher als im Märkischen Kreis. Dem HSK folgt der Kreis Siegen-Wittgenstein mit 3263 (1030 BKW) Anlagen vor dem Ennepe-Ruhr-Kreis mit 2656 (1013) und dem Kreis Olpe mit 2234 (461). Schlusslicht ist die kreisfreie Stadt Hagen mit 931 (363), obwohl es hier für Balkonkraftwerke sogar ein städtische Förder-(Kurz-)Programm gab.

Wo es noch hakt

Bei Freiflächenanlagen hinkt Südwestfalen – wie NRW insgesamt – stark hinterher. Nur eine neue Anlage im Märkischen Kreis und eine im Kreis Soest sind tatsächlich Freiflächenanlagen. Alle anderen bei der Netzagentur registrierten seien fehlerhafte Angaben, etwa Module, die „frei“ in Gärten aufgestellt wurden. „Das sind aber keine Freiflächenanlagen“, sagt Kempen. Hier sieht der Verband noch enormes Potenzial, etwa entlang von Autobahnen und Schienentrassen. Bundesländer wie Schleswig-Holstein seien hier viel weiter, sagt der Landesverband Erneuerbare Energien.

Worauf es beim Kauf einer PV-Anlage ankommt

Die enorme Nachfrage ruft erstaunlich viele potenzielle Anbieter auf den Plan. Mit PV-Anlagen ist gerade ein gutes Geschäft zu machen. Nicht alle Angebote dürften gleich seriös sein. Mehrere Angebote einzuholen ist, wie bei allen größeren Investitionen, auf jeden Fall ratsam. Die Anlage sollte auf jeden Fall genau auf den tatsächlichen und auch zukünftigen Bedarf abgestimmt sein, rät der Experte Frank Lefarth, Obermeister der Elektroinnung im Hochsauerlandkreis. Lefarth arbeitet mit Dachdeckern aus der Region zusammen und ist als heimischer Fachmann bei Problemen vor Ort erreichbar – im Gegensatz zu Firmen, die bundesweit agieren. „Man sollte sich auf jeden Fall nach Installation der Anlage noch bei einem Bier an der Theke treffen können und gemeinsam Spaß an der Anlage haben“, findet Lefarth. Ein bis zwei Wochen müssen seine Kunden allein für die Erstellung eines Angebots in Kauf nehmen. Dafür schaut der Elektromeister aber auch darauf, ob die Leitungen im Haus für die Anforderungen überhaupt genügen. Manche ältere Elektroinstallation macht nämlich schlapp, wenn das E-Auto in der Garage über Stunden geladen werden soll. „Ein Fachmann sollte schauen, ob die Verteilung für stundenlangen Dauerstrom noch geeignet ist“, sagt Lefarth. Wenn nicht, ist eine neue Hausinstallation fällig. Überhaupt liegt der Teufel im Detail: Lockt ein günstiges Solarpaket mit Modulen, Wechselrichter und Wallbox, bleibt die Frage, sind die „Nebenkosten“ wie Verdrahtung, Zählerinstallation oder auch ein Gerüst mit im Preis enthalten? Eine gute Checkliste bietet die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen auf ihrer Seite www.verbraucherzentrale.nrw unter dem Stichwort „Photovoltaik“.

Ändert sich die Nachfrage?

Der Zentralverband Elektrotechnischer Handwerke geht davon aus, dass die Nachfrage anhält, ja sogar weiter steigen wird. „Derzeit liegt der Zubau über dem Plan der Bundesregierung, die für 2023 ein Ziel von neun Gigawatt ausgegeben hat. Allerdings soll der PV-Zubau nun bis 2026 auf 22 Gigawatt pro Jahr steigen. Das würde auch gegenüber diesem Jahr noch einmal eine deutliche Steigerung bedeuten. Es ist aber, bedenkt man die Dynamik, die aktuell herrscht, absolut realistisch“, heißt es vom ZVEH. Und dies ganz unabhängig von Sonderförderprogrammen, wie Bundesverkehrsminister Volker Wissing vor einem Monat eines unter das Volk brachte. 300 Millionen Euro Förderung für eine Kombination von PV-Anlage, Wallbox und Elektroauto waren am Ende innerhalb von 24 Stunden ausgeschöpft. Gerade einmal 33.000 Haushalte profitierten mit jeweils bis zu gut 10.000 Euro. Experten führen den leichten Knick beim Zubau im August und September dieses Jahres auf diese „Fehlförderung“ zurück. Im kommenden Jahr sollen noch einmal 200 Millionen Euro auf gleiche Weise ausgeschüttet werden. Unabhängig von dieser Förder-Lotterie scheint der Anreiz zum Erwerb einer PV-Anlage aus Sicht vieler Haushalte angesichts weiter hoher Energiepreise ohnehin gegeben zu sein.