Potsdam. In Umfragen auf der Kippe, Koalitionsoptionen beraubt: Die FDP versucht auf dem Bundesparteitag die Flucht nach vorne – und stellt Bedingungen.
Christian Lindner ist noch gar nicht da, da scheint es schon so, als wolle er seinen Parteifreunden nochmal einschärfen, worum es geht. Vor der Potsdamer Metropolishalle hängen an diesem Sonntag vier Plakate des FDP-Parteichefs. Die ersten drei zeigen Lindners Gesicht in Schwarz-Weiß. Auf dem letzten, kurz vor dem Eingang, ist hingegen nur Lindners Augenpartie zu sehen. Fokussiert und wohl auch zuversichtlich – so sieht sich der FDP-Parteichef und Spitzenkandidat bekanntlich auch selbst gerne.
Den Blick schärfen in der Endphase des Bundestagswahlkamps, das in den Fokus nehmen, was man erreichen will. Für Lindner und seine FDP geht es in den kommenden zwei Wochen um alles. Scheitert seine Partei an der Fünf-Prozent-Hürde, scheitert auch er selbst. Man stehe in „Umfragen auf der Kippe“, sagt Lindner später selbst auf der Bühne. Deswegen stellt sich für die FDP auch die Frage, ob es am 23. Februar ein Happy End geben wird – so wie im Film.
Lindner: „Alles lässt sich ändern“ – filmreifer Auftritt in der Film-Stadt
Lindners FDP hat für den außerordentlichen Bundesparteitag einen Ort mit Geschichte gewählt. Unweit der Metropolishalle auf dem Gelände der Filmstudios Babelsberg entstand vor gut 100 Jahren der deutsche Stummfilm Metropolis. Der gilt als Klassiker, floppte aber an den Kinokassen. In der Halle geht es zunächst alles andere als stumm zu.
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Von der Hallendecke blitzt es grell, die Bässe wummern so laut, dass man kaum versteht, was da so in anpeitschenden Worten aus den Lautsprechern hallt. Man kann es aber zumindest teilweise nachlesen: „Alles lässt sich ändern“ – der Spruch steht auf fast deckenhohen Banderolen, die links und rechts der Bühne hängen.
Lindner: Zweifel daran, wie geschlossen die Partei noch hinter ihrem Chef steht
Lindner selbst sitzt da zunächst. Fast scheint es so, als würde er noch mal Kräfte sammeln für den Befreiungsschlag. Während der FDP-Parteivize Wolfgang Kubicki spricht, klatscht Lindner auch mal. Die FDP sei zwar auf alles gefasst, sagt Kubicki, aber er persönlich glaube, dass sich am Wahlabend einige wundern werden. Da muss auch Lindner kurz lächeln.
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Nicht nur die mauen Umfragewerte trüben derzeit die Stimmung in der Partei. Zuletzt offenbarte auch das Abstimmungsverhalten zur Migrationspolitik im Bundestag Risse innerhalb der FDP. Prominente Abweichler wie der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Johannes Vogel, versichern zwar, dass man sich innerparteilich in der Sache einig sei. Mit der AfD abstimmen wollte Vogel aber nicht. Man kann das als Niederlage für Lindner interpretieren, der es nicht fertiggebracht hatte, seine Leute bei dieser richtungsweisenden Entscheidung hinter sich zu versammeln. Kinoreife Auseinandersetzungen bekommt man auf dem Parteitag in Potsdam aber nicht zu sehen.
Lindner schießt gegen Habeck: „Wächst der Frust, nicht die Wirtschaft“
Linder spricht darüber in seiner Rede auf dem Parteitag auch lieber nicht. Man habe ja noch mal einen Versuch für einen Migrationspakt aus der Mitte gemacht. SPD und Grüne hätten sich diesem jedoch verweigert, bemängelt Lindner, der im weiteren Verlauf ganz auf Wahlkampf schaltet. Da bekommt jeder etwas ab: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wirft er „fehlende sittliche Reife“ vor, weil dieser deutsche Rentner und Waffenhilfe für die Ukraine gegeneinander ausgespielt habe.
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In der Wirtschaftspolitik des zuständigen Bundesministers Robert Habeck (Grüne) sieht er ein Standortrisiko. „Robert Habeck ist die größte Wachstumsbremse in unserem Land. Bei Robert Habeck wächst nur der Frust und nicht die Wirtschaft“, ruft Lindner ins Mirko. Das erfreut die liberale Seele in der Parteitagshalle, erstmals bricht lauterer Applaus aus.
Merz‘ Wahlaufruf als Stimmungskiller? Lindner kontert
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) hatte kürzlich in einem Interview mit dieser Redaktion für Störfeuer gesorgt. Stimmen für die FDP könnten „verlorene Stimmen“ sein, so Merz. Und weiter: „Vier Prozent sind vier Prozent zu viel für die FDP und vier Prozent zu wenig für die Union.“ Lindner nimmt das zum Anlass, groß auszuholen. Merz wolle Kanzler werden und sei dafür bereit, den Politikwechsel zu opfern. Merz sehe die Grünen als potenzielle Partner, die FDP tue das nicht. Dann sagt Lindner etwas, das dafür sorgt, dass sich viele Liberale von ihren Stühlen erheben.
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„Die entscheidende Frage ist Wachstum oder Stagnation. Die entscheidende Frage ist Freiheit oder Staat. Die entscheidende Frage ist Lindner oder Habeck. Das ist die entscheidende Frage dieses Wahlkampfs“, ruft der FDP-Chef, der damit vor allem klarmachen will: Je mehr Parteien – und damit auch die FDP – in den Bundestag einziehen, desto wahrscheinlicher, dass eine Dreier-Koalition mit der FDP die nächste Bundesregierung bilden wird. Die Liberalen selbst schlossen am Sonntag per Beschluss eine Zusammenarbeit mit den Grünen aus. Lindners Credo: Wer FDP wählt, verhindert somit auch, dass die Grünen erneut in Regierungsverantwortung kommen.
Schafft die Partei keine fünf Prozent könnte es das gewesen sein – für Lindner
Eine Wende in der Migrations- und Wirtschaftspolitik – aus Sicht Lindners mit den Grünen nicht zu machen. Der Liberale machte schon seit dem Platzen der Ampel kein Geheimnis daraus, wie anstrengend er die zurückliegenden Regierungsjahre mit der Öko-Partei fand. Mit der SPD – und damit einem möglichen Partner für eine schwarz-rot-gelbe Deutschlandkoalition – gebe es hingegen nach wie vor eine Gesprächsbasis. Mit der Union ohnehin. Mit Merz wäre es zwar „betreutes Regieren“, sagt Lindner auch, aber dann doch bitte durch die FDP.
Seine Partei stellte dafür am Sonntag Bedingungen. In dem Wahlaufruf, den die Delegierten beschlossen, findet sich unter anderem der Einstieg in die kapitalgedeckte Altersvorsorge. „Wuchtig“, sagt ein FDP-Mitglied, sei die Rede Lindners gewesen. Man stehe geschlossen zusammen.
Gelten dürfte das zunächst bis zum Abend des 23. Februar. Schafft die FDP da nicht den Sprung ins Parlament, dürfte es das gewesen sein. Für die ganze Partei, befürchten einige sogar. Für Christian Lindner als Vorsitzenden jedoch ganz sicher.
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