Essen. Tarif im öffentlichen Dienst: Verdi fordert acht Prozent und vier freie Tage. Den Revierstädten würde das neue Löcher in die Haushalte reißen.
Dass Krankenpflegerinnen, Feuerwehrleute und Erzieherinnen besser verdienen sollten, unterschreiben die meisten Politikschaffenden fast das ganze Jahr über. Doch in den ersten Monaten des Jahres greift in den Rathäusern eine gewisse Zurückhaltung um sich - wenn eine neue Tarifrunde im öffentlichen Dienst ansteht. An diesem Freitag haben in Potsdam die Verhandlungen für die rund 2,6 Millionen Bediensteten des Bundes und der Kommunen begonnen. In NRW hoffen 640.000 Beschäftigte auf kräftige Lohnerhöhungen und mehr Freizeit. Die Kämmerer eher nicht.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und der Deutsche Beamtenbund (dbb) haben eine Forderung von acht Prozent, mindestens aber 350 Euro mehr im Monat aufgerufen. Ausbildende und Praktikanten sollen 200 Euro mehr erhalten. Darüber hinaus wollen sie drei zusätzliche freie Tage durchsetzen, für Gewerkschaftsmitglieder sogar vier. „Es besteht großer Nachholbedarf. Der Personalabbau der Vergangenheit und der zehrende Fachkräftemangel der Gegenwart belasten die Beschäftigten extrem. Deshalb ist auch die Forderung nach zusätzlichen freien Tagen so wichtig“, erklärt NRW-Landeschefin Gabriele Schmidt.
Gelsenkirchens OB Welge: „Aufgaben der Kommunen so nicht mehr leistbar“
Den Gewerkschaften sitzen Bundesinnenministerin Nancy Faeser und die Gelsenkirchener Oberbürgermeisterin Karin Welge als Präsidentin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) gegenüber. Gemäß ihrer Rollen äußerten sich beide Sozialdemokratinnen im Vorfeld skeptisch über die Höhe der Forderung. Welge rechnete vor, das würde die Kommunen insgesamt 14,88 Milliarden Euro pro Jahr kosten und erklärte: „Das ist schlicht nicht zu stemmen und passt nicht in diese Zeit.“ Faeser betonte, auch die Haushaltslage im Bund sei angespannt.
Gelsenkirchens OB Welge beklagt aber nicht nur die hohe Forderung der Gewerkschaften, sondern auch eine allgemeine Unterfinanzierung der Kommunen. Ihr Defizit habe sich innerhalb eines Jahres verdoppelt, sagte sie vor Beginn der Verhandlungen. Die Aufgaben, die den Kommunen in den vergangenen Jahren durch den Bund „zugewachsen sind“, seien „so nicht mehr leistbar“.
Städte im Ruhrgebiet treffen Tariferhöhungen stets besonders hart
Wenig überraschend gingen die Tarifpartner nach der ersten Verhandlungsrunde ergebnislos auseinander. Das war Volker Geyer, dem Verhandlungsführer des dbb aber genug, bereits Arbeitsniederlegungen anzukündigen: Es werde sicher zu Warnstreiks und Protestaktionen kommen, sagte er anschließend, „Bund und Kommunen lassen uns keine andere Wahl.“
Wie seit Jahrzehnten fürchten die chronisch klammen Ruhrgebietsstädte die Kostensteigerungen durch Tariferhöhungen noch mehr als andere Kommunen. Die Kompromisse treffen sie besonders, weil diese berücksichtigen, dass viele Kommunen in Deutschland Überschüsse erzielen, vor allem in Süddeutschland. Allerdings haben alle Gemeinden zusammen 2023 zum ersten Mal seit 2011 wieder ein Defizit eingefahren. Zwischen Duisburg und Dortmund reicht dagegen seit Jahrzehnten das Geld nicht, um die Städte auch nur instand zuhalten.
Dass gleichzeitig viele Kitas und Kliniken über Personalmangel klagen, bringt die Kommunen in eine Zwickmühle: Höhere Löhne würden diese Berufe attraktiver machen, die städtischen Haushalte aber zusätzlich belasten. Verdi nutzt den Fachkräftemangel seit einiger Zeit auch als Argument für mehr Freizeit, und setzte vor einem Jahr im NRW-Nahverkehr vier zusätzliche freie Tage durch. Nur so könne man mehr Menschen dazu bewegen, in diese Berufe zu gehen. Für die kommunalen Arbeitgeber, aktuell also für Entsorgungsbetriebe, Krankenhäuser, Kitas, Sparkassen, Theater, Feuerwehren und viele mehr würde das zunächst aber noch mehr Lücken in den Dienstplänen bedeuten.
Verdi fordert bis zu vier zusätzliche freie Tage und flexible Zeitkonten
Neben der Lohnforderung dürfte das in dieser Tarifrunde einer der größten Knackpunkte werden. Dazu wollen Verdi und dbb auch ein Recht auf Zeitkonten für die Beschäftigten durchsetzen. Mit diesen sollen sie selbst entscheiden können, ob sie sich Überstunden auszahlen lassen oder lieber weitere freie Tage nehmen.
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Die Debatte, ob es zu wenige oder eher zu viele Staatsbedienstete gibt, heizte unlängst eine Studie des Kölner Wirtschaftsinstituts IW an, der zufolge allein in NRW die Zahl der Beschäftigten von Land und Kommunen binnen zehn Jahren und 120.000 auf 890.000 gestiegen ist. Dies galt überproportional für das Land, doch auch die Kommunen stellten Zehntausende neue Beschäftigte ein, vor allem in Kliniken und Kitas. Dass die meisten Einrichtung trotzdem auch heute über Personalmangel klagen, liegt unter anderem daran, dass etwa die Nachfrage der Eltern nach längeren Betreuungszeiten deutlich gestiegen ist.
Dbb-Verhandlungsführer Volker Geyer erklärte vor der ersten Verhandlungsrunde, bundesweit fehlten dem öffentlichen Dienst aktuell 570 000 Arbeitskräfte. Und das werde sich noch verschlimmern, weil in den kommenden zehn Jahren 1,4 Millionen Beschäftigte in den Ruhestand gehen würden. „Wenn wir die Bezahlung im öffentlichen Dienst nicht deutlich verbessern, riskieren wir in eine existentielle Krise“, warnt Geyer.
Vor zwei Jahren streikten Müllabfuhr, Kitas und viele mehr in den Städten
Die letzte Tarifrunde vor zwei Jahren ging in den Städten mit teils heftigen Warnstreiks einher: Kitas, Bäder und Bibliotheken blieben geschlossen, der Müll tagelang stehen. Nach Geyers Ankündigungen scheint das auch diesmal unvermeidlich. Auch Verdi-Chef Frank Werneke drohte bereits vor dem Auftakt indirekt mit Streiks, sollten die Arbeitgeber sich nicht bewegen sein: „Die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben und Einrichtungen sind hoch motiviert, für ihre Anliegen einzutreten“, betonte er. mit afp