Essen. US-Präsident kündigt Zölle für Europa und China ab 1. Februar an. IG-Metall-Landeschef Giesler: Druck auf Thyssenkrupp & Co. wird noch größer.

Die deutsche Stahlindustrie steckt in einer tiefen Krise fest. Zu dieser Erkenntnis gibt es nun auch die passende Jahresbilanz für 2024: Alle Hersteller in Deutschland haben zusammen nur 37,2 Millionen Tonnen Rohstahl produziert. Das waren zwar fünf Prozent mehr als im noch schwächeren Vorjahr, bleibt aber „auf Rezessionsniveau“, wie die Wirtschaftsvereinigung Stahl betont. Angesichts eines drohenden neuen Handelskriegs zwischen den USA, Europa und China ist der Verband alarmiert, die Gewerkschaft IG Metall ebenfalls.

Hauptgeschäftsführerin Kerstin Maria Rippel fordert niedrigere Energiepreise in Deutschland und von der EU „Schutz vor unfairem Handel“. Dies aktuell vor allem mit Blick auf die vom neuen US-Präsidenten angedrohten Strafzölle. „Spätestens seit dem Trump-Amtsantritt kann sich niemand mehr in der Politik hinter dem Argument der WTO-Kompatibilität verstecken“, sagt die Verbandschefin. Damit spielt sie darauf an, dass Trump sich um die Regeln der Welthandelsorganisation wenig schert.

Trump kündigt Strafzölle auf EU-Waren ab 1. Februar an

Auch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) forderte unlängst, Europa müsse gegenhalten. „Machen wir das nicht, ist europäischer Stahl schnell Geschichte“, sagte sie im Interview mit unserer Redaktion.

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Nachdem Trump am Tag seiner Amtseinführung zunächst nur Strafzölle für Waren aus Kanada und Mexiko angekündigt hatte, legte er tags darauf nach und sagte über die europäischen Handelspartner: „Sie behandeln uns sehr, sehr schlecht. Also werden sie mit Zöllen rechnen müssen.“ Wie hoch sie ausfallen sollen, sagte der Republikaner nicht, als möglichen Stichtag für die Einführung der Zölle nannte er den 1. Februar. Trump knüpft das an seine Forderung an die EU-Staaten, mehr Öl und Gas aus den USA zu kaufen. „Sonst gibt es Zölle ohne Ende“, warnte er auf seiner eigenen Online-Plattform Truth Social.

Die IG Metall ist nicht nur wegen der gegen Europa angedrohten Zölle besorgt, sondern auch wegen der ebenfalls vom neuen US-Präsidenten angekündigten Zollerhöhung auf chinesische Einfuhren. Trump nennt hier zehn Prozent, die auf die bestehenden 25 Prozent draufkämen.

IG-Metall-Chef Giesler: Zölle würden Stahlindustrie unter Druck setzen

„Wenn Trump Zölle gegen China einführt, wird noch mehr Billigstahl aus Asien nach Europa kommen“, sagte Knut Giesler, der NRW-Chef der Gewerkschaft, auf Anfrage unsere Redaktion. In Kombination mit möglichen US-Zöllen auf deutschen Stahl „würde das unsere Stahlindustrie erheblich unter Druck setzen“. Die Politik müsse deshalb dringend handeln, „als ersten Schritt braucht es sofort Maßnahmen für einen wettbewerbsfähigen Strompreis“, so Giesler.

Bereits in seiner ersten Amtszeit hatte Trump Strafzölle gegen EU-Waren verhängen lassen und dabei vor allem Stahlprodukte ins Visier genommen, die 2018 mit 25 Prozent Aufschlag verteuert wurden. Die EU reagierte mit Gegenzöllen auf US-amerikanische Jeans, Whiskey und Motorräder von Harley Davidson. Drei Jahre später wurden all diese Zölle wieder aufgehoben. Nun zeichnet sich gleich nach dem Amtsantritt eine Neuauflage der Handelskonflikte an.

Neben Billigimporten plagen Stahlindustrie die hohen Energiekosten

Das lässt nichts Gutes verheißen für die ohnehin angeschlagenen deutschen Stahlhersteller, allen voran Thyssenkrupp. Aber auch Saarstahl und Salzgitter tun sich schwer, die Georgsmarienhütte sieht sich gar kurz vor dem Abgrund. „Jeden Tag gehen wir da näher hin“, sagte Miteigentümerin Anne-Marie Großmann jüngst vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung (WPV) in Düsseldorf. Auch die Geschäftsführerin der familieneigenen Firmengruppe GMH klagt vor allem über die hohen Energiekosten. Auf die Frage, wie lange die Georgsmarienhütte noch durchhalte, antwortete sie: „Wenn das so weitergeht, sind es nur noch ein paar Monate.“

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Das und die letztjährige Bilanz zeigen aber auch, dass die heimische Stahlindustrie neben der Billigkonkurrenz aus Asien vor allem ein deutsches Problem hat. Dazu gehört neben den Energiepreisen auch die schwächelnde Stahlnachfrage auf dem Heimatmarkt. Seit 2017 habe der deutsche Markt ein Drittel an Volumen eingebüßt, was „im scharfen Kontrast nicht nur zum Rest der Welt, sondern auch zu den anderen Industrieländern in der EU“ stehe, so der Verband. Besonders die Krise der Autoindustrie als wichtigste Kundin zieht den Stahl mit runter.

„Dem Industriestandort Deutschland geht es schlecht. Und dem Industriestandort ist es egal, ob gerade Wahlkampf herrscht“, sagt Stahlverbands-Chefin Rippel. Gerade der enorme Zuwachs von Billigimporten im Stahlbereich und die nicht wettbewerbsfähigen Kosten für Strom bedrohten die Unternehmen hierzulande „teils existentiell“. Bei den Stromkosten hätten allein die Netzentgelte im vergangenen Jahr für 300 Millionen Euro Mehrkosten gesorgt. Von der neuen Bundesregierung fordert sie vorab, binnen 100 Tagen die Netzentgelt-Zuschüsse von 5,5 Milliarden Euro rückwirkend zum Jahresbeginn wieder einzuführen.

Warum US-Zölle gegen China vor allem auch Europa treffen würden

Für die Stahlindustrie wäre ein Handelskrieg zwischen den USA und China womöglich noch schlimmer als direkte Strafzölle auf Exporte in die Staaten. Denn die sind überschaubar, zuletzt gingen jährlich ganze anderthalb Millionen Tonnen Stahl aus Deutschland nach Nord- und Mittelamerika, Kanada und Mexiko mit eingerechnet.

Mehr ins Gewicht fiele da, wenn Stahl aus China, der in den USA wegen der hohen Strafzölle von künftig wahrscheinlich 35 Prozent keine Abnehmer mehr findet, auf den europäischen Markt drängt. Zuletzt exportierte China rund 100 Millionen Tonnen Stahl pro Jahr, etwa dreimal so viel wie in Deutschland insgesamt hergestellt wird. Und weil zuletzt auch die Inlandsnachfrage in China schwächelte, dürften die Exportmengen eher noch weiter steigen.