Duisburg/Essen. Tiefe Einschnitte treffen mehr als jeden dritten Mitarbeiter. Einbußen bei Bezahlung und Werksschließung. IG Metall: Rote Linien überschritten.

Deutschlands größter Stahlkonzern Thyssenkrupp Steel will sich durch Stellenabbau und Job-Ausgliederungen von rund 11.000 Arbeitsplätzen trennen. Entsprechende Pläne habe der Vorstand der Stahlsparte dem Strategieausschuss des Aufsichtsrats vorgestellt, teilte das Unternehmen am Montag mit. Es gehe um ein „umfassendes industrielles Zukunftskonzept“ für den Stahlhersteller. Die Abbau- und Ausgliederungspläne des Vorstands betreffen mehr als jeden dritten Arbeitsplatz im Unternehmen. Zu Thyssenkrupp Steel gehören derzeit rund 27.000 Beschäftigte.

Durch Veränderungen im Produktionsnetzwerk und „eine deutliche Straffung der Verwaltungen“ will der Stahlkonzern eigenen Angaben zufolge bis zum Jahr 2030 etwa 5000 Arbeitsplätze abbauen. Zudem sollen weitere rund 6000 Arbeitsplätze durch Ausgliederungen auf externe Dienstleister oder den Verkauf von Geschäftstätigkeiten überführt werden. Es bleibe dabei „das erklärte Ziel, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden“.

IG Metall: Kahlschlag ist eine Katastrophe für Beschäftigte und Industriestandort NRW

Die Pläne des Vorstands sehen zusätzlich auch Einschnitte bei der Bezahlung der Beschäftigten vor. Das Management strebe an, „die Personalkosten in den kommenden Jahren im Durchschnitt um zehn Prozent zu reduzieren“ und „somit auf ein wettbewerbsfähiges Kostenniveau“ zu bringen, heißt es in einer Mitteilung von Thyssenkrupp Steel.

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Für die IG Metall überschreitet der neue Stahl-Vorstand damit „die roten Linien der Betriebsräte und der IG Metall“. Die Gewerkschaft erklärte in einer ersten Reaktion auf die Pläne: „Ein solcher Kahlschlag ist eine Katastrophe für Beschäftigte und den Industriestandort NRW.“ Knut Giesler, NRW-Chef der IG Metall und Aufsichtsratsvize bei Thyssenkrupp Steel, sagte: „Wer über 11.000 Beschäftigte abbauen und einen Standort schließen will, muss mit dem erbitterten Widerstand der IG Metall rechnen. Keine Aussagen zum Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen, Standortschließungen, genau das sind die roten Linien, die wir immer wieder kommuniziert haben.“ Zu den geplanten Kürzungen bei den Personalkosten sagte Giesler: „Wer in Zeiten des Fachkräftemangels auf solche Ideen kommt, hat nichts verstanden.“

Was der Vorstand vorgelegt habe, sei „keine Verhandlungsgrundlage“, sagte Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der IG Metall und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender von Thyssenkrupp, und fügte hinzu: „Das ist eine Kampfansage an die Belegschaft.“ Kerner forderte: „Wir erwarten klare Aussagen zum Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen und zum Erhalt aller Standorte.“

Thyssenkrupp-Stahlchef Grimm: „Umfassende Optimierung und Verschlankung“

„Wir nehmen unsere Verantwortung sehr ernst und wollen für möglichst viele unserer Beschäftigten langfristige Perspektiven schaffen“, sagte dagegen der neue Thyssenkrupp-Stahlchef Dennis Grimm. „Um uns zukunftsfest aufzustellen, ist eine umfassende Optimierung und Verschlankung unseres Produktionsnetzwerkes und unserer Prozesse notwendig.“

Grimms Vorstandskollegin Marie Jaroni betonte: „Noch haben wir in Bezug auf operative Effizienz und Rentabilität an entscheidenden Stellen im Wettbewerb Aufholbedarf. Diese Lücken müssen wir schließen, wenn wir eine gute Zukunft haben wollen.“

Thyssenkrupp Steel will Standort im Siegerland schließen

Die eigenen Produktionskapazitäten will Thyssenkrupp Steel von derzeit 11,5 auf ein Zielniveau von 8,7 bis 9 Millionen Tonnen senken. Ein wesentliches Element zur Kapazitätsreduzierung sei dabei die Trennung von den Hüttenwerken Krupp Mannesmann (HKM) in Duisburg. Das vorrangige Ziel sei, den bisherigen 50-Prozent-Anteil an HKM zu verkaufen. „Sollte ein Verkauf nicht möglich sein, wird Thyssenkrupp Steel mit den weiteren Gesellschaftern Gespräche über einvernehmliche Schließungsszenarien führen“, erklärte der Konzern. Neben Thyssenkrupp Steel sind auch die Unternehmen Salzgitter und Vallourec an HKM beteiligt.

Schließen will Thyssenkrupp Steel zudem den Weiterverarbeitungs-Standort in Kreuztal-Eichen im Siegerland. Details dazu nannte der Vorstand in einer ersten Mitteilung noch nicht.

Die Kapazitätssenkung fällt weniger hart aus als von der Arbeitnehmerseite befürchtet. Entsprechend betont Gewerkschaftschef Giesler: „Das würde den Erhalt beider Stahlwerke im Duisburger Norden bedeuten.“ . Auch das Bekenntnis zur DRI-Anlage sei „das richtige Signal“. Doch Giesler betont: „Solange betriebsbedingte Kündigungen und Standortschließungen nicht vom Tisch sind, eine ausreichende Finanzierung über 2 Jahre hinaus nicht gewährleistet ist, wird es keine Verhandlungen mit der IG Metall geben.“

Thyssenkrupp sucht neuen Konzern-Personalvorstand

Auf Konzernebene muss sich Thyssenkrupp einen neuen Personalvorstand suchen. Das Unternehmen habe sich mit Oliver Burkhard einvernehmlich auf eine Beendigung seines Vorstandsmandates zum 31. Januar 2025 verständigt, teilte Thyssenkrupp mit.

Bislang ist Burkhard in Personalunion Konzern-Personalchef und Spartenchef bei der Werften-Sparte Marine Systems. Zur Nachfolge von Burkhard im Personalressort werde Thyssenkrupp „zu gegebener Zeit“ entscheiden, erklärte das Unternehmen. Interimistisch werde Thyssenkrupp-Finanzvorstand Jens Schulte auch die Verantwortung für das Personalressort übernehmen.

Schon seit Wochen Spekulationen über mögliche Einschnitte

Thyssenkrupp-Stahlchef Grimm hatte die Beschäftigten bereits kurz nach seinem Amtsantritt im September auf eine tiefgreifende Sanierung vorbereitet. „Es sind harte Einschnitte notwendig. Wir müssen profitabler werden“, sagte Grimm im Gespräch mit unserer Redaktion. „Die aktuelle Marktlage hat sich in den vergangenen Monaten nochmal verschlechtert, und eine Erholung ist leider nicht in Sicht“, erklärte Grimm. Darauf müsse Thyssenkrupp Steel reagieren. Wie viele Arbeitsplätze wegfallen, ließ Grimm zu diesem Zeitpunkt noch offen, er betonte aber: „Wir müssen das Unternehmen auf Performance trimmen – im Hier und Jetzt.“

Am Stahlstandort Duisburg sind tiefe Einschnitte geplant.
Am Stahlstandort Duisburg sind tiefe Einschnitte geplant. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Die Frage, wie es bei Deutschlands größtem Stahlkonzern weitergeht, war auch ein beherrschendes Thema bei der Bilanzpressekonferenz von Thyssenkrupp am 19. November im Essener Konzern-Quartier. Vorstandschef Miguel López verwies auf Nachfragen immer wieder auf den neuen „Business-Plan“, den Stahlchef Grimm mit seinem Team erarbeiten sollte.

Vor wenigen Wochen hatte die IG Metall noch die Befürchtung geäußert, der Konzern könnte rund 10.000 der aktuell etwa 27.500 Arbeitsplätze in der Stahlsparte abbauen. Direkt auf die Sorge um 10.000 Stellen angesprochen, antwortete der Thyssenkrupp-Chef: „Das werden wir sehen, sobald der Plan vorliegt. Das ist ein Bestandteil des Plans.“

Zum gesamten Thyssenkrupp-Konzern, der neben Stahlwerken unter anderem auch Werften, Autoteile-Fabriken, Anlagenbauer und einen Werkstoffhandel betreibt, gehören insgesamt knapp 100.000 Arbeitsplätze.

Thyssenkrupp-Chef López: „Zeitplan über viele Jahre“

Die „Neuaufstellung“ in der Stahlsparte solle „möglichst ohne betriebsbedingte Kündigungen“ erfolgen, erklärte López vor wenigen Tagen bei der Bilanzpressekonferenz in Essen. Es werde einen „Zeitplan über viele Jahre“ geben, dabei spiele auch die „demografische Entwicklung“ eine Rolle.

Thyssenkrupp-Stahlchef Dennis Grimm: „Um uns zukunftsfest aufzustellen, ist eine umfassende Optimierung und Verschlankung unseres Produktionsnetzwerkes und unserer Prozesse notwendig.“
Thyssenkrupp-Stahlchef Dennis Grimm: „Um uns zukunftsfest aufzustellen, ist eine umfassende Optimierung und Verschlankung unseres Produktionsnetzwerkes und unserer Prozesse notwendig.“ © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Ein Mitspracherecht zur Frage, wie es an den Stahlstandorten in Duisburg, Bochum, Dortmund und Südwestfalen weitergeht, dürfte auch der neue Großaktionär Daniel Kretinsky haben, der vor wenigen Monaten 20 Prozent der Anteile von Thyssenkrupp Steel übernommen hat. Die Zusammenarbeit mit der Kretinsky-Firma EPCG laufe „außerordentlich konstruktiv“, beteuerte López. Das Ziel sei die Gründung eines Stahl-Gemeinschaftsunternehmens, an dem Kretinsky und Thyssenkrupp jeweils die Hälfte der Anteile halten.

Der neue Stahlchef Dennis Grimm hatte die Führung in der Thyssenkrupp-Traditionssparte nach einem erbittert geführten Machtkampf innerhalb des Konzerns übernommen. Auf Druck von Konzernchef López hatten Ende August mehrere Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder von Thyssenkrupp Steel das Handtuch geworfen, darunter Grimms Vorgänger Bernhard Osburg und der frühere Vizekanzler Sigmar Gabriel, der den Aufsichtsrat geleitet hatte.

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