Essen. Mit gutem Gewissen fliegen: 2050 soll das möglich sein, versprechen Airlines. Forscher bezweifeln das. Wie realistisch ist klimaneutrales Fliegen?

Ab 2050 will der gesamte Luftverkehr kein neues CO₂ mehr ausstoßen. Ein ambitioniertes Ziel, finden Experten. Aktuell sind Flugzeuge für etwa drei Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich, der Weg zur Klimaneutralität ist in keiner anderen Branche so kompliziert und teuer. Ist umweltfreundliches Fliegen also nur eine Illusion? Wie realistisch klimaneutrales Fliegen wirklich ist und vor welchen Herausforderungen die Branche steht.

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Klimaneutral fliegen: Welche Antriebe infrage kommen

Geht es um Klimaneutralität beim Fliegen, stellt sich unwillkürlich zuerst die Frage nach alternativen Treibstoffen. Denn Fakt ist: das umweltschädliche Kerosin muss schnellstmöglich ersetzt werden. Als Hoffnungsträger gelten sogenannte Sustainable Aviation Fuels (SAF). Zur Herstellung können unterschiedliche Verfahren und – Ölreste, Bioabfälle – verwendet werden. Die Hauptsache ist: Sie kommen ohne fossile Materialien aus und können Kerosin beinahe 1:1 ersetzen. Heißt: Keine neuen Flugzeuge nötig. „Eine echte Alternative zu fossilem Flugkraftstoff und essenziell für die Energiewende“, findet Lufthansa.

Für die SAF-Herstellung wird außerdem CO₂ aus der Luft entnommen. Ein Flugzeug stößt beim Fliegen nur so viel aus, wie für die Produktion entzogen wurde – so entsteht ein weitestgehend geschlossener Kreislauf. „Je nach Rohstoff und Herstellungsprozess spart SAF gegenüber fossilem Kerosin 80 bis 100 Prozent CO₂ ein“, schreibt der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft. In einem aktuellen Bericht des Netzwerks EPICO heißt es außerdem, dass SAF-betriebene Flugzeuge bereits 2027 einsatztauglich sein könnten.

Es gibt aber noch eine Möglichkeit: Wasserstoffantriebe. Airbus etwa investiert jährlich Milliarden in die Entwicklung. Warum, wenn es doch scheinbar schon eine Lösung gibt?

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SAF können CO₂-Emissionen zwar deutlich senken, machen aber tatsächlich nur etwa ein Drittel der schädlichen Klimaauswirkungen von Flügen aus. So heißt es in einer Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) zu klimafreundlichem Luftverkehr. Für den Rest sind die „Nicht-CO₂-Effekte“ verantwortlich – Stickoxide, Rußpartikel und Kondensstreifen. Sie bauen sich schneller ab als CO₂, sind aber weitaus klimaschädlicher.

Mit alternativen Antrieben werden diese Effekte zwar auch reduziert, aber nicht vollständig vermieden. Forscher des Paul Scherrer Instituts (PSI) und der ETH Zürich gehen zudem davon aus, dass der Flugverkehr künftig mehr Emissionen produzieren wird. Denn nach Prognosen von Airbus und Boeing sollen bis 2050 deutlich mehr Flugzeuge als heute unterwegs sein. Einen Weg, Nicht-CO₂-Effekte vollständig zu vermeiden, gebe es nicht. Sie können durch unterirdische CO₂-Speicherung kompensiert werden. Aber der Platz ist begrenzt.

Wasserstoff: Nur für kurze Strecken?

Wasserstoff ist hingegen beinahe emissionsfrei. Laut Airbus sollen größere Flugzeuge mit Wasserstoffantrieb aber erst ab 2035 einsatzbereit sein. Die Forschenden des PSI und der ETH sehen in der Technologie außerdem eher Potenzial für Kurzstrecken, denn Wasserstoff muss bei Minus 253 Grad lagern und hat ein viermal größeres Volumen als Kerosin.

Für lange Strecken müsste der Tank also extrem groß sein. „Überspitzt gesagt, hätte man dann nur noch Platz für den Tank, aber nicht mehr für die Passagiere“, so Barnaby Law, Chefingenieur bei der MTU, gegenüber dem Magazin „Aeroport“. Das gleiche Problem ergibt sich bei Batterien: Sie sind zu schwer und verbrauchen zu viel Energie, als dass sie sich für lange Strecken lohnen würden.

Etwa 300 Milliarden Euro müssten in Europa investiert werden, um unter anderem Flughäfen auf nachhaltige Treibstoffe vorzubereiten.
Etwa 300 Milliarden Euro müssten in Europa investiert werden, um unter anderem Flughäfen auf nachhaltige Treibstoffe vorzubereiten. © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

Klimaneutrales Fliegen ist also grundsätzlich möglich. Aber zwei Probleme bleiben: Die Herstellung von SAF und Wasserstoff ist enorm energieaufwendig. Bedeutet auch: Für eine klimafreundliche Produktion muss Strom aus erneuerbaren Energien ausreichend vorhanden sein. Das macht SAF sehr teuer – bis zu siebenmal teurer als Kerosin. Außerdem fehlt es an Infrastruktur für Transport und Lagerung von Wasserstoff. Laut EPICO müsste alleine Europa rund 300 Milliarden Euro investieren, um wasserstoffbetriebene Flugzeuge einsetzen zu können. Wer soll das finanzieren?

Wasserstoff und Co.: Alternative Antriebe sind teuer

Die Flugbranche betreffende Entscheidungen werden nicht auf Bundes-, sondern in der Regel auf EU-Ebene getroffen. So wurde 2023 ein Gesetz verabschiedet, das einen Mindestanteil von SAF für alle Flüge aus der EU vorsieht. Ab 2025 soll der SAF-Anteil bei zwei Prozent liegen und dann weiter steigen. Problem: Schon die zwei Prozent werden laut EPICO-Bericht voraussichtlich nicht erreicht. Es fehlt an Investitionen – aber die seien aufgrund diverser Ungewissheiten und dem, hohen Kapitalaufwand ziemlich unattraktiv.

Gleichzeitig wird die SAF-Produktion aber auch erst günstiger und effizienter, wenn mehr hergestellt wird. Was kann die EU also tun, um Investitionen anzukurbeln? Das fasst EPICO in seinem Bericht zusammen. Um eine Basis für den kommerziellen Einsatz von Wasserstoff zu schaffen, müssen demnach Zertifizierungsprozesse beschleunigt und international einheitliche Standards eingeführt werden. Mehr Fördermittel, Kreditbürgschaften und befristete Steuergutschriften könnten dazu beitragen, den europäischen Wasserstoff-Markt für Investoren attraktiv zu machen.

Fluggesellschaften könnten sich verpflichten, Wasserstoff zu kaufen, bevor er verfügbar ist. Das bedeutet Sicherheit für die Hersteller, was wiederum den Produktionsausbau ermöglicht. Was solche Abnahmegarantien angeht, sind Fluggesellschaften aber zurückhaltend. EPICO schlägt daher vor: Die Regierung könnte mit gutem Beispiel vorangehen, indem sie selbst SAF für staatliche Flugreisen nutzt. Ein weiterer Anreiz sei eine (teilweise) Übernahme der Kostendifferenz zwischen Kerosin und klimaneutralen Treibstoffen durch den Staat.

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Einige Stimmen fordern außerdem, Premiumklasse- und Privatflüge stärker zu besteuern. Prof. Dr. Stefan Gössling (Linnaeus Universität, Schweden) fasst zusammen: „Ein Prozent der Menschheit ist für 50 Prozent der Emissionen aus dem Flugverkehr verantwortlich. Ein Flug in der Business-Klasse verursacht dreimal mehr Emissionen als ein Flug in der Economy. Ein Privatflugzeug emittiert in etwa sechs Stunden so viel wie ein Durchschnittseuropäer in einem Jahr.“

Kondensstreifen bauen sich schneller ab als CO₂, sind aber weitaus klimaschädlicher.
Kondensstreifen bauen sich schneller ab als CO₂, sind aber weitaus klimaschädlicher. © FUNKE Foto Services | Sascha Fromm

Reduzieren Vielflieger ihre Reisen und verzichten auf die Business-Klasse, könne das etwa 25 Prozent der Emissionen einsparen. Das liegt daran, dass Business-Passagieren mehr Platz zur Verfügung steht, was den Pro-Kopf-Ausstoß deutlich erhöht. Sinnvoll sei zudem eine verpflichtende Nutzung von SAF für Fluggesellschaften. Sie werden alternative Treibstoffe nicht nutzen, sofern man sie nicht zwingt: „Fluggesellschaften sind chronisch kurz vor der Insolvenz.“

Klimaneutrales Fliegen bis 2050: Wirklich nur Wunschdenken?

Will der Luftverkehr bis 2050 sein Ziel erreichen, müssen klimafreundliche Treibstoffe flächendeckend verfügbar sein. Nach Angaben von Aeroport liegt die Nachfrage künftig bei 600 Millionen Tonnen pro Jahr. Vom weltweiten Bedarf werden aktuell aber nur 0,1 Prozent durch SAF gedeckt. Aufgrund der langen Entwicklungszeiten für neue Flugzeugtypen hält Gössling eine Umstellung bis 2050 „vollkommen unrealistisch“.

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„Neue Antriebe, klimaschonende Treibstoffe und das Herausfiltern von CO₂ aus der Atmosphäre werden uns allein nicht ans Ziel bringen“, sagt Prof. Dr. Marco Mazzotti (ETH Zürich). Romain Sacchi vom PSI stimmt dem zu, sagt aber auch: das Ziel könne erreicht werden, wenn die entsprechende Infrastruktur zügig entwickelt und der Flugverkehr gleichzeitig reduziert werde.