Berlin. Deutschland fehlen Arbeitskräfte. Afrika hat viele gute IT-Experten ohne Arbeit. Eine Firma bringt beide zusammen, wovon alle profitieren.

In Deutschland fehlen in den kommenden Jahren zehntausende Fachkräfte. Vor allem in Berufen, die sich mit Informationstechnologie und Digitalisierung beschäftigen, wachsen die Lücken. Seit vergangenem Jahr ist es für deutsche Firmen leichter, Menschen von außerhalb der EU einzustellen. Deutschland wirbt zudem im Ausland um Fachkräfte. Doch warum Personal holen, wenn sich die Arbeit auch auslagern ließe? Nach Nigeria zum Beispiel?

Alexander U. Ritter gerät recht schnell ins Schwärmen, wenn er über das afrikanische Land redet. „Nigeria hat eine ähnliche Leistungsbereitschaft wie Deutschland oder der angelsächsische Raum“, sagt der Gründer von Netspice aus dem nordrhein-westfälischen Kaarst. Das Land sei politisch weitgehend stabil, die Infrastruktur sei gut. Und: „Die IT-Experten sind hervorragend ausgebildet und sehr, sehr gut. Nigeria hat einige der besten Universitäten Afrikas. Allerdings gibt es für solche Spezialisten wenig gut bezahlte Arbeit.“ Hier beginnt sein Geschäftsmodell.

Personalmangel in Deutschland, gut ausgebildete Experten in Nigeria: Ritter bringt sie zusammen. Braucht ein deutsches Unternehmen eine App, entwickelt das Team am Standort Port Harcourt im Südosten Nigerias. Koordiniert wird in Deutschland, damit der Kontakt zum Kunden eng ist. Netspice-Unternehmen arbeiten aber auch direkt für deutsche Kunden. Ein Vorteil ist eine ähnliche Zeitzone: Je nach Sommer- oder Winterzeit beträgt der Unterschied höchstens eine Stunde.

Ausland: Die Arbeitskosten in Nigeria sind deutlich geringer

„Ob Beschäftigte einer Hamburger Firma in Karlsruhe sitzen oder in Port Harcourt, ist letztlich egal. In beiden Fällen sind sie zum Beispiel per Video zugeschaltet“, sagt Ritter. Neben dem Fachkräftemangel in Deutschland kann sein Geschäftsmodell noch aus einem anderen Grund interessant sein für deutsche Firmen: „Obwohl ein Unternehmen per offshoring Aufgaben an unsere Experten in Nigeria auslagert, ist die Qualität doch wie zu Hause. Allerdings zu einem Drittel des Preises“, sagt der Netspice-Chef.

Steueranreize für ausländische Fachkräfte? Arbeitgeber dagegen

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    Und die Qualität der Arbeit? „Die ist in Nigeria mindestens vergleichbar mit dem, was IT-Experten aus dem indischen Bangalore liefern“, behauptet Ritter. In den vergangenen Jahrzehnten haben viele Firmen, vor allem aus dem englischsprachigen Raum, IT-Aufgaben sogar ganze IT-Abteilungen nach Indien ausgelagert. Auch dort gibt es gut ausgebildete IT-Experten zu recht günstigen Preisen. Das Modell ist in Teilen das Vorbild für Netspice.

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    Das Unternehmen startete 2016 als Digitalagentur, baut seit 2020 aber einen Standort in Port Harcourt auf. Derzeit arbeiten dort 80 Beschäftigte, davon 70 Softwareentwickler. Co-Chef der nigerianischen Tochterfirma ist Bodé Osaru, selbst Nigerianer, sammelte nach seinem Master of Business Administration Berufserfahrung bei Netspice. Gemeinsam setzten sie dann eine Idee um, die Ritter schon seit 2013 beschäftigte. Damals hatte einer seiner ehemaligen Mitstudenten von der Royal Holloway University in London die Idee mit dem IT-Outsourcing gen Süden skizziert.

    Fachkräfte aus dem Ausland: Afrika bietet große Perspektiven

    Ritter ist großer Fan des Kontinents. „Ich habe seit 15 Jahren eine Affinität zu Afrika. Erst war es nur private Leidenschaft, die jetzt auch beruflich funktioniert.“ Zu den Kunden zählen Start-ups, Mittelständler wie Imex Dental aus Essen und als erster Großkunde die Deutsche Leasing im hessischen Bad Homburg, die zur Sparkassenfinanzgruppe gehört.

    „Wir sehen uns als Pionier eines Wandels, der Öffnung hin zu mehr Afrika“, sagt Ritter noch. Sie sind nicht allein, Konkurrenz gibt es schon, auch aus Deutschland. „Wir merken, dass inzwischen auch andere Firmen den Wert afrikanischer IT-Experten entdecken. Neben Nigeria sind da die englischsprachigen Länder interessant: Ghana, Kenia, Ruanda, Sambia, Südafrika.“ Zum Beispiel Amalitech aus Köln. Das gemeinnützige Unternehmen vermittelt IT-Aufträge nach Ghana und Ruanda. Die Gewinne fließen dann in Ausbildung vor Ort, die geschulten Talente bekommen dann wieder Aufträge bei Amalitech. Das Unternehmen des ehemaligen Beraters Martin Hecker ist bereits seit mehreren Jahren tätig.

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    Auch die Bundesregierung hat afrikanische Staaten entdeckt. Sie könnten für die Energiewende in Deutschland dringend benötigten grünen Wasserstoff liefern, der mit Wind- und Sonnenenergie erzeugt wird. Afrika könnte ein riesiger Absatzmarkt für deutsche und europäische Produkte sein. Und es bietet eben, was Deutschland zunehmend fehlt: gut ausgebildete Fachkräfte.

    Fachkräfte aus dem Ausland: Gespräche mit der Bundesregierung

    Das Bundesarbeitsministerium hat im letzten Fachkräftemonitor ermittelt, dass IT-Berufe im Zuge der dringend nötigen Digitalisierung besonders gefragt sind, Deutschland in den kommenden Jahren aber nicht genug Personen selbst ausbilden kann. Der Fachverband Bitkom mahnte schon vor Monaten, derzeit seien 149.000 IT-Stellen unbesetzt. Bis 2040 sollen es demnach 663.000 sein.

    William Ruto, Präsident von Kenia, will darüber auch mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprechen. Es geht unter anderem um Fachkräfte und wie sie leichter von Kenia nach Deutschland kommen können. Darüber haben die beiden schon im vergangenen Jahr bei einem Treffen gesprochen. „Die Bundesregierung plant, Fachkräfte in Afrika zu gewinnen“, sagt Netspice-Chef Ritter. „Wir nutzen IT-Wissen und Fähigkeiten von Spezialisten in Nigeria, ohne dass sie ihr Land verlassen müssen.“