Hamburg. Der US-Konzern muss Flugtests der 777-9 stoppen. Die Erstauslieferung dürfte sich verschieben. Ein Riesen-Airbus könnte profitieren.
Die Probleme bei Boeing reißen nicht ab. Der US-Konzern hat das laufende Testflugprogramm für seine neue Langstreckenmaschine 777-9 unterbrochen. Bei planmäßigen Inspektionen habe man festgestellt, dass ein Verbindungsteil zwischen den Triebwerken und den Tragflächen „nicht wie vorgesehen funktioniert habe“, teilte der Airbus-Rivale mit: „Wir werden die Flugtests unserer 777-9 fortsetzen, sobald wir bereit sind.“
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Die Erstauslieferung des Großraumjets verzögert sich seit Jahren. Ursprünglich war 2020 angepeilt worden. Erstkunde Lufthansa rechnete bisher damit, 2025 das erste Exemplar zu erhalten. Die Einhaltung dieses Planes dürfte aber nun schwieriger werden – und das eröffnet dem größten Passagierflugzeug der Welt Chancen, länger in den Flotten der Airlines zu bleiben: Der A380 könnte als Ersatz weiterhin gefragt sein.
Risse am Bauteil: So dramatisch ist der Fund für Boeing
Über einen Ausfall des wichtigen Strukturteils zwischen Motor und Flügel hatte zuerst das Branchenportal „The Air Current“ unter Berufung auf zwei Insider berichtet. Demnach sei das Problem entdeckt worden, nachdem das dritte von vier Testflugzeugen am 16. August von einem Flughafen auf Hawaii einen 5,5-stündigen Flug absolviert hatte. Bei nachfolgenden Inspektionen an den anderen Testfliegern seien Risse bei dem Bauteil entdeckt worden, so das Portal.
Die betroffene Komponente sitze oberhalb des Motors und sei wichtig, um die Schubkräfte der Triebwerke auf das Flugzeug zu übertragen, sagte der Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt im Gespräch mit unserer Redaktion. Das Triebwerk wiege rund zehn Tonnen. Im Flugbetrieb wirkt ein Vielfaches der Kräfte. Das könnte ein Grund sein, dass dieses Problem bei statischen Tests am Boden bisher nicht aufgetreten ist.
Airbus und Boeing: Dafür sind Flugtests da
„Flugtests sind grundsätzlich dafür da, solche Probleme vor dem Start des operativen Betriebs bei den Fluglinien zu finden und zu beseitigen“, sagte Großbongardt, der aktuell an einem Buch über das 777-X-Programm schreibt. Neben der 777-9-Langstreckenmaschine für 426 Passagiere in einer Zwei-Klassen-Kabine soll es den Flieger auch als Frachterversion sowie in der kürzeren -8 und möglicherweise der längeren -10-Variante geben.
Zunächst einmal müsse jetzt die Ursache für die Risse gefunden werden. Die Fehlersuche könne in zwei Wochen erfolgreich sein, aber auch deutlich länger dauern, so der Experte. Im Anschluss daran müsse dieses Bauteil so neu konstruiert werden, dass diese Risse nicht mehr entstehen können. Auch dieser Prozess dauere seine Zeit. Die fertig produzierten neuen Strukturteile müssen letztlich noch in die Testflugmaschinen eingebaut werden.
Boeing: Fehler zu beseitigen, kann einiges an Zeit in Anspruch nehmen
„Bis die Fehlerbeseitigung erfolgreich ist, kommen ganz schnell zwei bis drei Monate zusammen“, sagte Großbongardt: „Damit rutscht die Erstauslieferung des Fliegers sicherlich ins Jahr 2026. Zumal es schon vorher Zweifel in der Branche gab, ob das Jahr 2025 zu halten ist.“
Schon zuvor hatten mannigfaltige Probleme für die Verspätung der 777-X gesorgt, für die mehr als 500 Bestellungen vorliegen. Dazu zählen sowohl die Corona-Pandemie und die allgemeinen Qualitätsprobleme in der Fertigung bei Boeing als auch Schwierigkeiten bei der Entwicklung der Triebwerke, die vom Durchmesser und der Schubleistung größer sind als die bisher verwendeten, sodass größere Kräfte wirken.
US-Flugaufsicht hat schon ein Auge auf den Hersteller Boeing
Boeing verweist darauf, dass die schadhafte Komponente speziell für die 777-9 modifiziert worden war und dass jedes Triebwerk zwei dieser Komponenten hat. Es sei also Redundanz vorhanden – das ist in der auf Sicherheit bedachten Luftfahrt wichtig. Man inspiziere die gesamte Flugtestflotte des Typs und unterziehe dieser nun einer ohnehin planmäßig angesetzten Wartung. Mit der US-Flugaufsichtsbehörde FAA und den Kunden stehe man im Austausch.
Die Lufthansa bestätigte den Informationsfluss auf Anfrage unserer Redaktion – ob und welche Auswirkungen dies auf die Flottenplanung habe, wollte das Unternehmen „zu diesem frühen Zeitpunkt“ nicht mitteilen.
Flugexperte: Fluglinien müssen mit älteren Flugzeugen weiterfliegen
Für Großbongardt ist dies relativ klar: „Die Fluglinien werden die Strecken zunächst mit älterem Fluggerät weiterfliegen müssen. Als eine Folge davon dürfte der A380 länger in den Flotten verbleiben.“
Bei der Kranich-Linie feierte der Riesen-Airbus ohnehin ein überraschendes Comeback. Airline-Chef Carsten Spohr wollte den spritdurstigen Vierstrahler eigentlich gar nicht mehr einsetzen. Weil der Langstreckenverkehr nach der Corona-Krise aber schneller anzog als erwartet und neue Großraumflieger wie die 777-9 auf sich warten ließen, wurden und werden die verbliebenen acht A380 reaktiviert.
Auch andere Airlines wie der Hauptabnehmer Emirates und Qatar Airways dürften das größte Passagierflugzeug der Welt nun länger in der aktiven Flotte belassen als geplant – weil mit dem 777-9-Flieger wohl eine wichtige Alternative später auf den Markt kommt als gedacht.
Produktionsende für A380 kam bereits später als geplant
Airbus hatte das Produktionsaus für den A380 Anfang 2019 angekündigt und die letzte Maschine Ende 2021 in Hamburg an Emirates ausgeliefert. Ein Fertigungscomeback des A380 wurde zuletzt offen gelassen. „Die Tür ist zu, verschlossen ist sie nicht. In der Industrie ist nie etwas ausgeschlossen“, hatte Flugzeugspartenchef Christian Scherer Anfang Juli im Gespräch mit unserer Redaktion gesagt.
Der Hamburger Luftfahrtexperte räumte dem A380 aber keine Chancen auf ein Fertigungscomeback ein: „Ein A380 in der alten Form hat heute sicherlich keine Chance mehr, weil die Betriebskosten des Vierstrahlers zu hoch sind.“ Um diese zu senken, müssten Triebwerkshersteller mit ins Boot geholt werden und viel Geld in Verbesserungen stecken.
Das hält er ebenso für ausgeschlossen wie große Bestellungen mehrerer Kunden. Nur vom Hauptabnehmer Emirates sei dies möglich. „Bei anderen Fluggesellschaften ist der A380 immer nur ein Nischenprodukt gewesen“, so Großbongardt. Zudem seien für die Herstellung benötigte Komponenten wie Werkzeuge und Einrüstungen bei Airbus und den Zulieferern weg, die A380-Hallen bei Airbus werden längst durch andere Flugzeugprogramme genutzt.
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