Essen/Duisburg. Setzt Konzernchef López sich durch, würden ganze Werke und 10.000 Stellen wegfallen, warnen Gewerkschaft und Betriebsrat. Große Unruhe in Werken.

  • Die IG Metall und der Stahl-Betriebsrat von Thyssenkrupp warnen vor dem Verlust von 10.000 Arbeitsplätzen in der Stahlbranche.
  • Die Gewerkschaft hat Flugzettel an den Standorten verteilt.
  • „Mehrere Standorte müssten schließen“, so Betriebsrat und Gewerkschaft.

Die IG Metall und der Stahl-Betriebsrat von Thyssenkrupp sehen 10.000 Arbeitsplätze in Gefahr, sollte sich Konzernchef Miguel López mit seinen Plänen durchsetzen. Davor warnt die Gewerkschaft auf einem Flugzettel, der am Mittwoch an allen Stahlstandorten verteilt wurde und unserer Redaktion vorliegt.

Unter dem Titel „Nur noch halbe Hütte“ heißt es, López wolle „die Hütte am liebsten halbieren“, sein „Radikalplan“ würde dazu führen, dass die Kapazität von Thyssenkrupp Steel Europe „auf fünf Millionen Tonnen sinkt“. Das wäre weniger als die Hälfte der bisher angegebenen Kapazität von rund elf Millionen Tonnen. Die Konsequenz wäre der Verlust von 10.000 der aktuell rund 27.000 Stellen der Duisburger Stahltochter des Essener Industriekonzerns.

Betriebsratschef warnt: Mehrere Standorte müssten Schließen

„Mehrere Standorte müssten schließen“, so Betriebsrat und Gewerkschaft. Thyssenkrupp betreibt Stahlwerke nicht nur in Duisburg, sondern unter anderem auch in Bochum, Gelsenkirchen, Dortmund, Hagen, Siegen und Finnentrop. Die Forderung „Jemand muss López stoppen“ hatte Knut Giesler, NRW-Chef der IG Metall, bereits am vergangenen Freitag im Gespräch mit unserer Redaktion in Richtung Anteilseigner und Aufsichtsrat gestellt.

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Die Essener Thyssenkrupp-Zentrale nennt das gegenüber unserer Redaktion „Spekulationen“ und wirft ihrerseits der IG Metall vor: „So werden unnötigerweise Ängste und Befürchtungen bei unseren Mitarbeitenden geschürt.“ Eine „konzernseitige Planungsvergabe zum Betriebspunkt gab und gibt es nicht“, erklärte das Unternehmen gegenüber unserer Redaktion, mit „Betriebspunkt“ ist die Erzeugungskapazität gemeint. „Zum jetzigen Zeitpunkt sind deshalb alle Mutmaßungen über möglicherweise betroffene Aggregate und Standorte – unabhängig von den Verkaufsbemühungen von HKM – Spekulation“, erklärt Thyssenkrupp.

Tatsächlich hat Konzernchef López nie von einer Halbierung gesprochen. Den Plan von Stahlchef Bernhard Osburg, die Kapazität von 11,5 auf neun bis 9,5 Millionen Tonnen zu senken, lehnt López aber ab. Das hat er nach Informationen unserer Redaktion in der letzten Aufsichtsratssitzung von Thyssenkrupp Steel Europe deutlich gemacht. Dem Vernehmen nach schwebt ihm eine Reduzierung deutlich unter neun Millionen Tonnen vor.

Thyssenkrupp-Konzern: So werden unnötigerweise Ängste geschürt

Das aber sei technisch gar nicht machbar, betonen Gewerkschaft und Betriebsrat, in der Konsequenz müssten dann ganze Hochöfen und Stahlwerke dichtmachen. „Denn Stahlwerke und Produktionslinien laufen nur ganz oder gar nicht. Wenn López also weniger will, muss er hart zuschlagen. Eine weitere Betriebspunktabsenkung läge dann aus technischen Gründen bei fünf bis sechs Millionen Tonnen im Jahr – Stahl würde halbiert“, heißt es in einem zweiten Flugblatt, das von der IG Metall Duisburg-Dinslaken in Duisburg verteilt wurde. Sein Titel lautet: „López‘ irrer Plan: Es droht uns ein Horror mit halber Hütte“.

„Die Kolleginnen und Kollegen rennen den Betriebsräten die Bude ein“

„Die Lage ist dramatisch wie nie. Uns droht eine Halbierung der Hütte“, lässt sich Stahl-Betriebsratschef Ali Güzel zitieren. Jeder einzelne könne von „López’ Brechstangenpolitik betroffen sein, aber stoppen können wir ihn nur gemeinsam“, appelliert er an die Stahl-Belegschaft. „Mittlerweile rennen Kolleginnen und Kollegen den Betriebsräten die Bude ein“, sagt Güzel.

An den anderen Standorten, an denen der Stahl aus Duisburg weiterverarbeitet wird, ist die Unruhe aber ebenfalls groß, denn ohne den Stahl aus Europas größtem Stahlwerk im Duisburger Norden und der Tochter HKM könnten manche von ihnen ebenfalls infrage stehen. In Bochum betreibt Thyssenkrupp ein Warmbreitbandwerk und ein Elektroband-Werk, in den vergangenen Jahren wurde mal um den einen, mal um den anderen Standort gebangt. In Dortmund steht ein Kaltbandwerk, in Gelsenkirchen ein Elektrostahlwerk, in Hagen-Hohenlimburg ein Präzisionsstahlwerk und im Siegerland wird Spezialstahl für die Solarindustrie und Haushaltsgeräte hergestellt.

Stellenabbau würde größer als nach der bisherigen Gleichung befürchtet

In den 10.000 Arbeitsplätzen, die laut IG Metall von López gefährdet werden, sind auch die 3000 der Tochter HKM im Duisburger Süden enthalten, die Thyssenkrupp-Stahl (TKS) selbst zum Verkauf gestellt hat und andernfalls schließen will. Mit der Hamburger Beteiligungsgesellschaft CE Capital Partners habe sich bereits ein ernsthafter Kaufinteressent dem Präsidium des TKS-Aufsichtsrats vorgestellt und sein industrielles Konzept erläutert, wie Aufsichtsratsvizechef Detlef Wetzel unserer Redaktion bereits Anfang Juli gesagt hatte. Allerdings muss Salzgitter, das 30 Prozent an HKM hält, mitspielen. TKS hält 50 Prozent, der französische Vallourec-Konzern die restlichen 20 Prozent.

Zur Rechnung der IG Metall muss man wissen, dass die Kapazität von 11,5 Millionen Tonnen Stahl aktuell nur noch theoretischer Natur sind, tatsächlich liegt die Produktion derzeit bei rund 9,5 Millionen Tonnen. Nach früheren Angaben wurden die Senkung um eine Million Tonnen stets mit dem Abbau von ungefähr 1000 Arbeitsplätzen verbunden, tatsächlich wird derzeit mit einem größeren Ausmaß gerechnet, sollte die Produktion halbiert werden, weil auch davon abhängige Werke bedroht wären.

IG Metall: López will Osburg „wahrscheinlich absetzen lassen“

Zum ersten Mal äußert die IG Metall in dem in Duisburg verteilten zweiten Flugblatt auch die Befürchtung, der Konzernchef wolle Stahlchef Osburg loswerden. Denn bei der Frage, wie hoch die Mitgift für die Stahlsparte auf ihrem Weg in die Eigenständigkeit und heraus aus der Konzernbilanz sein müsste, liegen beide rund anderthalb Milliarden Euro auseinander. „López vertraut dem Vorstand daher nicht mehr. Wahrscheinlich will er ihn mit der Hilfe des Konzerns absetzen lassen“, heißt es in dem Flugblatt. Und: „Ein Nachfolger dürfte López aus der Hand fressen. Was dann kommt, weiß keiner. Besser wird es auf keinen Fall.“

Von Konzernseite wird betont, dass man sich in der letzten Sitzung des Stahl-Aufsichtsrats „einheitlich darauf verständigt, den Businessplan unabhängig überprüfen zu lassen und ein IDW-S6-Gutachten in Auftrag zu geben“. Es werde „in einigen Monaten vorliegen und uns weitere Erkenntnisse für die Neuausrichtung des Stahlbereichs liefern“, heißt es in Essen.

Aufsichtsrat berät kommende Woche über Zwischenfinanzierung

Es war jene Sitzung, in der Osburg seinen Sanierungsplan vorgestellt hat und dami tbei López aufgelaufen ist. Der hatte ihm tags darauf in einem Statement öffentlich „Schönfärberei“ vorgeworfen und einen realistischen Plan angemahnt. In der Tat wurde ein Gutachten zum Sanierungsplan und der Mitgift in Auftrag gegeben. Der IDW-Standard des Instituts der Wirtschaftsprüfer beinhaltet auch grundsätzliche Einschätzungen, ob und wie ein Unternehmen überleben kann. Vor allem, welchen Finanzierungsbedarf es hat. Die Höhe der Mitgift ist derzeit der größte Streitpunkt zwischen Essen und Duisburg.

Allerdings ist nicht damit zu rechnen, dass nun alle Beteiligten monatelang die Füße still halten und untätig auf das Gutachten warten. Bereits für den kommenden Donnerstag hat Sigmar Gabriel zur nächsten Sitzung des Stahl-Aufsichtsrates geladen. Nach der letzten, dem Vernehmen nach äußerst turbulenten Zusammenkunft wird zumindest der Versuch einer Teilannäherung erwartet. So soll unter anderem über eine zweijährige Zwischenfinanzierung der Stahlsparte durch den Mutterkonzern Thyssenkrupp entschieden werden. Hinweise darauf, dass es zumindest in diesem Punkt inzwischen eine Einigung gegeben hat, gibt es bisher nicht.