Berlin. Unser Autor lebt in einer Hausgemeinschaft, seine Wohnung ist viel Geld wert – doch die notwendige Energiesanierung wird nicht klappen.

Am Anfang ging es um 2.000 Euro. Mittlerweile reden wir über eine Investition von fast einer Million Euro. Ich mache mir Sorgen. Woher sollen wir soviel Geld nehmen? Unser Haus, Baujahr 1880, steht mit seinen elf Wohnungen auf fünf Etagen in einem angenehmen Viertel der Berliner Innenstadt. Ich lebe im Hochpaterre des Vorderhauses.

Den Nachbarn unter, neben, über und hinter mir im Seitenflügel gehören ihre Wohnungen ebenfalls. Nun führen wir eine Debatte, die auch Millionen andere Immobilienbesitzende hierzulande beschäftigt. In gut 20 Jahren soll Deutschland klimaneutral sein. Das heißt: neue Fenster, Dämmung aller Außenflächen, schließlich eine neue Heizung.

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Hausversammlung im Februar 2024: Wie so oft versammeln wir uns in meiner Küche. 15 Leute sitzen um den alten ausgezogenen Tisch. Wein, Bier und Chips wurden mitgebracht. Unsere Treffen dauern oft bis in den späten Abend. Nach dem offiziellen Teil wird es locker. Was unser gemeinsames Haus angeht, haben wir ein gutes Verhältnis zueinander, in der Regel entscheiden wir im Konsens. Streit über Geld gab es bisher kaum.

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Kredit: 450 Euro pro Monat über 20 Jahre – das kann nicht jeder zahlen

Jetzt aber rechnet unsere Hausverwalterin vor, dass ein gemeinsamer Kredit, mit dem wir einen guten Teil der Energiesanierung finanzieren könnten, 450 Euro pro Monat und Wohnung kosten würde. 20 Jahre lang. Irritierte Blicke werden gewechselt, Arme vor der Brust verschränkt. Ein „Puh“ ist zu hören und ein „Wie soll das denn funktionieren?“ Nicht alle sagen etwas, aber es ist klar: Manche von uns können oder wollen solche Summen nicht aufbringen.

Bei den Mitgliedern einer Hausgemeinschaft herrschen häufig unterschiedliche finanzielle Voraussetzungen.
Bei den Mitgliedern einer Hausgemeinschaft herrschen häufig unterschiedliche finanzielle Voraussetzungen. © Shutterstock / Jacob Lund | Jacob Lund

In meinen Mails muss ich weit zurückgehen: Im Frühsommer 2021 taucht das Thema bei uns erstmals auf. Das Protokoll der Hausversammlung vermerkt, wir wollten „die Nutzung alternativer Energien für die Heizungs- und Warmwasserversorgung prüfen“. Ein Jahr später, im April 2022, beschließen wir, 2000 Euro aus unserem gemeinsam angesparten Hausvermögen freizugeben, damit ein Energieberater uns ein Gutachten erstellt. Wir wollen genauer wissen, was wir tun können – und wie viel das kostet.

Die meisten von uns zogen 2004 zum gleichen Zeitpunkt ein. Wir kauften unsere Wohnungen einzeln von einem Immobilienentwickler, der das Haus hatte sanieren lassen. Seitdem sind wir offiziell eine Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG), die für Teile der Immobilie – Keller, Außenwände, Dach, Leitungen, Heizung, Garten – gemeinsam verantwortlich ist.

Energiesanierung des Hauses würde eine halbe Million Euro kosten

Der Wohnungskauf war das beste Geschäft meines Lebens. Ein Quadratmeter kostete damals gut 1700 Euro. Kürzlich verkaufte einer unserer früheren Nachbarn seine Dachgeschosswohnung – und erzielte ungefähr 8000 Euro pro Quadratmeter. Was umgerechnet für meine Wohnung bedeutet, dass sie statt 200.000 Euro vor 20 Jahren nun 800.000 Euro wert wäre. Den anderen
geht es ähnlich. Vermögensmäßig sind wir fast Millionäre. Wobei das ein vorwiegend theoretischer Wert ist, solange man in der Wohnung lebt und sie nicht verkauft.

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    Als der Energieberater zu unserer WEG-Versammlung erscheint, bringt er ein 44-seitiges Gutachten mit, den „individuellen Sanierungsfahrplan“, gefördert vom Bundesamt für Wirtschaft. Unter dem Strich steht dort, dass die energetische Sanierung unseres Altbaus 560.000 Euro kosten würde. Darin enthalten: Dämmung der Außenwände, des Kellers und des Daches, damit weniger Wärme entweicht und verschwendet wird, neue Fenster, sowie eine neue Heizungsanlage.

    Langfristig soll der Erdgasbrenner durch eine elektrische Wärmepumpe plus Sonnenkollektoren ersetzt werden. Die Investitionen würden mit etwa 200.000 Euro vom Staat bezuschusst, erklärt uns der Ingenieur. Die verbleibenden 360.000 Euro amortisierten sich im Laufe von zehn Jahren, weil unsere Heizkosten auf ein Viertel sänken. Das klingt machbar und sinnvoll.

    „Wohnung ist jetzt viel Geld wert, aber davon kann ich kein Essen kaufen“

    Für die konkrete Bauplanung besucht uns einige Monate später eine Architektin. Sie klärt uns auf über den Wärmeverlust durch die alten Doppelkastenfenster und macht Vorschläge, wie wir die großen Haustüren sanieren könnten, durch die bisher im Winter der Frostwind pfeift. Schließlich schickt auch sie ein Gutachten, das nun eine erstaunliche Zahl erhält. Die Investition soll jetzt mit allem Drum und Dran 900.000 Euro betragen. Inzwischen ist es Ende 2023, und die Baupreise haben erheblich angezogen.

    Das ist die Lage, die wir im Februar 2024 mit unserer Hausverwalterin in meiner Küche diskutieren. Über den Daumen müssen wir jetzt davon ausgehen, dass die Klimaneutralität unseres Hauses pro Wohnung bis zu 100.000 Euro kostet: 900.000 geteilt durch elf, plus weitere Kostensteigerungen in den kommenden Jahren.

    Neue Fenster
    Ein Austausch der Fenster ist energetisch häufig sinnvoll, jedoch auch kostspielig. © picture alliance / photothek | Thomas Trutschel

    Wie viel Geld habe ich auf dem Konto? Diese Frage stellen sich jetzt alle, die am Tisch sitzen. Kann ich mir vielleicht von Freunden Geld leihen oder einen Bankkredit aufnehmen? Was kosten die Zinsen und die Tilgung? Kann ich mir die monatlichen Zusatzbelastung von 400, 500 oder 600 Euro leisten? Was bleibt dann von meinem Verdienst übrig? „Gut und schön“, bricht es aus einer Person heraus, „meine Wohnung ist jetzt eine Menge Geld wert. Aber davon kann ich kein Essen kaufen.“

    Hausgemeinschaft kann die Modernisierung nicht gemeinsam schultern

    Meine Nachbarin Margit zum Beispiel ist in dieser Lage: Sie arbeitet als Kunstlehrerin, ihr Mann als Musiklehrer. Für sich und ihre beiden Kinder haben sie etwa 2.500 Euro monatlich zur Verfügung. Weil sie noch dabei sind, den Kredit für die Wohnung abzubezahlen, bleiben vielleicht 1000 Euro zum Leben übrig. „Wir haben keinen Spielraum, eine zusätzliche Belastung verkraften wir momentan nicht“, sagt Margit.

    Vermögen auf dem Konto gibt es ebenso wenig, wie die Hoffnung auf eine Erbschaft. Deshalb ist es auf absehbare Zeit unmöglich, 100.000 Euro für die Energiesanierung aufzubringen. Stefanie und ihre Partnerin, zwei andere Nachbarinnen, kommen dagegen gut über die Runden. Sie beziehen solide Gehälter und haben ihre Wohnung bereits abbezahlt. „Die Investition ins Haus würde jetzt gerade gut passen“, sagt Stefanie.

    Innenraumdaemmung
    Die energetische Sanierung des Daches kostet eine Menge Geld, auch wenn ein Teil der Maßnahme gefördert wird. © picture alliance / photothek | Thomas Trutschel

    Was bedeutet das für unsere Hausgemeinschaft? So, wie es jetzt aussieht, werden wir die komplette Modernisierung in den nächsten Jahren nicht gemeinsam finanzieren können, denn einige Leute sind dazu nicht in der Lage. Die Dämmung der Außenwände und neue Fenster für alle Wohnungen wären schlicht zu teuer. Einzelne Wohnungseigentümer tauschen ihre Fenster vielleicht individuell aus.

    Bundeshaushalt: Förderprogramme gibt es, aber sie reichen nicht aus

    Was wir zusammen leisten können, sind kleinere Verbesserungen, die sich aus unserem gemeinsamen Hausvermögen bewältigen lassen – etwa neue, gut isolierende Haustüren. Auch eine ökologischere Heizung, die kein Erdgas mehr verfeuert, scheint finanzierbar. Dafür kommen eine Wärmepumpe oder der Anschluss an Fernwärme infrage. Allerdings haben wir es künftig dann möglicherweise mit diesem Problem zu tun: Wir heizen zwar umweltbewusst, verschwenden durch die ungedämmten Wände aber viel Energie. Und die steigenden Heizkosten fressen unsere Einnahmen.

    Was würde dieses Problem lösen? Geld für diejenigen, die die Sanierung nicht alleine zu stemmen in der Lage sind. Förderprogramme gibt es heute bereits, aber sie reichen nicht aus. Der Staat könnte mehr Zuschüsse zur Verfügung stellen für Eigentümerinnen und Eigentümer, die nachweislich keine ausreichenden Einkommen und Vermögen haben.

    Denn ohne weitere Mittel könnte die Sanierung von Millionen Gebäuden in Deutschland unterbleiben und die Energieverschwendung weitergehen. Andererseits erscheint dieser Finanzierungswunsch unrealistisch. Der Bundeshaushalt ist schon mit den existierenden Programmen überfordert. Und viele Bürger würden es für ungerecht halten, dass vermögende Hausbesitzende zusätzlich mit Steuergeld gefördert werden.

    Am Ende bleibt Investition von 45.000 Euro für dichte Haustüren übrig

    Hausversammlung im Juni 2024: Wieder stehen Chips, Wein und Bier auf meinem Küchentisch. Die Stimmung ist etwas gelöster als beim vorangegangenen Haustreffen. Inzwischen haben wir viel diskutiert. Eine mögliche Lösung bestünde darin, dass wir zunächst einen kleinen Schritt machen, uns zum Beispiel auf den Einbau dichter Haustüren und die Dämmung des Hausflurs beschränken.

    Die Hausverwalterin ruft den Tagesordnungspunkt auf: „Wer ist dafür, maximal 45.000 Euro freizugeben?“ Diesen Betrag könnten wir einfach von unserem gemeinsamen Konto nehmen. Doch die Abstimmung bringt eine Überraschung: Nur drei Wohnungen sind dafür, zwei dagegen und sechs enthalten sich. Das Vorhaben ist beschlossen, aber mit einer mageren Mehrheit.

    Die meisten meinen wohl: Eine so große Summe für ein paar Haustüren auszugeben, sei Geldverschwendung angesichts der damit erzielbaren, bescheidenen Energieeinsparung. Wir stecken in der Klemme: Das Realistische ist meinen Nachbarn zu wenig, das Wünschenswerte zu teuer.