Duisburg. Heftige Verhandlungen bei Thyssenkrupp zum Stahl: Mit Spannung erwartete Aufsichtsratssitzung fällt aus. Es gibt einen neuen Zeitplan.

Eigentlich war alles vorbereitet. Pünktlich zum vermeintlichen Tag der Entscheidung bei Thyssenkrupp sollte die eilig von Beschäftigten geschmiedete „Flamme der Solidarität“ am kommenden Montag nach einer Reise durchs Land am größten Konzernstandort Duisburg ankommen. Am 29. Juli sollten sich die Aufsichtsräte von Thyssenkrupp Steel versammeln, um sich mit einem neuen „Business-Plan“ für Deutschlands größten Stahlkonzern zu befassen. Doch dazu kommt es nicht.

Das mit Spannung erwartete Treffen ist abgesagt worden. Ein entsprechendes Schreiben habe Sigmar Gabriel, der ehemalige Vizekanzler, der nun Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp Steel ist, zum Wochenstart verschickt, berichten mehrere Insider übereinstimmend. Eine neue außerordentliche Sitzung des Gremiums sei nun für den 9. August geplant.

Seit Wochen ringen die Vorstände des Mutterkonzerns mit Miguel López an der Spitze mit der Steel-Konzernführung um die Finanzierung des Stahlherstellers, zu dem rund 27.000 der 100.000 Beschäftigten von Thyssenkrupp gehören.

Sigmar Gabriel, der Aufsichtsratsvorsitzende von Thyssenkrupp Steel, hat eine mit Spannung erwartete Sitzung des Kontrollgremiums verschoben.
Sigmar Gabriel, der Aufsichtsratsvorsitzende von Thyssenkrupp Steel, hat eine mit Spannung erwartete Sitzung des Kontrollgremiums verschoben. © dpa | Britta Pedersen

Arbeitnehmervertreter von Thyssenkrupp Steel zeigen sich besorgt über die finanzielle Ausstattung der Stahlsparte mit ihrem großen Standort Duisburg. Olaf Vopel, Vize-Betriebsratschef am Standort Duisburg Hamborn/Beeckerwerth, sagte unlängst, er befürchte eine Kettenreaktion, „die im schlimmsten Fall unser Sargnagel sein kann“.

Arbeitnehmervertreter verweisen auf das Aus für den Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag (BGAV) zwischen dem Essener Mutterkonzern und Thyssenkrupp Steel. Der BGAV laufe mit dem Einstieg des tschechischen Geschäftsmanns Daniel Kretinsky bei Thyssenkrupp Steel automatisch am 30. September aus. Dies komme einer Verselbstständigung des Stahlbereiches gleich. Damit müssen zwischen der Konzernmutter in Essen und der Stahlsparte in Duisburg die Finanzströme neu geregelt werden. Es soll um eine Größenordnung von drei oder vier Milliarden Euro gehen. „Pensionen und Basisinvestitionen verschlingen pro Jahr bereits eine Milliarde Euro“, mahnt Vopel. Thyssenkrupp-Vorstandschef López will indes bilanzielle Belastungen durch die Stahlsparte in der Konzernbilanz möglichst verhindern.

„Hauen und Stechen zwischen Duisburg und Essen“

Es gebe derzeit „ein Hauen und Stechen zwischen Duisburg und Essen“, sagt ein Insider. Die Stimmung sei angespannt. „Die Situation ist extrem zugespitzt“, berichtet ein Beteiligter. Zum Teil werden Äußerungen wie diese auch relativiert. Die laufenden konzerninternen Gespräche seien vergleichbar mit Tarifverhandlungen, in die beide Seiten zunächst mit Maximalforderungen gegangen seien, heißt es dann.

Auf Anfrage unserer Redaktion erklärt Thyssenkrupp Steel: „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir keine Zwischenstände zu laufenden Gesprächen geben können. Richtig ist, dass derzeit verschiedene Arbeitsgespräche angesetzt sind.“ Das Ziel sei, „im Sommer eine abschließende Beratung“ des Business-Plans im Aufsichtsrat von Thyssenkrupp Steel zu erreichen. „Wann genau das sein wird, können wir Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt leider noch nicht sagen.“

Betriebsräte von Thyssenkrupp reichen die „Flamme der Solidarität“ weiter, hier Kirsten Zeitler und Dirk Stahlschmidt.
Betriebsräte von Thyssenkrupp reichen die „Flamme der Solidarität“ weiter, hier Kirsten Zeitler und Dirk Stahlschmidt. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

Und so haben die Betriebsräte entschieden, dass auch die Tour der „Flamme der Solidarität“ ausgedehnt wird. Im Weißblech-Werk Rasselstein im rheinland-pfälzischen Andernach hat die Reise begonnen, es folgten Standorte wie Finnentrop, Hagen, Dortmund, Bochum und Gelsenkirchen. „Wir verlängern die Solidaritätstour“, sagt Dzenan Kurspahic, der Geschäftsführer des Gesamtbetriebsrats. Eine der nächsten Stationen: das Werk von HKM im Duisburger Süden, das möglicherweise verkauft oder geschlossen werden soll.

Viele offene Fragen zur Finanzierung von Thyssenkrupp Steel

Der Vorstand von Thyssenkrupp Steel will Deutschlands größten Stahlkonzern für eine deutlich geringere Produktion neu zuschneiden. Bislang sind die Anlagen auf eine Jahresproduktion von rund 11,5 Millionen Tonnen ausgelegt. Künftig sollen es lediglich neun bis 9,5 Millionen Tonnen sein. Es werde einen „noch nicht bezifferbaren Abbau von Arbeitsplätzen“ geben, hatte das Management schon vor Wochen verkündet, ohne Jobzahlen zu nennen. Tausende Arbeitsplätze könnten wegfallen. Die Einschnitte sozial abzufedern, kostet zunächst einmal Geld.

Fragen zur Finanzierung entstehen auch mit Blick auf die Zukunft des Duisburger Stahlherstellers HKM, an dem Thyssenkrupp Steel zur Hälfte beteiligt ist. Verkaufsinteresse wird der Hamburger Beteiligungsgesellschaft CE Capital Partners nachgesagt. Es ist aber fraglich, ob mit einem etwaigen Deal Geld in die Kasse von Thyssenkrupp fließen könnte. Im Falle einer Schließung von HKM würden vermutlich Beschäftigten, die ihren Job derzeit im Süden Duisburgs haben, alternative Arbeitsplätze am Stahlstandort im Norden der Stadt angeboten. Auch ein solches Manöver, um betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden, hätte wohl seinen Preis.

Betriebsräte von Thyssenkrupp Steel treffen sich bei Konferenz in Duisburg

Für den kommenden Dienstag (30. Juli) planen die Arbeitnehmervertreter von Thyssenkrupp Steel eine Betriebsräte-Vollkonferenz in Duisburg mit rund 250 Teilnehmern aller Standorte. Auch Thyssenkrupp-Stahlchef Bernhard Osburg ist eingeladen. Osburg ist es, der nach dem Willen von Konzernchef López den neuen „Business-Plan“ präsentieren soll.

Der Druck, der auf López lastet, ist groß. Die Aktie von Thyssenkrupp näherte sich unlängst wieder dem historischen Tiefstand vom 18. März 2020, als ein Wertpapier des Traditionskonzerns nur 3,28 Euro gekostet hat. In guten Zeiten des Unternehmens mussten Anleger ein Vielfaches auf den Tisch legen – beim Rekord am 30. Oktober 2007 sogar 46,92 Euro. Zuletzt rangierte die Aktie bei etwa 3,80 Euro. Damit hat der Traditionskonzern gerade einmal noch einen Marktwert von knapp 2,4 Milliarden Euro.

Zum Vergleich: Rund zwei Milliarden Euro will der Staat aus Steuermitteln für den Aufbau einer Grünstahl-Produktion in Duisburg beisteuern. Damit kann allerdings lediglich einer von sechs Hochöfen in der Stadt ersetzt werden.

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