Bochum. Der Prozess um die illegale Entsorgung giftiger Ölpellets endet mit Bewährungsstrafe. Richter rügt in Urteilsbegründung den BP-Konzern.
Die Prozesskette zur Aufarbeitung des Ölpellet-Skandals um die Entsorgung von hochgiftigen Rückständen aus der Gelenkirchener BP-Raffinerie hat ihr vorläufiges Ende gefunden. Das Bochumer Landgericht sprach den Müllmakler Ingo L. aus Mülheim schuldig, die illegale Verklappung großer Mengen des toxischen Gemisches in einer Tongrube zwischen Schermbeck und Hünxe organisiert zu haben. Allerdings bleiben viele Fragen offen und werden womöglich nie beantwortet. Etwa zur Mitverantwortung des BP-Konzerns, die dieser strikt von sich weist. Dem Vorsitzenden Richter Markus van den Hövel war die Rolle des Ölkonzerns in seiner Urteilsbegründung aber ein paar Sätze wert.
Ingo L. verurteilte die Wirtschaftsstrafkammer zu einer weiteren Haftstrafe von einem Jahr und vier Monaten. Da zu dieser Umweltstraftat frühere, bereits verhängte Strafen unter anderem wegen Bestechung hinzukommen, verhängt das Gericht eine Gesamtstrafe von drei Jahren. Weil er bereits zwei Jahre und zwei Monate in Untersuchungshaft saß und nur zwei Drittel der Strafe zu vollstrecken seien, muss er nicht mehr ins Gefängnis. Ingo L. hatte zu Beginn dieses Prozesses im vergangenen Jahr noch ein Geständnis angekündigt unter der Bedingung, nicht länger als ein weiteres Jahr ins Gefängnis zu müssen. Das Geständnis blieb aus, sein Anwalt plädierte am Freitag stattdessen auf Freispruch. Trotzdem fiel das Urteil milder aus als vom Angeklagten ursprünglich angeboten.
Richter: Tausende Lkw nicht ohne Wissen der Firma Nottenkämper
Die Verteidigung kann in Revision und vor den Bundesgerichtshof gehen. Ob sie das angesichts des offenbar unerwartet niedrigen Strafmaßes auch tut, ließ der Verteidiger gegenüber unserer Redaktion nach dem Prozess offen. In seinem Plädoyer hatte er diesen Schritt noch angekündigt, weil er davon ausging, dass der Richter dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf 13 noch abzusitzende Monate in etwa folgen würde.
Für die vom Niederrhein angereisten Vertreter der betroffenen Anwohner waren aber die Nebensätze wichtiger, die Richter van den Hövel in seine Urteilsbegründung einfließen ließ. Dabei ging es um die Rolle von BP und des Tongruben-Betreibers Nottenkämper. Es sei für ihn und die Kammer „schwer zu glauben, dass dass das alles ohne Wissen der Firma Nottenkämper erfolgt ein soll“, sagte der Richter. Und verwies auf die schiere Menge der rund 25.000 Tonnen bei Nottenkämper verklappten Ölpellets. „Tausende Lkw“ hätten das „Sauzeug“, wie van den Hövel es in einem früheren Termin formulierte, in die Grube gekippt. Das habe nicht an der Firma vorbei geschehen können, legte sich der Vorsitzende Richter fest.
Auch von „BP hätten wir uns ein anderes Vorgehen gewünscht“, sagt van den Hövel an die Adresse des Ölkonzerns, dessen Tochter Ruhr Oel die Raffinerie betreibt. Detaillierter wurde er nicht. Das übernahm der Verteidiger von Ingo L., der in seinem Schlussplädoyer der Staatsanwaltschaft „Nichtermittlungen gegen Ruhr Oel, den Kreis Wesel und Nottenkämper“ vorwarf. BP hatte seinerzeit eigens eine Taskforce zur Entsorgung der Ölpellets eingesetzt. Die Raffinerie-Rückstände waren zuvor vollständig im benachbarten Uniper-Kohlekraftwerk (damals Eon) verbrannt worden. Als das Kraftwerk nicht mehr die gesamte Menge abnehmen konnte, musste BP andere Wege finden, die giftigen Pellets loszuwerden.
Mehrere Brände durch Selbstentzündung der giftigen Ölpellets
Zunächst gingen sie an einen anderen, inzwischen ebenfalls verurteilten Müllmakler. Nachdem mehrere der illegalen Lager durch die selbstentzündlichen Pellets in Brand geraten waren, kam Ingo L. ins Spiel. Er bot an und organisierte die Verklappung bei Nottenkämper in Schermbeck, der Firma, für die er seinerzeit als Prokurist arbeitete. Zuvor wurden die Ölpellets mit Recyclingsand gemischt und vom Recyclingzentrum Bochum (RZB) zur Tongrube abtransportiert. Ingo L.s Verteidiger betont, die Leute von BP hätten vor Ort „gesehen, was die da machen“.
Der BP-Konzern wie auch die Firma Nottenkämper weisen jede Mitverantwortung zurück und sehen sich selbst als Opfer. Die Hünxer Firma begrüßte das Urteil als „Schlusstrich“ , der „endgültige Klarheit“ schaffe darüber, „wie in den Jahren 2010 bis 2013 eine größere Menge sogenannter ‚Ölpellets‘ ohne unser Wissen in die damalige Abgrabung Mühlenberg verfüllt und einplaniert werden konnte“, erklärte das Unternehmen am Freitag. Nottenkämper sei „Geschädigte der kriminellen Energie einer Gruppe rund um den jetzt Verurteilten Ingo L.“
Anwohner fühlen sich durch Urteil bestätigt
Der Gahlener Umweltschutzverein, den Anwohner nach Bekanntwerden des Umweltskandals 2014 gegründet haben, glaubt das nicht. „Wir fühlen uns von der Kammer darin bestätigt, was wir immer gesagt haben: Das muss ein Gemeinschaftswerk gewesen sein, bei den Mengen kann das nicht ohne Wissen Nottenkämpers geschehen sein“, sagte Matthias Rittmann unserer Redaktion nach der Urteilsverkünsung. „Dazu passt die Opferrolle, die Nottenkämper für sich reklamiert, nicht“, ergänzte Stefan Steinkühler.
Der kreative Kopf bei der Organisation der illegalen Entsorgung war allerdings auch nach Überzeugung des Gerichts Ingo L. Bei Richter van den Hövel hängen geblieben ist die Aussage eines Zeugen, dem Ingo L. nach den Durchsuchungen der Staatsanwaltschaft gesagt haben soll: „Du kannst mir ja eine reinhausen, vielleicht geht‘s Dir dann besser.“ So etwas denke man sich nicht aus.
Staatsanwalt: 340.000 Euro Reingewinn aus illegaler Verklappung
Die Kammer folgte Staatsanwalt Helm in der Überzeugung, dass Ingo L. die Art der Vermischung angewiesen und durch Beeinflussung eines Nottenkämper-Mitarbeiters dafür gesorgt habe, dass die Ladungen „an der Waage“ nicht entsprechend kontrolliert wurden. Rund 340.000 Euro Reingewinn habe Ingo L. auf diese Weise gemacht. Eine höhere Strafe wegen „unsittlicher Gewinnsucht“ lehnte das Gericht aber ab.
Strafmildernd wirkte sich zudem die extrem lange Dauer der Verfahren aus. Die Straftaten sind ein gutes Jahrzehnt her. Verschiedene Delikte von Bestechung bis zur Umweltstraftat wurden gesondert verhandelt, zudem das Verfahren gegen den zweiten beteiligten Müllmakler abgekoppelt.
Angeklagter hatte Suizid vorgetäuscht und war in Namibia untergetaucht
Allerdings ist Ingo L. nicht ganz unschuldig daran, dass es sich derart gezogen hat. Als Hauptverdächtiger der Bochumer Staatsanwaltschaft hat er 2017 zuerst seinen Suizid vorgetäuscht, ist dann in Namibia abgetaucht, wo ihn Zielfahnder des Bundeskriminalamts aufgriffen. Es folgten Untersuchungshaft, Prozess und Verurteilung wegen Bestechung und Steuerhinterziehung zu zwei Jahren und sieben Monaten Haft.
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Von der Tongrube gehen nach bisherigen Erkenntnissen keine aktuen Umweltgefahren aus. Es muss aber fortwährend Sickerwasser aufgefangen und gereinigt werden, um das toxische Gemisch dauerhaft vom Grundwasser fernzuhalten. Die Ewigkeitskosten dafür muss Nottenkämper übernehmen. Glücklich sind die Anwohner mit der giftigen Halde nebenan freilich nicht.
Gelsenkirchener sind „wütend und verärgert“ über Pelletlagerung bei BP
Besorgte Anwohner gibt es auch in Gelsenkirchen. Auf Druck des Stadtrates verbrennt BP die Ölpellets seit 2022 nicht mehr im Uniper-Kraftwerk. Nun darf Ruhr Oel auf seinem Werksgelände künftig 400 statt 100 Tonnen des mit den Schwermetallen Nickel und Vanadium belasteten Materials zwischenlagern. Eine entsprechende Genehmigung erteilte im April die Bezirksregierung Münster. Die Gelsenkirchener Politik und die Anwohner kritisieren das scharf.