Berlin. Die Klimakrise bedroht heimische Wälder. Doch für den Umbau sind weit weniger Baumarten geeignet als bislang gedacht, zeigt eine neue Studie.

Es ist dieses Bild, das aufschreckt: Touristen stapfen unter gespenstisch wirkenden Fichtengerippen hoch auf den Brocken, den höchsten Berg im Harz. Der Wald in Deutschland entwickelt sich zum Dauerpatienten, so lautet das Fazit des neuen Zustandsberichtes der Bundesregierung. Trotz besserer Bedingungen im vergangenen Jahr sei nur einer von fünf Bäumen gesund.

Die Klimakrise zwingt zum Umbau, und Projekte gibt es in Europa bereits etliche. Eine neue Studie zeigt jedoch nun: Die Zahl dafür geeigneter heimischer Baumarten schrumpft. Zwischen einem Drittel und der Hälfte könnten den Klimabedingungen zum Ende des Jahrhunderts je nach Region nicht mehr gewachsen sein. „Das ist ein enormer Rückgang“, sagt Erstautor Johannes Wessely von der Universität Wien, „insbesondere, wenn man bedenkt, dass nur ein Teil der Arten forstwirtschaftlich interessant ist“.

Waldumbau: Fichte und Kiefe sind die häufigsten Baumarten – das schafft Probleme

Die Baumsterblichkeit habe in den letzten drei Jahrzehnten in Europa bereits stark zugenommen, schreibt das Forschungsteam im Fachjournal „Nature Ecology Evolution“. Der errechnete Arten-Engpass erschwere es, dem Waldverlust entgegenzuwirken – gerade mit Blick auf die Schaffung von Mischwäldern, die als besonders widerstandsfähig angesehen werden.

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In Deutschland sind laut Bundeswaldinventur 2012 gut elf Millionen Hektar bewaldet, etwa ein Drittel der Landesfläche. Fast die Hälfte des Waldes in Deutschland ist in Privatbesitz. Die häufigsten Baumarten sind Fichte und Kiefer, weil im Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert hinein viele natürliche Wälder kahlgeschlagen und mit diesen schnell wachsenden Baumarten aufgeforstet wurden.

Forstwirtschaft: Wahl der Baumarten wirkt über Jahrzehnte

Diese Monokulturen erweisen sich heute als besonders anfällig für Veränderungen im Zuge des Klimawandels wie mehr langanhaltende Trockenphasen, Hitze, häufigere Waldbrände, intensivere Herbststürme und Schädlinge wie den Borkenkäfer. Im Harz stehen ähnlich wie im Sauerland in einigen Gebieten kaum noch gesunde Bäume.

Ein Waldumbau hin zu Mischwald ist in vielen betroffenen Regionen das Ziel. Die Wahl der Baumarten dafür sei eine der wichtigsten Managemententscheidungen in der Forstwirtschaft, geben die Forscher um Wessely und Rupert Seidl von der Technischen Universität München zu bedenken. Bäume sind langlebig, Entscheidungen wirken sich daher über viele Jahrzehnte bis Jahrhunderte aus.

Der Artenpool in Europas Wäldern ist kleiner als in Nordamerika oder Ostasien

„Bäume, die jetzt zur Wiederaufforstung gepflanzt werden, müssen sowohl unter heutigen wie auch zukünftigen Bedingungen bestehen“, erklärt Wessely. „Das ist deshalb schwierig, weil sie sowohl Kälte und Frost der nächsten Jahre wie auch einem deutlich wärmeren Klima Ende des 21. Jahrhunderts standhalten müssen. Da bleibt nur eine sehr kleine Schnittmenge.“

Ein Grundproblem ist, dass europäische Wälder von Natur aus weniger Baumarten beherbergen als solche in klimatisch vergleichbaren Gebieten Nordamerikas und Ostasiens. Der Klimawandel schränkt diesen Artenpool nun noch stärker ein, wie die aktuelle Studie ergab.

Zwölfzähnige Kiefernborkenkäfer kriechen auf einem Stamm einer Kiefer deren Rinde entfernt wurde durch Fraßgänge.
Zwölfzähnige Kiefernborkenkäfer kriechen auf einem Stamm einer Kiefer deren Rinde entfernt wurde durch Fraßgänge. © DPA Images | Klaus-Dietmar Gabbert

Klimawandel-Szenarien: Die Zahl heimischer Baumarten wird abnehmen, sagen Forscher

Das Forschungsteam um Wessely und Seidl hatte die derzeitige Verbreitung von 69 der knapp über 100 europäischen Baumarten mit Daten von mehr als 238.000 Standorten in Europa untersucht. Für die einzelnen Regionen wurde für verschiedene Klimawandelszenarien modelliert, welche Baumarten über das gesamte 21. Jahrhundert für eine Aufforstung geeignet bleiben.

Die durchschnittliche Zahl verwendbarer heimischer Baumarten pro Quadratkilometer könnte demnach zwischen 33 und 49 Prozent abnehmen. Mit dem Engpass drohen negative Auswirkungen auf die Holzproduktion, die Kohlenstoffspeicherung und die Erhaltung der biologischen Vielfalt. Stark schwinden wird den Ergebnissen zufolge beispielsweise der derzeitige Artenpool in Südwesteuropa. Weniger betroffen werde Mittelosteuropa sein.

Auch in den großen europäischen Gebirgszügen bleibe der Anteil der Baumarten, die derzeit in diesen Gebieten klimatisch geeignet sind und es während des gesamten Jahrhunderts bleiben, vergleichsweise hoch. Der Grund sei wahrscheinlich, dass viele Baumarten in diesen Regionen derzeit an der Grenze ihres tolerablen Kältebereichs stehen – künftig werden die Temperaturbedingungen für sie also eher günstiger.

Christoph Leuschner von der Georg-August-Universität Göttingen zufolge dürfte regional in trockeneren Tieflagen selbst der aktuelle Hoffnungsträger der Forstwirtschaft – die Douglasie – an Vitalität verlieren. „Die Eichen dürften noch am ehesten mit der Erwärmung zurückkommen.“ Aber auch für sie gebe es erhebliche Risiken, zum Beispiel durch mehr Schädlinge und Krankheiten.

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Insekten, Pilze, Krankheiten: Die Erwärmung schleppt neue Schädlinge ein

Einflüsse wie mehr Insekten und Pilze im Zuge des Klimawandels seien bei den in der Studie vorgestellten Szenarien noch gar nicht umfassend berücksichtigt. „Gravierende Schäden wie heute bei Esche, Schwarzerle oder auch Bergahorn können auch andere Arten treffen, die heute noch die Leistungsträger sind“, sagt Leuschner, der selbst nicht an der aktuellen Studie beteiligt war.

„Die vergangenen Jahre haben uns doch mehr als deutlich gezeigt, dass klimatischer Stress in vielen Fällen zu einer verstärkten Anfälligkeit gegenüber biotischen Störungsfaktoren führt“, sagt auch Henrik Hartmann vom Julius Kühn-Institut (JKI) in Quedlinburg. Dabei gehe es nicht nur um bekannte Probleme wie den Borkenkäfer oder die Rußrindenkrankheit beim Ahorn. „Globaler Wandel bedeutet ja auch, dass neue Arten eingeschleppt werden – zum Beispiel Eschentriebsterben, Eichennetzwanze – mit oft verheerenden Konsequenzen für bestehende Waldgemeinschaften.“ Durch solche Einflüsse könnte die Bandbreite geeigneter Baumarten noch stärker reduziert werden, befürchtet Hartmann.

Sollen bei der Wiederaufforstung auch nicht-heimische Baumarten angepflanzt werden?

Leuschner gibt ergänzend zu bedenken, dass Förster unter „Mischwäldern der Zukunft“ keine artenreichen Mischwälder, sondern fast immer Zwei-Art-Mischungen verstünden, in der Regel eine produktive Konifere wie die Douglasie und einen Laubbaum wie die Buche. Stresstolerante Laubbaumarten wie Spitzahorn, Hainbuche, Winterlinde und Elsbeere fehlten in der Waldbauplanung weitestgehend, weil die Holzindustrie komplett auf Nadelholz eingestellt sei. „Hier müsste eine wahre Waldwende ansetzen und die stoffliche Holznutzung auf Laubholz umstellen.“

Arthur Gessler von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmensdorf (Schweiz) fordert, dass auch über Pflanzen nicht-heimischer Baumarten gesprochen werden müsse. „Ihr Einsatz könnte das Artenportfolio deutlich erhöhen – aber es muss intensiv abgewogen werden, welche Vor- und welche Nachteile jede neue Baumart mit sich br

In der Summe gehen die Experten davon aus, dass die Studie die Folgen der Klimakrise eher noch unterschätzt. „Es ist schon erstaunlich, dass viele immer noch davon ausgehen, den Wald in seiner jetzigen Form und Zusammenstellung bei sich gleichzeitig rasch und dramatisch veränderten klimatischen Bedingungen erhalten zu können oder zu wollen“, sagt Hartmann. „Die Studie zeigt in aller Deutlichkeit, dass einige der für uns heimischen Baumarten es in Zukunft nicht mehr sein werden.“ dpa

Dies ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung. Die Digitale Sonntagszeitung ist für alle Zeitungsabonnenten kostenfrei. Hier können Sie sich freischalten lassen.Sie sind noch kein Abonnent? Hier geht es zu unseren Angeboten.