Essen. Wie extrem werden die Folgen des Klimawandels? Das ist die Top 5 der Klimastudien, die 2023 weltweit für die meisten Schlagzeilen gesorgt haben.

Die globale Erderwärmung treibt das Klima in die Extreme. 2023 war das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen, und auch 2024 beginnt mit einer neuen schlechten Nachricht: Von Februar 2023 bis Januar 2024, zwölf Monate in Folge, war es durchschnittlich über 1,5 Grad wärmer als im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter, hat das EU-Programm Copernicus mitgeteilt.

Hunderte Forschungsarbeiten zum Klimawandel sind im vergangenen Jahr in Fachzeitschriften erschienen. Manche sorgten für Schlagzeilen, sie wurden in Nachrichtenartikeln in Zeitungen, Online-Blogs, auf Portalen oder in Social-Media-Kanälen erwähnt.
Wie oft eine Studie Aufmerksamkeit erregt, erfasst das Data-Science-Unternehmen Altmetric Jahr für Jahr. Die britische Website Carbon Brief, die sich auf Klimawandel und Energiethemen spezialisiert hat, wertet die Daten jährlich aus und erstellte eine Liste der 25 wichtigsten Klimastudien des abgelaufenen Jahres.

Das sind die fünf Forschungsarbeiten, die 2023 für die meisten Schlagzeilen und Diskussionen gesorgt haben.

1. Trotzdem keine gute Nachricht: Das Schelfeis der Antarktis nimnmt zu

Die meistdiskutierte Arbeit des Jahres 2023 erschien am 16. Mai in der Fachzeitschrift „The Cyrosphere“. Sie wurde von Julia Andreasen ( University of Minnesota) zusammen mit Anna Hogg und Heather Selley (beide School of Earth and Environment der University of Leeds) veröffentlicht. In ihren Ergebnissen, die anhand von Satellitenbeobachtungen gewonnen wurden, stellten sie fest, dass „das antarktische Schelfeis von 2009 bis 2019 um 660,6 Gigatonnen Eismasse zugenommen hat“. Als Schelfeis bezeichnet man eine Eisplatte, die auf dem Meer schwimmt und unter anderem von Gletschern gespeist wird. Laut Studie habe sich die Fläche der antarktischen Schelfe seit 2009 um 5305 Quadratkilometer vergrößert, wobei sich 18 Schelfe zurückzogen und 16 größere Schelfe an Fläche zunahmen.

Das Eis in der Antarktis nimmt zu? Dieser vermeintliche Widerspruch zu den Folgen der globalen Erderwärmung führte dazu, dass das Papier vor allen in den Kreisen der Klimaskeptiker geteilt wurde. Altmetric stellte fest, dass das Papier auf Twitter mehr als 63.000 Beiträge von rund 48.000 Konten sammelte. Zitiert wurde die Studie insbesondere von prominenten Klimaskeptikern, um Bedenken hinsichtlich des Klimawandels und des Verlusts des antarktischen Eises zu zerstreuen, so das britische Portal Carbon Brief.

Tatsächlich aber sei das beschriebene Phänomen der Ausdehnung des Schelfeises eine schlechte Nachricht, stellte Raúl Cordero, Klimatologe an der Universität Hannover und an der Universität Santiago in Chile, klar. Es bedeute nicht, dass das Eis insgesamt zunehme, sondern vielmehr, dass das Eis in den hoch gelegenen Gebieten der Antarktis aufgrund der globalen Erwärmung schneller schmilzt und ins Meer fließt. Die Tatsache, dass das Schelfeis wachse, deute vielmehr drauf hin, dass „die Antarktis leider aus dem Massengleichgewicht geraten ist.“

2. Was der Ölkonzern Exxon Mobil über den Klimawandel wusste

Der Ölkonzern ExxonMobil hat bereits sehr früh und wissenschaftlich präzise die globale Erwärmung als Folge des Verfeuerns fossiler Brennstoffe vorhergesagt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der US-Universität Harvard und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), die im Januar im Journal Science erschien. Die Autoren, darunter der deutsche Klimaforscher Stefan Rahmstorf, werteten darin zum ersten Mal die internen Prognosen des Unternehmens zwischen 1977 und 2003 aus.

Die Ergebnisse zeigen, dass ExxonMobil vor Jahrzehnten „so viel über die globale Erwärmung wusste wie akademische und staatliche Wissenschaftler“, heißt es in dem Papier. „Während diese Wissenschaftler daran arbeiteten, ihr Wissen mitzuteilen, bemühte sich ExxonMobil, es zu leugnen.“

Laut Carbon Brief wurde über die Studie in 823 Nachrichten von 555 Medien berichtet. Mit Blick auf alle Themen zähle die Arbeit zu den zwölf Papieren, über die im Jahr 2023 am häufigsten gesprochen worden sei.

Mais wächst auf einem Feld in der Region Hannover. Dürre und Hitze sorgten in den vergangenen Jahren in Europa immer wieder für Ernteausfälle. Eine Studie gibt die Zahl der Hitzetoten in 2022  mit 60.000 an.
Mais wächst auf einem Feld in der Region Hannover. Dürre und Hitze sorgten in den vergangenen Jahren in Europa immer wieder für Ernteausfälle. Eine Studie gibt die Zahl der Hitzetoten in 2022 mit 60.000 an. © dpa

3. Die Top-News in den Zeitungen: Die Hitzetoten in Europa

Platz drei der Liste: die Studie „Hitzebedingte Sterblichkeit in Europa im Sommer 2022 “, die im Juli 2023 in der Fachzeitschrift Nature Medicine erschien. Darin kam ein Team von Forschern unter Führung von Joan Ballester vom Barcelona Institute for Global Health zu dem Ergebnis, dass es in Europa im bislang heißesten Sommer von 2022 mehr als 60.000 hitzebezogene Todesfälle gegeben habe. Deutschland habe mit 8173 Toten die drittmeisten Hitzeopfer zu beklagen, nach Italien (18.010 Tote) und Spanien (11.324 Tote).

Hitzebezogene Todesfälle sind nur schwer zu erfassen, da Hitze als direkte Todesursache selten angegeben wird. Laut dem Statistischen Bundesamt sind es hierzulande nur 19 Fällen pro Jahr. In der Studie stützten sich die Forscher auf eine riesige Datenbasis: mehr als 45 Millionen Todesfälle zwischen Januar 2015 und November 2022 aus 823 zusammenhängenden Regionen in 35 Ländern.

Die Studie wurde in 943 Nachrichtenbeiträgen von mehr als 650 Medien aufgegriffen. Das war die größte Anzahl aller Zeitungsmeldungen in den Top 25.

4. In Forscherkreisen umstritten: Steht der Golfstrom kurz vor dem Kollaps?

Der Klimaforscher Peter Ditlevsen und die Mathematikerin Susanne Ditlevsen von der Universität Kopenhagen veröffentlichten im Juli 2023 in der Zeitschrift Nature Communications eine Studie, die polarisierte. Darin sagten die Autoren voraus, dass der für das Klima in Nordeuropa so wichtige Golfstrom kurz vor dem Kollaps stehe und schon in wenigen Jahren zusammenbrechen könne – „mit Sicherheit aber bis Ende des 21. Jahrhunderts.“ Die Forscher untersuchten die Oberflächentemperaturen im Nordatlantik und überblickten damit Daten aus einer Zeit von 1870 bis 2020.

Die Arbeit wurde in 672 Artikel von mehr als 500 Medien erwähnt. In der Wissensgemeinde aber stieß sie auch auf Kritik. Mehrere Forscherinnen und Forscher halten die Studie für fehlerhaft, die Prognose für unhaltbar.

5. Dem Patienten Erde geht es schlecht: Sechs Grenzen des Planeten überschritten

Im September 2023 veröffentlichte ein Forscherteam unter Führung von Katherine Richardson von der Universität Kopenhagen eine Studie über den Zustand des Erdsystems. „Die Erde ist ein Patient, dem es nicht gut geht“, sagt Koautor Johan Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) über das Ergebnis.

Laut Studie seien sechs der neun sogenannten Grenzen der planetaren Belastbarkeit bereits überschritten: bei der globalen Erwärmung, der Biosphäre, der Entwaldung, den Stickstoffkreisläufen, den Schadstoffen und für das Süßwasser. Zwar sind all diese Grenzüberschreitungen nicht unbedingt gleichbedeutend mit drastischen, sofort sichtbaren Veränderungen, dennoch markieren sie eine kritische Schwelle, so Richardson. „Wir können uns die Erde als einen menschlichen Körper vorstellen und die planetaren Grenzen als eine Form des Blutdrucks. Ein Blutdruck von über 120/80 bedeutet zwar nicht, dass ein sofortiger Herzinfarkt droht. Aber er erhöht das Risiko.“

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