Garzweiler. Wo sich jetzt eine Mondlandschaft erstreckt, sollen bald Wildpferde leben. Warum die RWE-Ökostrom-Chefin im Braunkohlerevier Kröten herumreicht.

Krater fressen sich in die Landschaft, braune Erdmasse erstreckt sich bis an den Rand des Blickfelds, vereinzelte Schaufelradbagger ragen aus den Gräben auf. Der Tagebau Garzweiler im Rheinischen Braunkohlerevier ähnelt einer futuristischen Mondlandschaft. Wenige Meter davon entfernt: Wiese, Blumen, Solarmodule und Ackerbau. Auf einem Hügel neben dem Tagebau sollen bald Himbeeren, Kartoffeln und Rüben wachsen und Bauern mit Treckern und Pflügen ihre Bahnen ziehen.

Kohleausstieg 2030: So will RWE mehr grüne Energie gewinnen

Spätestens seit den Protesten um die Räumung von Lützerath gilt das Rheinische Braunkohlerevier als Feindbild für die Klimabewegung. In der Kritik stehen der Braunkohleabbau und die besonders klimaschädlichen Kraftwerke. Braunkohle ist in NRW für 27 Prozent der CO₂-Emissionen verantwortlich. Die Braunkohleförderung im Rheinischen Revier soll in Absprache mit der Bundesregierung bis 2030 beendet werden.

RWE versucht seit Jahren, sich als grüner Energiekonzern zu positionieren. Dafür möchte der Essener Konzern sein Image aufpolieren und bei Aktionären punkten, die vielerorts nicht mehr in Unternehmen investieren, die Kohleabbau fördern. Die RWE Renewables Europe & Australia GmbH beschäftigt inzwischen 180 Menschen. Im Braunkohleabbau der RWE Power AG gibt es dagegen noch 7500 Mitarbeitende. Mit denen habe man aber nichts zu tun, sagt RWE-Managerin Katja Wünschel, während ihr Blick vom Windrad direkt vor der Nase über den Braunkohleweiler am Horizont schweift. RWE betreibt die Kohle nicht mehr als Kerngeschäft – und wird nicht müde, das regelmäßig zu betonen.

Neben dem Tagebau Garzweiler im Rheinischen Revier steht eine Photovoltaik-Anlage, die mehr als 1000 Haushalte mit Strom versorgt.
Neben dem Tagebau Garzweiler im Rheinischen Revier steht eine Photovoltaik-Anlage, die mehr als 1000 Haushalte mit Strom versorgt. © FUNKE Foto Services | Arnulf Stoffel

Windräder und Photovoltaikanlagen im Rheinischen Revier versorgen bereits „mehr als 100.000 Haushalte in NRW“ mit Strom, sagt Jens Edler-Krupp, der bei RWE für den Ausbau von Windenergie zuständig ist. Das klingt erst mal viel, ist aber noch wenig im Vergleich zu dem Strom, die noch durch Braunkohleabbau erzeugt wird. Rund vier Millionen Haushalte können mit den Braunkohlekraftwerken statistisch versorgt werden.

In den USA ist RWE bereits ein Riese unter den Ökostromerzeugern. Um in Deutschland vom Kohlekonzern zum grünen Energielieferanten aufzusteigen, muss RWE in seinem Heimatmarkt noch viel tun. Eines der Forschungsprojekte des Konzerns erstreckt sich neben dem Tagebau Garzweiler: RWE baut hier eine sieben Hektar große Agri-Photovoltaikanlage mit 6100 Solarmodulen, die 1044 Haushalte mit Strom versorgt. Das Projekt „Agri-PV“ soll Ackerbau und Energiegewinnung verknüpfen: Die Solarmodule stehen teilweise vertikal auf dem Boden, damit Bauern dazwischen mit ihren Treckern pflügen können, oder sie sind bodennah auf den Weizenfeldern angebracht.

„Agri-PV“: Forschungsprojekt von RWE soll Ackerbau und Energiegewinnung verbinden

Unter den Solarzellen sollen auch Pflanzen und Himbeeren wachsen. Die Platten bieten dem Obst und Gemüse Schutz vor starker Sonneneinstrahlung, Regen oder Hagel. RWE arbeitet für die Agri-PV-Anlage in Garzweiler mit Bauern aus der Region zusammen. „Die Landwirte reagieren im Großen und Ganzen positiv darauf. Es gibt noch viel Angst, aber deshalb machen wir das Projekt ja“, sagt Gregor von Danwitz, Fachmann für Agri-PV bei RWE.

Die Sorgen der Bauern sind nachvollziehbar, da Energiegewinnung und Ackerbau im Rheinischen Revier bisher nicht zusammenpassten. Viele Landwirte wurden umgesiedelt, damit die Braunkohle unter ihren Wiesen abgebaut werden konnte. Nun soll mindestens fünf Jahre lang gemeinsam geforscht werden, dann werden die Ergebnisse ausgewertet. Das Wetter muss jedoch noch mitspielen: Luzerne, Ackerbohnen, Futtergras, Getreide, Zuckerrüben, Kartoffeln und Himbeeren konnten wegen des schlechten Wetters in der ersten Jahreshälfte noch nicht wie geplant angebaut werden.

Weitere 36.600 Solarmodule entstehen nur wenige Kilometer entfernt in Bedburg. Dort wird entlang der A44 eine Photovoltaik-Anlage gebaut, die ab September 5400 Haushalte mit Strom versorgen soll. Bis zu 50 Handwerker sind täglich auf der Baustelle damit beschäftigt, Solarplatten zu verteilen und zu montieren. Die Nähe zur Autobahn macht die PV-Anlage zu einer „priorisierten Fläche“. Das bedeutet, dass die Behörden den Antrag auf den Bau der Anlage schneller bewilligen als bei anderen Flächen.

Windräder im Rheinischen Revier versorgen 90.000 Haushalte mit Strom

RWE setzt neben Solaranlagen auch verstärkt auf Windräder: Die sind produktiver als Solarzellen, denn sie erzeugen auch nachts Strom, wenn genug Wind weht. Im Rheinischen Revier seien die Windverhältnisse „verhältnismäßig gut für Binnenland“, sagt Jens Edler-Krupp. Zwar nicht so gut wie an der Küste, aber doch gut genug, um inzwischen 90.000 Haushalte in NRW aus reiner Windenergie mit Strom zu versorgen.

Garzweiler – Will keiner in die Braunkohledörfer zurück?

Im Windpark Königshovener Höhe, einer rekultivierten Fläche des Tagebaus Garzweiler, stehen 21 Windräder. RWE plant weitere Windanlagen, doch die Genehmigung erstrecke sich meist über viele Jahre, sagt Katja Wünschel.

Der Bau einer Windanlage beinhaltet viele kleine Schritte: Erst bringen die Mitarbeiter des Unternehmens in Erfahrung, welche Flächen sich für den Bau von Windparks eignen. Dann muss das RWE-Team die Eigentümer der Flächen ausfindig machen – in Deutschland seien große Landstücke oft „zerstückelt“, das heißt, dass viele kleine Flächen einzelnen Privateigentümern gehören. Mit diesen muss ein Vertrag ausgehandelt werden, wenn RWE ein Windrad auf ihrem Grundstück bauen möchte.

So lange dauert der Bau von Windrädern im Rheinischen Revier

Anschließend müssen die Behörden den Bau des Windrades genehmigen. Das dauert ungefähr ein Jahr. Bis das Windrad dann steht, vergehen weitere anderthalb Jahre. Zwischen Idee und Umsetzung gehen also gut und gerne vier bis fünf Jahre ins Land.

„Genehmigungen für Windräder dauern in Deutschland länger als in den USA oder Australien“, sagt Wünschel. Die RWE-Managerin verantwortet auch das Ökostrom-Geschäft in den USA und Australien. Dort gehörten einzelnen Menschen oft mehrere Hektar große Grundstücke, es sei also einfacher, sich mit den Grundstückbesitzern abzustimmen. Bis zu 30 Jahre lang kann ein Windrad genutzt werden, bis es ausrangiert werden muss.

Auf der Königshovener Höhe sollen in Zukunft auch Tiere ihr Zuhause finden: Wildbienen, Amphibien, Krötenarten und Reptilien leben schon jetzt zwischen den Windrädern. Eine seltene Krötenart, die Gelbbauchunke, zeigt RWE-Ökostrom-Chefin Katja Wünschel gern herum.

RWE-Ökostrom-Chefin Katja Wünschel präsentiert die Gelbbauchunke auf dem Gelände der Königshovener Höhe.
RWE-Ökostrom-Chefin Katja Wünschel präsentiert die Gelbbauchunke auf dem Gelände der Königshovener Höhe. © FUNKE Foto Services | Arnulf Stoffel

In ein paar Jahren könnte das Revier, das flächenmäßig dreimal so groß ist wie Berlin, ein Naherholungsgebiet werden. Mit Seen, Wildpferden und Projekten zur grünen Energiegewinnung. Bis es so weit ist, schaufeln die Riesenbagger hier aber Tag für Tag neue Löcher in den Boden. Ob damit 2030 tatsächlich Schluss ist, bezweifeln viele Experten.