Duisburg. Beschäftigter eines Thyssenkrupp-Subunternehmens erstickte im Oktober 2022 in einer Schlammgrube. Der Fall erregt weiter Aufsehen.

Der rätselhafte Tod von Refat Süleyman wirft ein schlechtes Licht auf Thyssenkrupp Steel. Der türkischstämmige Bulgare, der als Reinigungskraft auf dem Stahlwerksgelände in Duisburg gearbeitet hat, ist im Oktober 2022 in einer Schlammgrube erstickt und erst nach einer tagelangen Suche aufgefunden worden. Auch weit mehr als ein Jahr danach ist nicht geklärt, wie es zu dem Tod auf dem Thyssenkrupp-Areal kommen konnte.

Zur Hauptversammlung von Thyssenkrupp am 2. Februar in Bochum werden erneut Proteste erwartet. Zuletzt sind im März vergangenen Jahres Menschen aus der bulgarischen Community auf die Straße gegangen und zur Staatsanwaltschaft Duisburg gezogen.

Die Anlegervereinigung Kritische Aktionärinnen und Aktionäre thematisiert den Tod von Refat Süleyman in einem förmlichen Antrag zur Hauptversammlung. Darin wird unter anderem gefordert, der Thyssenkrupp-Aufsichtsrat müsse dem Vorstand „strengere Vorgaben bezüglich des Systems der Subunternehmen und Leiharbeiter machen“.

Refat Süleyman hat für Subunternehmen von Thyssenkrupp Steel gearbeitet

Refat Süleyman hat für ein Subunternehmen von Thyssenkrupp Steel gearbeitet. Auch im vergangenen Jahr gab es drei Todesfälle beim Thyssenkrupp-Konzern: allesamt bei sogenannten „Partnerfirmen“ des Essener Stahl- und Industriegüterriesen, wie Personalvorstand Oliver Burkhard bei der jüngsten Bilanzpressekonferenz berichtete.

„Der angesprochene Todesfall von Herrn Refat Süleyman im Oktober 2022 macht uns weiterhin sehr betroffen“, erklärt die Thyssenkrupp-Führung in einer schriftlichen Stellungnahme zur Hauptversammlung. „Trotz intensiver behördlicher Ermittlungen konnten die Umstände seines Todes nicht abschließend geklärt werden. Ein Zusammenhang mit den Arbeitsbedingungen vor Ort wurde nicht erkennbar.“

Staatsanwaltschaft Duisburg: Ermittlungsergebnisse werden derzeit ausgewertet

Einem Podcast der Wochenzeitung „Die Zeit“ („Tod im Stahlwerk“) hingegen ist zu entnehmen: Das Becken, in das der 26-jährige Refat Süleyman gefallen ist, ist womöglich nicht wirksam gesichert gewesen. Die „Zeit“ berichtet unter Berufung auf die Ermittlungen der Duisburger Polizei, es sei an der Schlammgrube ein Geländer demontiert worden. Damit sei eine Stelle freigeblieben und dort habe Stolpergefahr bestanden. Die Polizei sei in ihren Ermittlungen zu der Einschätzung gekommen, dass Süleyman die im Becken lauernde tödliche Gefahr nicht bewusst gewesen sein konnte.

Der Stahlstandort Duisburg: In den Werken von Thyssenkrupp sind auch zahlreiche Beschäftigte von Subunternehmen tätig.
Der Stahlstandort Duisburg: In den Werken von Thyssenkrupp sind auch zahlreiche Beschäftigte von Subunternehmen tätig. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Entsprechend stellen sich Fragen: Erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage? Trifft es zu, dass beim Tod von Refat Süleyman ein Zusammenhang mit den Arbeitsbedingungen vor Ort nicht erkennbar ist? Gibt es Versäumnisse von Thyssenkrupp Steel mit Blick auf die Arbeitssicherheit auf dem Werksgelände?

Auf eine entsprechende Anfrage antwortet die Staatsanwaltschaft Duisburg mit den Worten: „Wir bitten höflich um Verständnis, dass wir derzeit keine Auskünfte erteilen können. Die umfangreichen Ermittlungsergebnisse werden derzeit ausgewertet. Anschließend wird geprüft, ob die Ermittlungen in diesem komplexen Verfahren abgeschlossen werden können.“

Thyssenkrupp: Fall derzeit nicht als Arbeitsunfall eingestuft

Thyssenkrupp Steel erklärt auf Anfrage unserer Redaktion, nach wie vor wisse das Unternehmen „schlichtweg nicht“, wie Refat Süleyman zu Tode gekommen sei. Ob es Hilfen beziehungsweise finanzielle Unterstützung für seine Hinterbliebenen gebe? „Das Thema Arbeitsunfall ist gesetzlich klar geregelt“, erklärt dazu der Konzern. „Die Berufsgenossenschaft zahlt den Hinterbliebenen eines tödlich Verunglückten bei einem Arbeitsunfall Sterbegeld für die Bestattungs- und Überführungskosten.“ Aber der Fall sei von den ermittelnden Behörden derzeit „nicht als Arbeitsunfall“ eingestuft, so Thyssenkrupp Steel.

Gülseren Dalip, die Mutter von Refat Süleyman, vor dem Bochumer RuhrCongress.
Gülseren Dalip, die Mutter von Refat Süleyman, vor dem Bochumer RuhrCongress. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Der Verein Stolipinovo, der sich für die Belange von Migranten in Duisburg einsetzt, beklagt, dass die Umstände des Todes von Refat Süleyman weiterhin unklar seien. Beschäftigte von Leiharbeitsbetrieben würden in der Stahlindustrie „ausgebeutet“, kritisiert der Verein. Es entstünden „massive Gesundheits- und Sicherheitsrisiken“. So sei vor einigen Monaten ein Mechaniker beim Umsturz eines Krans schwer verletzt worden. Ein Elektriker sei von einer automatischen Anlage in einen Ofen gedrückt worden und an Verbrennungen gestorben. Der Verein berichtet auch über einen langjährigen Hochofen-Mitarbeiter vom Thyssenkrupp-Standort Bruckhausen, der an Lungenkrebs gestorben sei, was auf „unzureichende Schutzmaßnahmen“ am Arbeitsplatz zurückzuführen sei. Die Leitung von Thyssenkrupp Steel habe „immer wieder behauptet, dass die Verantwortlichkeit und Betreuung für Todes- und Unfälle in der eigenen Belegschaft besser geregelt seien“, merkt der Verein Stolipinovo an. Aktuelle Fälle in Betrieb stünden dazu im Widerspruch.

Tagelange Suche nach Refat Süleyman

Thyssenkrupp-Vorstand Oliver Burkhard äußerte sich schon bei der Hauptversammlung im Februar 2023 zum Tod von Refat Süleyman. Fest stehe bisher, so Burkhard seinerzeit: Der Verstorbene sei am Freitag, 14. Oktober 2022, nach Abschluss von Reinigungsarbeiten an Verkehrsschildern, die er zusammen mit einem Kollegen im Entsorgungsbetrieb bis etwa neun Uhr morgens durchgeführt habe, vermisst und zunächst trotz tagelanger Suche nicht gefunden worden. „Erst am Montag, den 17. Oktober, wurde sein Leichnam beim Entleeren eines Saugfahrzeugs in einem Schlammbecken entdeckt“, so Burkhard.

War das Schlammbecken, in dem Refat Süleyman erstickt ist, nicht korrekt gesichert? Thyssenkrupp bestätigt auf Anfrage unserer Redaktion, zum Zeitpunkt des Auffindens des Toten sei ein Geländer beschädigt gewesen. „Dies ist für uns dennoch kein konkreter Anlass davon auszugehen, dass dieses wesentlich mit dem Ereignis zusammenhängt“, so das Unternehmen. Denn um an diesen Ort zu gelangen, müsse zunächst das umlaufende Geländer überklettert werden. Dafür habe bei der zu verrichtenden Reinigungstätigkeit kein Auftrag bestanden.

Mutter von Refat Süleyman bei der Hauptversammlung

Am Freitag, 2. Februar, steht Gülseren Dalip, die Mutter von Refat Süleyman, vor dem Bochumer RuhrCongress und weint. An ihr eilen Aktionärinnen und Aktionäre vorbei, die zur Hauptversammlung des Industriekonzerns möchten. Am Eingang der Halle protestieren Beschäftigte gegen den Kurs von Vorstandschef Miguel López. Daneben erinnert Gülseren Dalip still an das Schicksal ihres Sohnes.

Es ist ein emotionaler Moment, als die Mutter von Refat Süleyman die Hauptversammlungsbühne betritt – begleitet von dem Sohn eines Thyssenkrupp-Arbeiters, der ihre Rede vorträgt. Unterstützt werden beide von den Kritischen Aktionärinnen und Aktionären. „Keiner übernahm die Verantwortung für seinen Tod“, klagt Gülseren Dalip. Sie sei einfach im Stich gelassen worden.

„Wir fühlen Ihren Schmerz“, antwortet Thyssenkrupp-Vorstand Oliver Burkhard. Er lässt bei der Hauptversammlung aber offen, ob und wie es Unterstützung für die Hinterbliebenen von Refat Süleyman geben könnte.