Essen. Eine Vorstandserweiterung löst einen heftigen Konflikt bei Thyssenkrupp aus. Doch es geht nicht nur um Personalien, sondern um viel mehr.

Es ist ein Eklat, der nachwirken wird. Die IG Metall spricht gar von einer „Zäsur“ im Konzern. Zum ersten Mal in der Geschichte von Thyssenkrupp seien Vorstände „trotz der geschlossenen Ablehnung der Arbeitnehmerseite“ ins Amt gehoben worden, so die Gewerkschaft. Doch die Entscheidung des Aufsichtsrats steht: Mit Volkmar Dinstuhl, Ilse Henne und Jens Schulte bekommt das Unternehmen drei neue Vorstandsmitglieder. Da Finanzchef Klaus Keysberg ausscheiden wird, vergrößert sich das Entscheidungsgremium von drei auf fünf Mitglieder.

Unumstritten ist die Keysberg-Nachfolge: Jens Schulte, derzeit Finanzvorstand des Glasherstellers Schott, übernimmt diese Aufgabe – auch mit Zustimmung der Arbeitnehmervertreter. Die IG Metall tobt, weil das wichtigste Führungsgremium von Thyssenkrupp mitten in der Krise vergrößert wird. Das passe nicht in die Zeit: „Überall laufen Sparprogramme, die Performance soll erhöht werden. Der Druck ist maximal gestiegen, Investitionen wurden und werden weiterhin gestrichen beziehungsweise eingefroren.“ Und an der Spitze des Konzerns heiße es „Wasser predigen und Wein trinken“.

In der Aufsichtsratssitzung habe sich gezeigt, „dass die Anteilseigner bei Thyssenkrupp kein Interesse mehr an einem belastbaren Miteinander mit der Arbeitnehmerseite haben“, erklärt die IG Metall nach der Sitzung – und: „Die Maske ist heute gefallen.“

„Zeitenwende für Thyssenkrupp“

Der Eklat im Thyssenkrupp-Aufsichtsrat belastet nach Einschätzung eines führenden Arbeitnehmervertreters auch die Verhandlungen mit dem tschechischen Milliardär Daniel Kretinsky zum Verkauf der Stahlsparte. Detlef Wetzel, der frühere IG Metall-Chef, der jetzt bei der Stahlsparte Thyssenkrupp Steel stellvertretender Aufsichtsvorsitzender ist, kritisiert offen Vorstandschef Miguel López und Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm. „Ich habe nach diesem Vorgehen von Russwurm und López kein Vertrauen mehr in den Verkaufsprozess für den Stahl“, sagt Wetzel im Gespräch mit unserer Redaktion.

Wetzel sieht eine „Zeitenwende für Thyssenkrupp“. Es sei „deutlich geworden, dass der Vorstand nicht mehr daran interessiert ist, bei wichtigen Entscheidungen Kompromiss-Lösungen zu finden“, so Wetzel. Das sei mit Blick auf mögliche Entscheidungen zu Thyssenkrupp Steel bedenklich, fügt er hinzu. „Wir müssen davon ausgehen, dass der Vorstand beim Stahl im Zweifel auch gegen die Interessen der Beschäftigten entscheidet.“

Es sei um mehr als Vorstandspersonalien gegangen, so Wetzel: „Ein Prinzip ist etabliert worden.“ Auch Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), die den Umbau bei Thyssenkrupp Steel mit rund zwei Milliarden Euro unterstützen wollen, sollten dies beachten, mahnt Wetzel. „Es muss ein Alarmzeichen für die Bundes- und die Landesregierung sein, dass der Vorstand von Thyssenkrupp augenscheinlich keinen Wert mehr auf Kompromisse legt.“

Einflussreiche IG Metaller stellen sich gegen Russwurm-Pläne

Es sind einflussreiche IG Metaller im Aufsichtsrat von Thyssenkrupp vertreten, darunter Jürgen Kerner, der Zweite Vorsitzende der Gewerkschaft, und Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol. Beide stellten sich gegen die Pläne von Aufsichtsratschef und BDI-Präsident Russwurm.

Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), lobt hingegen, dass Vorstandschef López nach mehr Einfluss im Konzern strebt. „Was bei Thyssenkrupp gefehlt hat, war starke Führung. Thyssenkrupp sollte glücklich sein, dass endlich jemand bereit ist, die Verantwortung auch zu übernehmen“, sagt Tüngler. „López ist gekommen, um etwas zu verändern. Das ist ein guter Ansatz.“

Rückendeckung bekommen López und Aufsichtsratschef Russwurm auch von der Essener Krupp-Stiftung. „Die Stiftung begrüßt die Erweiterung des Vorstands“, erklärt die Großaktionärin des Konzerns, die auf dem Gelände der Villa Hügel in Essen residiert. In der neuen Aufstellung könne das „sich gut ergänzende Gremium optimal mit dem herausfordernden Umfeld umgehen“, betont die Stiftung, die von der früheren Dortmunder Uni-Rektorin Ursula Gather geführt wird.

Im Umfeld der Konzernführung wird betont, mit fünf Mitgliedern sei die Größe des Vorstands „völlig normal“ angesichts von 100.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz in Höhe von rund 40 Milliarden Euro. Offen bleibt indes, warum Aufsichtsratschef Russwurm und der erfahrene IG Metall-Funktionär Kerner, die sich lange aus Siemens-Zeiten kennen, den Konflikt um den Thyssenkrupp-Vorstand nicht haben entschärfen können.

Für die IG Metall steht viel auf dem Spiel

Wie es nun weitergeht? Bei der Bilanzpressekonferenz hatte das Thyssenkrupp-Management offen für ein mögliches Stahl-Bündnis mit dem tschechischen Milliardär Daniel Kretinsky geworben. López bestätigte, dass Thyssenkrupp mit EPH ein Gemeinschaftsunternehmen anstrebe, bei dem beide Partner jeweils zur Hälfte beteiligt sein sollen: „50-50 ist das Modell.“

Für die IG Metall steht jedenfalls viel auf dem Spiel. Bei einem möglichen Einstieg des tschechischen Milliardärs geht es um mehrere große Werke in NRW, darunter Europas größter Stahlstandort Duisburg. Ein Forderungs- und Fragenkatalog der Gewerkschaft liegt auf dem Tisch. Zu klären ist aus Sicht der IG Metall unter anderem, ob der Konzern nach einer Übernahme durch Kretinsky seinen Sitz weiterhin in Deutschland haben werde und Thyssenkrupp langfristig beteiligt bleibe. Die IG Metall fordert zudem eine mehrjährige Sicherung von Standorten, Anlagen und der Beschäftigung.

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