Duisburg/Essen. Tausende Beschäftigte demonstrierten vor den Werkstoren von Thyssenkrupp Steel. Personalvorstand Grolms sagt: „Es steht viel auf dem Spiel.“

Rund 10.000 Beschäftigte haben Gewerkschaftsangaben zufolge vor den Werkstoren von Thyssenkrupp Steel in Duisburg für die Zukunft ihrer Arbeitsplätze demonstriert. In den energieintensiven Betrieben ist die Sorge groß, dass hohe Stromkosten auf Dauer die bestehenden Standorte und Stellen gefährden. Auch Markus Grolms, der Personalvorstand von Deutschlands größtem Stahlkonzern Thyssenkrupp Steel, zeigt sich besorgt. Bislang steht erst die Finanzierung, um einen Thyssenkrupp-Hochofen in Duisburg zu ersetzen. Bei Thyssenkrupp gibt es aber noch drei weitere Hochöfen in Duisburg. Der benachbarte Konzern HKM, an dem Thyssenkrupp Steel zur Hälfte beteiligt ist, hat noch zwei weitere Hochöfen. „Bislang haben wir erst eine Perspektive für ein Viertel der 27.000 Arbeitsplätze bei uns im Unternehmen geschaffen“, sagt Grolms im Gespräch mit unserer Redaktion. „Deshalb benötigen wir jetzt von der Bundesregierung ein klares Signal, wie es weitergehen soll.“

Herr Grolms, bei Thyssenkrupp ist die Lage mal wieder angespannt. Die Sorge wächst, dass der Umbau des Stahlstandorts Duisburg wegen der Haushaltskrise in Gefahr geraten könnte. Wie ernst ist die Situation?

Grolms: Die Lage ist wirklich ernst, das lässt sich nicht leugnen. Bei den Strompreisen gibt es nicht die notwendige Entlastung für die energieintensive Industrie – und jetzt kommt noch das Karlsruher Urteil hinzu, das eine Haushaltskrise ausgelöst hat. Das schürt Unsicherheit bei uns am Standort. Wir müssen wissen, wie es mit der Transformation weitergeht. Wir brauchen hier möglichst schnell Klarheit.

Was muss denn jetzt passieren? Ihr Vorstandschef Bernhard Osburg hat einen Transformationsgipfel gefordert. Kann ausgerechnet ein weiterer Gipfel helfen?

Grolms: Das ist unsere Erwartung. Bundesregierung, Länder, Unternehmen und Gewerkschaften müssen gemeinsam die Lage analysieren. Wir müssen wissen, wie hoch der öffentliche und private Investitionsbedarf für die Transformation ist. Eine Expertenkommission muss dann unmittelbar Finanzierungsvorschläge erarbeiten. Dabei dürfen wir nicht nur haushaltspolitisch denken, sondern vor allem konjunktur- und standortpolitisch.

Markus Grolms, der Personalvorstand von Deutschlands größtem Stahlkonzern Thyssenkrupp Steel: „Es zählen jetzt keine parteipolitischen Geländegewinne.“
Markus Grolms, der Personalvorstand von Deutschlands größtem Stahlkonzern Thyssenkrupp Steel: „Es zählen jetzt keine parteipolitischen Geländegewinne.“ © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Ist denn Ihre geplante Direktreduktionsanlage, die einen Hochofen in Duisburg ersetzen soll, auch von Haushaltskürzungen betroffen?

Grolms: Nein. Unsere Förderung steht und ist rechtlich verbrieft. Wir bauen unsere erste Fabrik für grünen Stahl hier im Ruhrgebiet. Das ist nicht das Problem. Aber wir sind in Sorge um die Infrastruktur, die für die neue Anlage benötigt wird. Bildlich gesprochen: Wir wollen kein Haus in die Landschaft stellen, das dann ohne Strom und Wasser dasteht.

Hinzu kommt: Bislang steht erst die Finanzierung, um einen Hochofen zu ersetzen. Sie haben aber bei Thyssenkrupp Steel drei weitere Hochöfen in Duisburg. Der benachbarte Konzern HKM, an dem Thyssenkrupp Steel zur Hälfte beteiligt ist, hat zwei weitere Hochöfen.

Grolms: Das ist richtig. Bislang haben wir erst eine Perspektive für ein Viertel der 27.000 Arbeitsplätze bei uns im Unternehmen geschaffen. Deshalb benötigen wir jetzt von der Bundesregierung ein klares Signal, wie es weitergehen soll. Wenn die Bundesregierung keine klare Antwort findet, wie der Umbau der Industrie verlässlich finanziert werden kann, droht ein Stillstand bei Investitionen und bei zentralen Projekten der Transformation. Dies hätte weitreichende Folgen für die Klimaschutzziele, für die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts und für Beschäftigung.

Wünschen Sie sich, dass die Bundesregierung die Klimaziele herunterschraubt?

Grolms: Wir sehen ganz klar die Notwendigkeit für den Klimaschutz. Es geht nicht darum, die Notwendigkeit zu bestreiten, hier ehrgeizig vorzugehen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Ohne die Transformation der Grundstoffindustrie, also in Branchen wie Stahl und Chemie, können die schon für das Jahr 2030 gesteckten Klimaziele nicht erreicht werden.

Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?

Grolms: Die Fundamente für den Aufbau einer klimaneutralen Industrie drohen wegzubrechen. Wie geht es weiter bei den Klimaschutzverträgen, mit denen zum Beispiel der Einsatz von klimaneutralem Wasserstoff finanziert werden sollte? Wie geht es weiter beim Aufbau eines Wasserstoff-Netzes? Das alles ist offen und schafft große Verunsicherung bei Beschäftigen und Unternehmen.

Sind Sie enttäuscht von der Bundesregierung?

Grolms: Die Bundesregierung ist in der Pflicht, ihren Teil dazu beizutragen, dass der Umbau der Industrie gelingen kann. Es zählen jetzt keine parteipolitischen Geländegewinne. Am Ende hat die Bundesregierung eine Gesamtverantwortung. Es steht viel auf dem Spiel. Jede Investition, die ins Ausland geht, jedes Projekt, das jetzt gestoppt wird, kostet Beschäftigung, kostet Zukunft.

Hoffen Sie auf einen heilsamen Schock durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Haushalt?

Grolms: Es wäre jedenfalls falsch, dem Verfassungsgericht Vorwürfe zu machen. Die Richter haben schlicht ihren Job gemacht. Wir sind Gott sei Dank ein Rechtsstaat. Die Ampel-Koalition kann jetzt beweisen, dass sie die Fortschrittskoalition ist, die sie sein wollte.

Der Stahlstandort Duisburg befindet sich in einer Region, in der viele Menschen nicht auf Rosen gebettet sind. Haben Sie die Angst, dass die Stimmung vor Ort kippt?

Grolms: Wenn die Transformation bei uns scheitert, dann wäre das ein herber Rückschlag für die Transformation am Standort Deutschland. Die Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass wir Versprechen halten. Können sie es nicht, treiben wir sie direkt den Populisten in die Arme. Es geht ja auch darum, in der Industrie viele tausende gute Arbeitsplätze zu erhalten und viele neue zu schaffen. Dieser Aspekt wird bei der Transformation oft übersehen. Die Menschen wollen Sinn sehen, in dem, was sie tun. Der Aufbau einer klimafreundlichen Industriegesellschaft hat also auch eine soziale Dimension.

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