Essen. Der Essener Schuhhandelsriese Deichmann feiert Richtfest auf dem Firmen-Campus in Essen. Der Neubau soll für bestimmte Unternehmenswerte stehen.
Als sich Heinrich Deichmann zwischen unverputztem Mauerwerk und Baugerüsten zu Wort meldet, liegt die „Zeitkapsel“ schon bereit neben seinem Rednerpult. Kinderschuhe der Deichmann-Marke Elefanten befinden sich in dem batterieförmigen Gehäuse, außerdem eine aktuelle Tageszeitung und ein Datenträger mit Grußworten von Beschäftigten. Es ist zu spüren, dass es ein besonderer Tag ist für den Schuhunternehmer. Mit dem Richtfest für sein neues Hauptgebäude auf dem „Deichmann-Campus“ in Essen ist auch die Botschaft verbunden, welche Ambitionen der Essener Familienkonzern hat, der schon jetzt Europas größter Schuh-Einzelhändler ist.
„Das Projekt stellt eine wirklich notwendige Investition in die Zukunftsfähigkeit unserer Firmengruppe dar“, sagt Heinrich Deichmann. Der Neubau über fünf Geschosse sei Ausdruck einer guten Geschäftsentwicklung des Unternehmens in den vergangenen Jahren. „Er ist aber auch Ausdruck unserer Wachstumspläne, die wir für die Zukunft weiterhin haben.“
Knapp 50.000 Menschen beschäftigt die Firmengruppe Deichmann mittlerweile weltweit. Rund 4600 Filialen und mehr als 40 Online-Shops in 31 Ländern gehören dazu. Sein Unternehmen sei erfolgreich durch die jüngsten Krisen gekommen, berichtet Deichmann.
Die Corona-Pandemie, Lieferketten-Probleme, Arbeitskräftemangel und die hohe Inflation: Viele Handelsunternehmen sind damit arg in den vergangenen Monaten unter Druck geraten und mussten Insolvenz anmelden – große Namen wie Görtz, Reno, Salamander und Klauser bei den Schuhhändlern. Hinzu kamen Marken wie Galeria, Gerry Weber, Esprit und P&C im Textilhandel. Auch Deichmann scheut vor Einschnitten nicht zurück. So will sich Deichmann von seiner Kette Onygo trennen und bundesweit alle 28 Filialen schließen.
Schuhhändler Deichmann auf Wachstumskurs
Deichmann hingegen konnte zulegen. Mit mehr als acht Milliarden Euro erzielte der Essener Familienkonzern im vergangenen Jahr einen Umsatzrekord. Zum Vergleich: In dem letzten nicht von Corona betroffenen Geschäftsjahr 2019 hat der bis dahin höchste Umsatz bei 6,4 Milliarden Euro gelegen. Rund 178 Millionen Paar Schuhe hat Deichmann nach eigenen Angaben in den Filialen und über Online-Shops im vergangenen Jahr verkauft, davon etwa 69 Millionen Paar Schuhe in Deutschland.
Er blicke „mit Optimismus in die Zukunft“, sagt Heinrich Deichmann, der beim Richtfest von seinem Sohn Samuel Deichmann begleitet wird. Das neue Haus solle „nicht nur ein Gebäude“ sein, sondern auch „ein Symbol für unser kontinuierliches Wachstum“. Etwa 1200 Beschäftigte arbeiten Unternehmensangaben zufolge in der Essener Firmenzentrale. Deichmann sei zwar ein internationales Unternehmen, bleibe aber in der Heimatstadt verwurzelt, betont der Schuhunternehmer.
Er erinnert in diesem Zusammenhang auch an die Anfänge der Firma: Vor 110 Jahren habe die Geschichte von Deichmann im Essener Stadtteil Borbeck begonnen. Sein Großvater habe dort im Jahr 1913 seinen ersten Laden eröffnet: eine Schuhmacherwerkstatt. Über Jahrzehnte hinweg hat sich ein Weltkonzern entwickelt, der zunächst in Deutschland und später auch im europäischen Ausland und in den USA expandierte. Der asiatische Markt ist vor allem für die Herstellung der Schuhe, die Deichmann verkauft, von zentraler Bedeutung.
Heinrich Deichmann beschwört beim Richtfest die „Unternehmenswerte“: Engagement, Leistungsbereitschaft, Kreativität und Teamgeist. Dafür stehe auch das neue Hauptgebäude auf dem „Deichmann-Campus“. Es gebe „eine Mission, die das Gebäude repräsentiert“, sagt Deichmann. „Das Unternehmen muss dem Menschen dienen. Das ist seit jeher unser Leitbild. Das wollen wir täglich mit Leben füllen.“
Heinrich Deichmann: „Nicht mehr nur in Abteilungssilos arbeiten“
Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen, der zum Richtfest gekommen ist, nimmt Deichmanns Gedanken auf und sagt, Unternehmenszentralen würden „immer auch einen Blick in die Seele eines Unternehmens“ ermöglichen. Wichtige Bestandteile des neuen Deichmann-Gebäudes sollen offene Arbeitsräume sein – „Open-Space-Bereiche“, wie es Neudeutsch heißt. „Wir können heute nicht mehr nur in Abteilungssilos arbeiten“, betont Heinrich Deichmann. Wichtig sei „agiles Arbeiten“ über Abteilungs- und Funktionsgrenzen hinweg.
Er geht auch auf den Ruf der Sparsamkeit ein, den die Milliardärsfamilie hat. „Wir haben bei Deichmann in der Regel immer sehr stark auf die Kosten geachtet“, erzählt Deichmann. „Das tun wir auch heute.“ Daher habe es auch zuweilen ein „hartes Ringen“ mit den Verantwortlichen des renommierten Hamburger Architekturbüros GMP gegeben. „Aber wir haben bisher immer gute Kompromisse gefunden“, fügt Deichmann noch hinzu. „In der Vergangenheit haben wir auch mal nur nach Kostengesichtspunkten gebaut, aber uns war wichtig, dass wir diesmal vor allen Dingen auch ein architektonisches Highlight hier hinsetzen.“
Entstehen soll ein lichtdurchflutetes Atriumgebäude, in dem sich Konferenzräume, die Kantine und 225 Arbeitsplätze befinden – als Ergänzung zu den Büros in den Bestandsgebäuden. Derzeit arbeiten einige Deichmann-Beschäftigte an Ausweichstandorten, unter anderem in der „Parkstadt“ in Mülheim auf der früheren Tengelmann-Fläche.
Deichmann sparsam? „Ja, kann ich bestätigen“
Das Stichwort Sparsamkeit der Familie Deichmann greift Volkwin Marg, einer der Gründer der Architekturfirma, übrigens gerne auf. „Ja, kann ich bestätigen“, sagt er lakonisch. „Die Kunst besteht ja, aus wenig möglichst viel zu machen.“ Für den Deichmann-Bau bedeute dies zum Beispiel: „Luxus ist Luft.“
Ein Bestandteil des Baus, den sein Büro entworfen hat, sind auch langgezogene Betonsäulen. Glatt und glänzend stehen sie schon jetzt auf der Baustelle. „Ich habe gedacht, Deichmann hat hier Marmor für die Säulen gekauft“, erzählt Marg. „Die sind so perfekt. Da können wir uns den Anstrich sparen.“
Laut Pressemitteilung von Deichmann ist eine Fertigstellung des Gebäudes im Essener Stadtteil Schönebeck „gegen Ende 2025“ geplant. Er würde sich allerdings Mitte 2025 wünschen, kommentiert Heinrich Deichmann dieses Ziel. „Da geht noch was.“
Im Jahr 1968 hat sein Vater Heinz-Horst Deichmann das erste Gebäude auf dem Areal gebaut. Perspektivisch sind auch weitere neue Gebäude auf dem „Deichmann-Campus“ möglich. Ändern wird sich durch das neue Hauptgebäude auch die Firmenadresse: Statt Deichmannweg lautet sie künftig Aktienstraße.
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