Arnsberg. Verunsicherung und knappe Kassen der Verbraucher bekommen Bio-Landwirte wie Familie Nagel aus Arnsberg zu spüren. Erste Bauern denken um.

Im Hochsauerlandkreis wird im Vergleich zum restlichen Nordrhein-Westfalen überdurchschnittlich viel Biolandwirtschaft betrieben. Die Chance, ökologisch erzeugtes Getreide oder Fleisch zu kaufen, ist hier gut. Allerdings hat die Nachfrage nach teureren Bioprodukten seit vergangenem Jahr stark gelitten. „2022 haben die Verbraucher erstmals weniger Geld für Bio ausgegeben“, sagt Silke Gorißen (CDU), Nordrhein-Westfalens Landwirtschaftsministerin, am Montag bei einem Besuch eines Bio-Hofes in Arnsberg. Das Ziel der Landesregierung, den Bio-Anteil in der Landwirtschaft in NRW bis 2030 auf 20 Prozent zu erhöhen, werde weiterverfolgt, möglicherweise aber verfehlt. „Wir hatten gedacht, dass es schneller und leichter gehen würde, bis der Ukrainekrieg kam.“

An Familie Nagel aus Arnsberg-Wettmarsen liegt es nicht. Seit beinahe 750 Jahren wird hier bereits Landwirtschaft betrieben. Ackerbau, Viehzucht, Waldwirtschaft. Ein Dreiklang, in dem die Bauern auf dem Hof Wettmarsen seit Jahrhunderten leben. Ende 2004 haben Theo Josef (58) und seine Frau Claudia (57) den Hof von den Eltern übernommen, die Schweinemast ausgebaut und schon zweieinhalb Jahre später auf Bio umgestellt. Es habe damals schon „nichts für Schweinefleisch gegeben“, sagt Claudia Nagel. Jedenfalls nicht ausreichend viel, dass sich die Plackerei gelohnt hätte. Damals sei die Schweinemast unter dem Strich lediglich ein arbeitsintensives Hobby gewesen. „Wir wollen uns nichts vormachen, es war ein finanzieller Aspekt, auf Bio umzustellen“, sagt sie heute.

Edeka ist Großkunde

Nagels sind heute aber Bio-Landwirte aus Überzeugung und mit einem offenbar guten Geschäftsmodell. Die rund 500 Öko-Schweine, die sich aufgeteilt in zwei Gruppen drinnen und draußen auf frischem Stroh tummeln, werden überwiegend von Edeka vermarktet. Eine sichere Bank, dass das Biofleisch auch abgenommen wird. Über Edeka landet das Bio-Schweinefleisch in Ladentheken weit über Nordrhein-Westfalen hinaus. Ab 2010 stellte die Familie Nagel auch den Getreideanbau auf Bio um. Nach zwei Jahren Übergangsphase, in denen sich auch die Böden von der intensiven Landwirtschaft erholt hatten, durfte das Getreide auch als Bio bezeichnet werden. Wegen der Lage im Wasserschutzgebiet durfte ohnehin keine Gülle auf die Äcker gebracht werden, sondern nur Mist. Im Nachhinein ein Vorteil bei der Umstellung.

Seit 2018 gibt es in Wettmarsen einen kleinen, aber feinen Hofladen. Laut Claudia Nagel kommen die Kunden sogar aus der Landeshauptstadt Düsseldorf, überwiegend aber aus der Region. Angeboten werden Biogetreide von Feldern aus dem Hochsauerlandkreis, Schweinefleisch, das nicht an Edeka geht, Rindfleisch von einer kleinen Herde, die den Großteil des Jahres an den steilen Hängen (125 Meter Höhenunterschiede) rund um den Hof grast, und je nach dem auch Wild. Das Fleisch wird vor Ort auf dem Hof zerlegt und tiefgefroren, um es bestmöglich frisch zu halten.

In der Corona-Pandemie erlebten die Direktvermarkter und insbesondere die Anbieter von Bioprodukten eine enorme Nachfrage. Was soll man Gutes tun, wenn man eigentlich nicht viel darf? Kein Urlaub, keine Partys, keine Restaurantbesuche. Zuhause kochen war angesagt. Ein Boom, der 2022 regelrecht abriss. Mit wiedergewonnenen Freiheiten gaben viele Nordrhein-Westfalen ihr Geld erst einmal wieder im Urlaub in der Ferne statt im Hofladen vor der Haustür aus. Gleichzeitig kletterte die Inflationsrate im Gleichschritt mit der Verunsicherung der Menschen durch den Krieg vor der Haustür, durch galoppierende Energiepreise und infolgedessen einer insgesamt merklichen Teuerung, die sich auf die Nachfrage nach Bioprodukten schnell auswirkte.

Theo-Josef Nagel im Gespräch mit NRW-Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen über Fördermöglichkeiten für Ökolandbau.
Theo-Josef Nagel im Gespräch mit NRW-Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen über Fördermöglichkeiten für Ökolandbau. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

„2022 haben die Verbraucher nach unserer Kenntnis rund dreieinhalb Prozent weniger Geld für Bio ausgegeben. Erstmals gingen die Umsätze hier zurück“, sagt Ministerin Gorißen. Im vergangenen Jahr zählte die NRW-Statistik 5500 Unternehmen, die Ökoprodukte erzeugt, importiert oder vermarktet haben. 2334 Höfe in NRW betrieben vergangenes Jahr noch Ökoproduktion. Die meisten Anreize für eine Umstellung auf Bio liegen in den Händen des Bundes und der EU. Das Land zahlt immerhin eine Ökoprämie, bis zu 600 Euro pro Hektar. 22 Millionen Euro seien im vergangenen Jahr geflossen. Einiges davon sicher in den Hochsauerlandkreis (HSK), wo die Dichte an Ökobetrieben vergleichsweise hoch ist. Während der Landesschnitt für Ökolandbau laut Ministerium bei 6,3 Prozent der Höfe liege, seien es im HSK heute schon 18 Prozent, die nach EU-Ökoverordnung arbeiteten. 15 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche im Kreis werde bereits ökologisch bewirtschaftet.

Während in der Region rund um den Hof Nagel in Arnsberg das von der Landesregierung ausgerufene Ziel also bereits beinahe erreicht ist, hinken weite Teile der Landwirtschaft in NRW noch hinterher. Hubertus Beringmeier, Präsident des Landwirtschaftsverbandes Westfalen-Lippe (WLV), hält das Ziel von Gorißen offenbar für ambitioniert: „Wir unterstützen das Ziel von zwanzig Prozent, aber es macht keinen Sinn, staatlich verordnet mehr zu erzeugen als der Markt hergibt“, warnt der Bauernpräsident am Montag. Im WLV gebe es bereits Höfe, die eine Rückabwicklung vom Bio-Direktvermarkter zur konventionellen Landwirtschaft anstrebten, sagt Beringmeier.

Bio-Fleisch doppelt so teuer

Auch auf Hof Nagel merkt man diese Entwicklung. Im Hofladen sei der Umsatz aktuell um rund zehn Prozent zurückgegangen, sagt Seniorchef Theo Josef Nagel. In der wirtschaftlichen Gesamtgemengelage wundert ihn das nicht: „Das Fleisch ist doppelt so teuer wie konventionelles. Regelmäßig leisten können sich dies vielleicht drei Prozent der Bevölkerung.“

Seinen Sohn, Friedrich (29), entmutigt das nicht. Eine Rolle rückwärts scheint die nächste Generation nicht zu planen. Friedrich, Landwirt und gelernter Metzger, hängt am Biobetrieb. Und an den Tieren. Wenn nach rund zwei Jahren eines der Rinder zur Schlachtbank transportiert wird, ist das für den Junior immer auch ein Abschied – mehr als bei den Schweinen, die einen deutlich kürzeren Lebenszyklus haben. Friedrich Nagel kennt wohl jedes Stück Rind, das er zerlegt, beim Namen, bevor es in den Kühlschränken des Hofladens zum Verkauf landet.