Hagen. Mehr Tierwohl auf den Höfen und mehr Transparenz für Kunden – das Konzept steht seit drei Jahren, doch nun droht es zu scheitern.

Die Stimmung in vielen deutschen Schweineställen ist schon länger saumäßig. Um die Zukunft der Nutztierhaltung wird seit Jahren gerungen. Mehr Tierwohl, weniger Masse statt Klasse lautet die Devise, der sich die Landwirtschaft nicht grundsätzlich verwehrt, die aber bezahlt werden soll. Vom Staat, vom Verbraucher an der Ladentheke, wie auch immer. Eine verlässliche Finanzierung ist nicht in Sicht, obwohl es seit 2020 von der Borchert-Kommission ein Konzept mit Konsens gibt.

Die jüngsten Beratungen zum Bundeshaushalt 2024 lassen aus Sicht der Bauern keine Investition in die Zukunft zu. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) liegt wohl auch im Clinch mit dem Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Das aus Sicht der Branche magere Ergebnis bei den Haushaltsverhandlungen: Eine Milliarde Euro Anschubfinanzierung für den Umbau von Schweineställen, verteilt auf vier Jahre. Applaus erntet Özdemir dafür kaum. Entnervt hat nun der Vorsitzende der Expertenkommission, Jochen Borchert, Bundeslandwirtschaftsminister von 1993 bis 1998, die Gabel ins Heu geworfen. Özdemir hilft das nicht. Den Bauern vermutlich auch nicht.

Kredit bei den Bauern verspielt

Mehr Tierwohl in deutschen Ställen hat seinen Preis. Wie ein Wandel in der Nutztierhaltung für deutsche Bauern lukrativ und für Verbraucher bezahlbar funktionieren könnte, hat die sogenannte Borchert-Kommission, besetzt mit Praktikern aus ökologischer und konventioneller Landwirtschaft, Experten aus der Wissenschaft, einigen Landesfachministerien sowie Natur- und Umweltschutz und Tiergesundheit seit 2019 erarbeitet und ein Jahr später Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner präsentiert. Seitdem „hängt“ der große Wurf, wurde mehrfach filetiert und die Kommission vertröstet – bis Borchert jetzt das Ende der Expertenrunde verkündete.

Borchert hatte bereits vor einem Jahr deutlich gemacht, wie wenig ihm die Hinhaltetaktik der Bundesregierung schmeckte. Dennoch gelang es Klöckners Nachfolger Cem Özdemir das auch für ihn wichtige Gremium an einem Tisch zu halten, dessen Wert nicht zuletzt im breiten gesellschaftlichen Konsens lag, den es abbildete.

Özdemirs Position bei Verhandlungen mit Bundesfinanzminister Lindner, aber auch sein Kredit bei den Bauern hat gelitten. „Es besteht kein Zweifel daran, dass wir ohne die Arbeit der Borchert-Kommission nicht da wären, wo wir jetzt sind. Ich bin entschlossen, diesen Weg fortzusetzen und die Ziele der Borchert-Kommission Schritt für Schritt zu erreichen“, erklärt Özdemir.

Allein, es fehlt ihm Geld. Zudem ist die Zeit ungünstig, um die von der Borchert-Runde angedachte Finanzierung über eine Verbrauchersteuer durchzusetzen. Die, das hatte die Kommission bereits 2020 vorgerechnet, würde ein paar Cent mehr für Milch, Butter und Fleisch und unter dem Strich rund 35 Euro pro Jahr und Kopf ausmachen. Damit hätte nicht nur der Umbau der Ställe auch für andere Nutztierhaltungen, sondern auch mindestens ein großer Teil der Mehrkosten für die Bauern abgefedert werden können. Die sind realistisch genug zu wissen, dass die Liebe zu Tieren an der Supermarktkasse endlich ist.

Betroffen von den Vorgaben aus dem Hause Özdemir sind vorerst nur die Schweinebauern, was einer der Kritikpunkte der Branche ist. Immer mehr Schweinefleisch wird importiert, „vor allem aus Spanien“, sagt Westfalens Bauernpräsident Hubertus Beringmeier. Selbst die Landwirtschaft scheint also am Standort Deutschland gegen internationale Konkurrenz ins Hintertreffen zu geraten. Die Zahl der Höfe mit Schweinehaltung ist hier seit Jahren stark rückläufig, ebenso die Zahl der Tiere. In NRW sank die Zahl der Schweine in den Ställen von November 2022 bis Mai 2023 zuletzt von 5,79 auf 5,73 Millionen. Investiert wird gerade kaum. Es fehlt die Zuversicht. Das Borchert-Aus trübt die Stimmung weiter.

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Was das Aus der Borchert-Kommission bedeutet und was die Landwirte eigentlich erwarten, erklärt Hubertus Beringmeier, Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV).

Hubertus Beringmeier, Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes, hat in Ostwestfalen selbst einen Hof mit Schweinemast. Seine Kritik: „Es fehlt an ausreichender Finanzierung. Wenn man mehr Tierwohl will, wozu wir bereit sind, muss das auch bezahlt werden.“
Hubertus Beringmeier, Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes, hat in Ostwestfalen selbst einen Hof mit Schweinemast. Seine Kritik: „Es fehlt an ausreichender Finanzierung. Wenn man mehr Tierwohl will, wozu wir bereit sind, muss das auch bezahlt werden.“ © dpa | Guido Kirchner

Herr Beringmeier, sind Sie überrascht von der Auflösung der Kommission?

Hubertus Beringmeier: Ich habe damit gerechnet und kann es auch verstehen. Ich habe am Dienstag noch mit Jochen Borchert telefoniert, wir standen im engen Kontakt. Seit 2020 liegt ein schlüssiges Gesamtkonzept vor, und man kann bis heute nicht erkennen, dass es so umgesetzt wird.

Was ist der Anlass dafür, dass Jochen Borchert die Arbeit der Kommission für beendet erklärt?

Nachdem jetzt der Entwurf für den Bundeshaushalt 2024 vorgelegt wurde, und dort im gesamten landwirtschaftlichen Bereich Kürzungen vorgesehen sind, ist eine Umsetzung des Borchert-Konzepts nicht zu erkennen. Es fehlt an ausreichender Finanzierung. Wenn man mehr Tierwohl will, wozu wir bereit sind, muss das auch bezahlt werden.

Wie teuer wird das?

Die Anhebung um eine Haltungsstufe kostet 20 Prozent mehr. Der Bauer kann das Fleisch aber nicht für einen höheren Preis verkaufen. Wir haben Krieg und Inflation. Viele Hofläden schließen bereits, weil den Leuten das Geld fehlt. Es wird eine Milliarde Euro als Förderung in Aussicht gestellt. Diese Milliarde verteilt sich auf vier Jahre und ist für kleine Höfe und Biobetriebe gedacht, größeren Höfen nützt sie nichts. Wir brauchen eine sichere Finanzierung, ähnlich wie damals beim Erneuerbare-Energien-Gesetz. Niemand hätte vor 20 Jahren Photovoltaikanlagen auf sein Dach gebaut, wenn es nicht gefördert worden wäre. Ohne eine gesicherte Förderung wird nicht investiert werden. Letztlich wird dann immer mehr Fleisch aus dem Ausland kommen. In Deutschland werden noch knapp 30 Kilogramm Fleisch pro Jahr pro Kopf gegessen, davon kommen bereits elf aus dem Ausland. Das ist weder regional noch nachhaltig, noch dient es dem Tierwohl.

Was sollte Landwirtschaftsminister Özdemir jetzt tun?

Erstens für eine klare Herkunftskennzeichnung sorgen, damit der Verbraucher weiß, was er kauft. Zweitens die Haltungskennzeichnung nicht nur beim Schwein fordern, sondern auch auf Rind, Huhn und so weiter ausdehnen. Drittens das Umweltrecht so anpassen, dass überhaupt moderne Ställe gebaut werden können, ohne gegen Immissionsvorschriften zu verstoßen. Und viertens eben für eine sichere Finanzierung sorgen. Aktuell investiert niemand.