Essen/Duisburg. Für den Fall eines Verkaufs von Thyssenkrupp Steel an den Tschechen Křetínský fordert die IG Metall Standort-Garantien. Auch HKM sei ein Thema.

Thyssenkrupp kommt nicht zur Ruhe: Die IG Metall befürchtet einen Hauruck-Verkauf der Stahlsparte an den tschechischen Milliardär Daniel Křetínský. Das macht die Gewerkschaft in einem Flugblatt für die Belegschaft von Thyssenkrupp Steel deutlich. Für die rund 27.000 Beschäftigten stehe viel auf dem Spiel.

Mit scharfen Worten kritisiert die IG Metall Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López. „Wir verurteilen, wie der Deal an der Mitbestimmung vorbei eingestielt werden soll“, heißt es in dem Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt. „Die Beschäftigten sollen – ohne wirklich gefragt zu werden – verschoben werden.“

Weiter heißt es in dem Flugblatt: „Auch wir haben nur aus der Presse erfahren: Der tschechische Energie-Milliardär Daniel Křetínský soll einen Anteil von 50 Prozent am Stahl von Thyssenkrupp erhalten und die Thyssenkrupp AG will den Deal schon Ende Oktober unter Dach und Fach bringen.“ Dieses Vorgehen lehne die IG Metall ab. Der Plan sei „unseriös“ und ignoriere die Interessen der Beschäftigten. „Erst muss mit der Mitbestimmung verhandelt werden, bevor irgendwas unterschrieben wird“, betont die Gewerkschaft. „Das muss Miguel López, Vorstandsvorsitzender der Thyssenkrupp AG, verstehen.“

Auf Anfrage unserer Redaktion am Dienstag (10. Oktober) betont ein Sprecher von López, die Mitbestimmung spiele „bei der Verselbstständigung des Stahls eine wichtige Rolle“ und werde – wie bei Thyssenkrupp üblich – „eng eingebunden“. Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Thyssenkrupp AG und im Kontrollgremium der Stahlsparte würden „weiterhin regelmäßig über alle Fortschritte informiert“.

Die IG Metall erklärt, sie lehne eine Übernahme durch Křetínský „nicht grundsätzlich ab, wohl aber eine Hauruck-Aktion auf Kosten der Beschäftigten“. Die Gewerkschaft fordert Verhandlungen über ein industrielles Konzept für die Stahlstandorte sowie über Investitionen in das Geschäft, die Gesellschaftsstruktur und die Mitbestimmung, sollte der tschechische Unternehmer bei Thyssenkrupp Steel einsteigen. Von zentraler Bedeutung sei die „grüne Transformation“ der Stahlherstellung – inklusive der Hochöfen der Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM), an denen Thyssenkrupp Steel mit 50 Prozent beteiligt ist.

IG Metall: „Gibt es für die HKM ebenfalls eine Direktreduktionsanlage?

Mit dem Flugblatt hat die IG Metall auch einen Forderungs- und Fragenkatalog veröffentlicht. Zu klären sei unter anderem, ob der Konzern nach einer Übernahme durch Křetínský weiterhin seinen Sitz in Deutschland haben werde und Thyssenkrupp „langfristig“ beteiligt bleibe. Die IG Metall fordert zudem für den Fall einer Übernahme Garantien für eine „mehrjährige“ Sicherung von Standorten, Anlagen und der Beschäftigung.

Zudem pocht die Gewerkschaft für den Fall eines Verkaufs der Stahlsparte auf finanzielle Sicherheiten für das Ruhrgebietsunternehmen. Eine Frage lautet: „Wie viel Eigenkapital wird der eventuelle Erwerber einbringen?“ Und: „Welche Sicherheiten gibt es für die Finanzierung von Thyssenkrupp Steel?“

Schon bei früheren Gesprächen waren die milliardenschweren Pensionsverpflichtungen, die der Stahlkonzern hat, ein wichtiges Thema. Zehntausende Betriebsrentner stehen in der Kartei von Thyssenkrupp Steel.

Für einen klimafreundlichen Umbau insbesondere des Stahlstandorts Duisburg benötigt das Unternehmen ebenfalls Milliardenbeträge. Denn es zeichnet sich ab, dass die klimaschädlichen Hochöfen in Duisburg in einigen Jahren ihren Betrieb einstellen müssen. Bei Thyssenkrupp Steel gibt es zwar Klarheit für die Nachfolge-Lösung einer der bestehenden Großanlagen, die durch eine Direktreduktionsanlage für den Betrieb mit Wasserstoff ersetzt werden soll. Es bleiben aber drei weitere Hochöfen allein bei Thyssenkrupp und zwei weitere beim Tochterunternehmen HKM. „Gibt es für die HKM ebenfalls eine Direktreduktionsanlage?“, fragt die IG Metall in ihrem Flugblatt zu einem möglichen Deal mit Křetínský.

Stahlchef Osburg: „Erstmal gibt es da eine Logik“

Der Vorstandschef von Thyssenkrupp Steel, Bernhard Osburg, zeigte sich vor wenigen Tagen offen für Gespräche mit Křetínský. „Erstmal gibt es da eine Logik, die man nicht wegwischen kann“, sagte Osburg im WAZ-Podcast „Die Wirtschaftsreporter“ zu einer möglichen Zusammenarbeit mit dem Unternehmer und seiner Firmengruppe EPH. Willkommen sei jeder Investor, der in der Lage sei, als Ankeraktionär bei Thyssenkrupp Steel „Kraft mit reinzubringen“, so Unternehmenschef Osburg. Besonders gut sei es, wenn ein Investor Kompetenzen mitbringe – und zwar aus der Stahlindustrie oder, was „sicherlich der Fall beim Herrn Křetínský“ sei, aus der Energiebranche. Regenerative Energie sei „der Stoff der Zukunft der Stahlindustrie“, betont Osburg in diesem Zusammenhang.

Mit seinem Unternehmen EPH ist Křetínský bereits in der deutschen Energiebranche aktiv. Im Jahr 2016 übernahm er vom Energieversorger Vattenfall das ostdeutsche Braunkohlegeschäft der Leag mit Kraftwerken und großen Tagebaugebieten in der Lausitz.

Zur Stahlsparte von Thyssenkrupp gehören etwa 27.000 der knapp 100.000 Beschäftigten des Essener Industriekonzerns. Mit Standorten in Duisburg, Bochum, Dortmund und Südwestfalen hat die Stahlproduktion insbesondere für NRW eine große Bedeutung. Die Ende Mai ausgeschiedene Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz hatte eine Herauslösung des Stahlgeschäfts aus dem Konzern angestrebt, aber nicht realisiert. Seit Juni führt nun der langjährige Siemens-Manager Miguel López den Essener Traditionskonzern.

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