Essen. IG Metall kassiert Vier-Tage-Woche in der Metallindustrie. Stahl-Arbeitgeber sehen sich als Versuchskaninchen – das sagen die Verhandlungsführer.
Mit all ihrer Macht will die IG Metall im Stahl die Vier-Tage- bzw. die 32-Stunden-Woche durchsetzen. In der Metall- und Elektroindustrie mit Rücksicht auf die Arbeitgeber aber nicht, wie Gewerkschaftschef Jörg Hofmann nun für die größte Industriebranche Deutschlands ankündigte. Warum es dann ausgerechnet sie treffen soll, wo sich doch die Stahlindustrie gerade völlig neu erfinden muss, fragen nun die Stahl-Arbeitgeber in NRW.
Es sei zu begrüßen, dass Hofmann einen Zusammenhang zwischen der Einführung einer 32-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich und der Konkurrenzfähigkeit der betroffenen Industrie herstelle, sagte Gerhard Erdmann unserer Redaktion, der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Stahl. Und fragte, „warum dieser Gesichtspunkt offensichtlich nicht auch für die Stahlindustrie gelten“ solle, obwohl die in einem immer schärfer werdenden internationalen Wettbewerb stehe. Zugleich müsse der Stahl „die historische Herausforderung der Transformation stemmen – im Gegensatz zu vielen ihrer internationalen Wettbewerber“, so Erdmann.
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Die IG Metall NRW hatte unlängst ihren Forderungskatalog für die im November beginnende Tarifrunde der nordwestdeutschen Stahlindustrie beschlossen – mit einer Lohnforderung von 8,5 Prozent und der schrittweisen Senkung der Wochenarbeitszeit von 35 auf 32 Stunden. In der Verwaltung, in der immerhin jeder dritte Stahl-Arbeitsplatz angesiedelt ist, würde das eine Vier-Tage-Woche ermöglichen, für die Schichtarbeiter in den Werken geht es eher um die Streichung von Schichten übers ganze Jahr verteilt.
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Hofmann sieht die mit bundesweit gut 69.000 Beschäftigten deutlich kleinere Stahlbranche als Vorreiterin für die Leitbranche Metall und Elektro, in der fast vier Millionen Menschen arbeiten. Die Stahl-Arbeitgeber sehen sich freilich eher als Versuchskaninchen. Erdmann addiert die Arbeitszeitreduzierung um 8,5 Prozent zur Lohnforderung dazu und beklagt ein „Gesamtvolumen von rund 17 Prozent“, das „die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Stahlindustrie“ gefährde.
Stahl soll vorangehen, Metall- und Elektro irgendwann folgen
Obwohl die nächste Tarifrunde für Metall und Elektro erst im Herbst 2024 ansteht, gibt Gewerkschaftschef Hofmann schon jetzt Entwarnung für die Arbeitgeber: „Aus heutiger Sicht sehe ich nicht, dass die Vier-Tage-Woche nächstes Jahr auf den Forderungszettel der IG Metall kommt. Ich betrachte das als längerfristiges Thema“, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Und fügte an: „Wir sind nicht blauäugig und sagen: Wir streben morgen in allen unseren Branchen die Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich an.“
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Hofmann verwies in diesem Zusammenhang auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Metall- und Elektroindustrie – auf die wolle er Rücksicht nehmen. Die IG Metall werde statt für kürzere Arbeitszeiten deshalb vor allem für höhere Löhne kämpfen, kündigte der scheidende Gewerkschaftschef an. Hofmann will Ende Oktober auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall abtreten und Platz für Christiane Benner machen, mit der größte deutsche Gewerkschaft erstmals eine Chefin bekäme.
Diese der Metallindustrie avisierte Rücksicht wünschen sich natürlich auch die Stahlunternehmen. „Eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich passt überhaupt nicht in diese Zeit. Wir befinden uns mitten in einer enorm herausfordernden Transformation“, sagt Thyssenkrupps Stahlchef Bernhard Osburg unserer Redaktion, nachdem die IG Metall ihre Forderung verkündet hatte. Auf dem Weg zu grünem, mit Wasserstoff produziertem Stahl falle bei Thyssenkrupp „eher mehr Arbeit an, nicht weniger“.
Thyssenkrupp-Stahlchef: Brauchen mehr Arbeitskraft, nicht weniger
Hofmann bemühte sich, durch seinen frühzeitigen Verzicht auf die Vier-Tage-Woche in der Metall- und Elektroindustrie die Verhandlungsposition im Stahl nicht zu schwächen. Er halte auch in der Leitbranche, zu der auch die mächtige deutsche Autoindustrie gehört, an einer Verkürzung der Regelwochenarbeitszeit von 35 auf 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich fest – aber noch nicht jetzt. „Auf längere Sicht kommen wir nicht umhin, solche Arbeitszeitmodelle für alle zu ermöglichen“, sagte Hofmann.
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Der Gewerkschaftsbezirk NRW führt die Verhandlungen im Stahl, sein Bezirksleiter Knut Giesler hatte bereits im April im Gespräch mit unserer Redaktion angekündigt, die 32-Stunden-Woche zum zentralen Thema dieser Tarifrunde machen zu wollen. Was in der Stahlindustrie, in der fast jeder und jede Beschäftigte IG-Metall-Mitglied ist, in aller Regel bedeutet, dass die Hauptforderung auch durchgesetzt wird.
IG Metall: Arbeitszeitverkürzung erst ab 2027 oder 2028
Um seinem Plan im Arbeitgeberlager etwas an Schrecken zu nehmen, betonte Giesler, mit der Senkung der Arbeitszeit erst „2027 oder 2028“ beginnen und sie dann in kleinen Schritten, „beispielsweise um eine halbe Stunde pro Jahr“ umsetzen zu wollen. Die finanzielle Belastung durch den Lohnausgleich spiele daher in der aktuellen Tarifrunde noch keine Rolle. Wenn die Transformation beendet sei, fielen aber durch die Abschaltung der Hochöfen und Kokereien in den kommenden zehn Jahren rund 17.000 Arbeitsplätze weg. Die Hälfte davon lasse sich mit der Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden auffangen.
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Stahl-Verhandlungsführer Erdmann erklärte dagegen, dass „etwaige Arbeitsplatzverluste im Zuge der Transformation durch neue Arbeitsplätze sowie die demografische Entwicklung aufgefangen werden können“. Einer pauschalen, für alle Teile der Stahlindustrie geltenden Arbeitszeitverkürzung bedürfe es daher nicht – schon gar nicht mit vollem Lohnausgleich. Das würde „die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie im Gegenteil ohne Not weiter schwächen und Arbeitsplätze gefährden“.
Streit über Vier-Tage-Woche schon Monate vor Stahl-Tarifrunde
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Sein Gegenüber am Verhandlungstisch sieht im bereits klar umrissenen Umbau der Stahlindustrie aber keinen Grund gegen, sondern für die 32-Stunden-Woche: „In der Stahlindustrie ist die Transformation schon viel greifbarer als in der Metall- und Elektroindustrie“, sagte er unserer Redaktion. Dadurch werde „ein großer Druck auf Beschäftigung entstehen“, weshalb es „neben der grünen Transformation auch Regelungen für eine soziale Transformation der Stahlindustrie“ brauche. Dafür spiele Arbeitszeitverkürzung „eine herausragende Rolle“, weil „die weniger werdende Arbeit dann auf mehrere Schultern verteilt werden kann“, so Giesler.