Essen. Wegen der Strompreisbremse haben Stadtwerke Probleme, allen Kunden pünktlich Jahresrechnungen zu schicken. Teils werden die Abbuchungen gestoppt.
Tausende Verbraucherinnen und Verbraucher müssen in diesem Jahr teils deutlich länger als üblich auf ihre Strom- und Gas-Abrechnungen warten. Nach Angaben der Verbraucherzentrale NRW gibt es daher dieser Tage wiederholt Beschwerden über Energieversorger an Rhein und Ruhr. Kundinnen und Kunden müssten wegen der Verzögerungen auch auf die Auszahlung etwaiger Guthaben bei ihren Versorgern warten, kritisiert Gregor Hermanni, der Energierechtsexperte der Verbraucherzentrale. Die Anbieter erhielten praktisch „ein zinsloses Darlehen“. Anderen Haushalten mit hohen Energieverbräuchen drohten hingegen Nachzahlungen, die sie womöglich jetzt noch nicht erahnten. Zur Verunsicherung der Verbraucher trägt bei, dass die Versorger, darunter zahlreiche Stadtwerke, zum Teil die Abbuchung von Abschlagszahlungen gestoppt haben.
Die Stadtwerke aus Bochum, Essen und Duisburg bestätigten auf Anfrage unserer Redaktion, dass es zu Verzögerungen bei den Jahresabrechnungen gekommen sei und zum Teil noch komme. Zur Begründung verwiesen die kommunalen Betriebe unter anderem auf die von der Bundesregierung beschlossenen Preisbremsen für Strom und Gas in der Energiekrise. Damit sei eine komplexe Umstellung der technischen Systeme der Stadtwerke verbunden gewesen. Angesichts der Preisbremsen gebe es „große systemtechnische Herausforderungen“, heißt es.
Teils werden die Abbuchungen der Abschläge gestoppt
„Vor allem im Frühjahr kam es auch bei den Stadtwerken Bochum zu Verzögerungen in der Rechnungsstellung“, erklärt das Unternehmen. „Diese Herausforderungen sind aber inzwischen größtenteils bewältigt und noch fehlende Rechnungen werden in Kürze erstellt.“ Auch bei den Duisburger Stadtwerken ist von einer „komplexen IT-technischen Umsetzung“ die Rede. „Mittlerweile haben wir die Energiepreisbremsen für den größten Teil unserer Kunden umgesetzt und die Prozentzahlen der offenen Abrechnungen bewegt sich insgesamt nur noch im niedrigen einstelligen Bereich.“
Eine Familie aus Essen hat vor wenigen Tagen ein Schreiben der Stadtwerke München erhalten, demzufolge es Verzögerungen bei der Abrechnung des Wärmestroms geben wird. Die Stadtwerke gehen sogar so weit, keine Abschlagszahlungen mehr von dem Kunden anzunehmen. Die Abbuchungen sind kurzerhand gestoppt worden. Seit März 2023 seien „keine Abschläge mehr eingezogen“ worden, so das Stadtwerk in dem Schreiben aus dem Juli. Die Stadtwerke empfehlen dem Verbraucher nun, Geld zurückzulegen. Da die Essener Familie in der Energiekrise ihren Verbrauch massiv gedrosselt hat, muss sie erstmal auf ihre zu erwartende Rückzahlung warten.
Abschlagshöhe basiert auf Verbrauch aus der Jahresrechnung
Die Verbraucherzentrale NRW berichtet, die Hinweise aus Haushalten, Abschläge seien über mehrere Monate nicht abgebucht worden, hätten deutlich zugenommen. „Dies ist aus rechtlicher Perspektive konsequent, wenn die Jahresrechnung nicht zur Verfügung gestellt wird“, erklärt Energierechtsexperte Hermanni. „Die Abschlagshöhe basiert auf dem Verbrauch aus der Jahresrechnung, der spätestens nach einem Jahr abgerechnet werden muss.“ Werde diese Rechnung nicht erstellt, gebe es auch keine Grundlage für die Berechnung der Abschlagshöhe.
Die Stadtwerke München, die auch Haushalte im Ruhrgebiet beliefern, bestätigen auf Anfrage unserer Redaktion, es habe starke Verzögerungen bei den Abrechnungen gegeben. Die Berücksichtigung der Energiepreisbremsen sei ein „sehr komplexes“ Vorhaben. „Wir mussten IT-Systeme neu programmieren und jeden Sonderfall klären“, so das Stadtwerk – und das bei mehr als 900.000 Stromkunden in rund 200 Tarifkonstellationen. Rund 75 Prozent der Privat- und Gewerbekunden hätten ihre Information zur Preisbremse und ihrer Entlastung mittlerweile erhalten. Ende Juli sollen es 90 Prozent sein.
Der Branchenverband BDEW wirbt um Verständnis. Deutschlands Energieversorger hätten „mit erheblichem Aufwand in extrem kurzer Zeit“ eine staatlich gesetzte Preisbremse für rund 40 Millionen Haushalte in die Tat umgesetzt, so der BDEW. „Es ist klar, dass es bei einer solchen Mammut-Aufgabe in Einzelfällen zu Problemen kommen kann.“ Auch nach Einschätzung des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU), dem Deutschlands Stadtwerke angehören, sind Verzögerungen bei den Strom-Abrechnungen zumindest nicht der Regelfall.
Stadtwerke: Beim Wärmestrom Energiepreisbremse „besonders aufwendig“
Bei Wärmestrom und zeitvariablen Tarifen sei die Umsetzung der Energiepreisbremse allerdings „besonders aufwendig“, so die Stadtwerke München, da hier eine individuelle Gewichtung der Arbeitspreise nach den jeweiligen Schaltzeiten des Netzbetreibers erfolgen müsse. „Die Berücksichtigung der Preisbremse bei diesen Tarifen wird sich leider noch etwas verzögern“, so die Stadtwerke aus Bayern, die auch in NRW Kunden beliefern. Die Stadtwerke Essen teilten mit, sie würden zwischenzeitlich bei Heizstrom-Kunden, die im Lastschriftverfahren bezahlen, auf Abbuchungen verzichten.
Bislang stellen die Stadtwerke München eigenen Angaben zufolge keine Häufung von hohen Nachzahlungen fest. Mehr als 65 Prozent der Verbraucher, bei denen eine Abrechnung vorliege, hätte lediglich eine Nachzahlung unter 100 Euro zu leisten oder könnten sich sogar über ein Guthaben beim Versorger freuen. „Die Auszahlung eines Guthabens stellt in der momentanen Situation natürlich auch eine Entlastung für einen Haushalt dar“, gibt Verbraucherschützer Hermanni zu bedenken. Ein „falsches Verbrauchsverhalten“ wiederum könne bei einer fehlenden Jahresabrechnung nicht erkannt und korrigiert werden.
Beschwerden zu Verstößen gegen die Pflicht für Versorger, spätestens nach einem Jahr den Energieverbrauch abzurechnen, habe es auch in früheren Jahren regelmäßig gegeben, so der Verbraucherschützer. „Neu ist allerdings, dass die Verzögerungen mit den Preisbremsen begründet werden.“