Münster. Beim Bauerntag in Münster trifft Cem Özdemir auf die Landwirte. Es gibt Kritik am Bundeslandwirtschaftsminister, der als Pragmatiker auftritt.
Hendrik Wüst hatte es Cem Özdemir nicht leicht gemacht, hatte der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen die Landwirte in seiner Rede auf dem Deutschen Bauerntag doch derart gebauchpinselt, dass die Delegierten mit lautem Applaus und teilweise Standing Ovations reagierten, zudem eine Gesandte dem NRW-Landesvater im Foyer der Kongresshalle im westfälischen Münster euphorisch zurief: „Herr Wüst, das war super.“
Für Wüst war der Termin am Donnerstag außerdem ein Heimspiel; er kommt aus dem westlichen Münsterland, studierte in Münster. In seiner Rede betonte er mehrfach seine Verbundenheit mit der Region wie der Landwirtschaft, viele Landwirte dürften dem CDU-Politiker ohnehin politisch näherstehen als dem Bundeslandwirtschaftsminister von den Grünen. Der trat nach ihm auf, und während Wüst erzählt hatte, dass er in einer Metzgerei aufgewachsen sei, durfte der Vegetarier Özdemir die Frage eines Journalisten beantworten, ob er denn überhaupt ein Interesse daran habe, Viehwirtschaft in Deutschland zu halten.
„Ich habe mein Minischterium nicht in das Soja-Würschtchen-Ministerium umbenannt“, antwortete er in seinem schwäbischen Dialekt. „Es ist immer noch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Das wird‘s auch bleiben“, so Özdemir weiter, der darum bemüht war, keine (neuerliche) Debatte um (grüne) Bevormundung und Verbote zu führen. Jeder könne so viel Fleisch essen, wie er wolle.
Der 57-Jährige gab sich als Pragmatiker, warnte vor einer Polarisierung, einem „Kulturkampf“ und Falschmeldungen, reichte den Bauern die Hand. Lange sah es danach aus, als sei es eine recht harmonische Veranstaltung, insbesondere die Auftritte mit Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes und wie Özdemir aus Baden-Württemberg. Der Bauerntag in Münster zeigte aber auch: Die Beziehung der Landwirte zu dem Grünen ist nicht frei von Misstrauen.
Landwirt wirft Özdemir „Täuschen, Tricksen und Tarnen“ vor
Am deutlichsten wurde das bei der Aussprache mit den Landwirten im Anschluss an die 50-minütige Rede Özdemirs, bei der es auch um die Glaubwürdigkeit des Bundesministers ging. So warf ein Landwirt aus Brandenburg Özdemir „Täuschen, Tricksen und Tarnen“ vor und bemerkte: „Wir wissen ganz genau, dass wir Ihnen rhetorisch vielleicht nicht gewachsen sind, aber wohl mit den Lösungen vor Ort. Da haben wir die Rezepte, da sollten Sie uns fragen, auf uns zurückkommen. Sie überfrachten uns mit Bestimmungen und Anforderungen, das schwächt abermals die Wettbewerbsfähigkeit und die Zukunftsperspektiven, vor allem für unsere jüngsten Kolleginnen und Kollegen.“
Während Özdemir, der mitunter dünnhäutig wirkte, mal in einen Rechtfertigungsmodus verfiel und Vorgängeradministrationen verantwortlich machte oder die CSU attackierte, auf die scharfe Ansage aus Brandenburg mit der Bemerkung reagierte, „Ich habe Ihren Hinweis nicht verstanden“, spendeten die Landwirte im Saal ihrem Kollegen lauten Applaus. So ähnlich, wie die Delegierten zuvor auch auf Wüst reagierten hatten.
Maximal-Lob für Wüst-Rede
Der NRW-Ministerpräsident war nach einer eingespielten Video-Botschaft von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an der Reihe. Wüst betonte, dass NRW das drittgrößte Agrarbundesland der Republik sei, lobte die „starke heimische Landwirtschaft“ dafür, dass sie die Versorgung mit Lebensmitteln sichere. Durch den Ukraine-Krieg habe sich gezeigt, wie wichtig es sei, auch in diesem Bereich nicht in eine Abhängigkeit zu geraten. „Es muss auch in der Politik klar sein, dass allererste Priorität die Erzeugung von Lebensmitteln hat. Dafür braucht die Landwirtschaft Planungssicherheit“, sagte Wüst, der forderte, die Landwirte bei Vorgaben zu Tierhaltung, Flächennutzung oder Düngemitteln nicht zu überfordern.
Damit traf er den Nerv seiner Zuhörer, die über immer neue Regelungen aus Berlin und Brüssel klagen und sich Verlässlichkeit wünschen (nicht zuletzt, um jüngere Landwirte in der Branche zu halten). Auf großen Zuspruch stieß Wüst mit weiteren Ansagen, etwa die, dass deutsche Alleingänge in Europa, beispielsweise beim Tötungsverbot von männlichen Küken, keinen Sinn hätten. „Wir können vorangehen, aber andere müssen auch nachkommen“, sagte Wüst. Wie Özdemir warb er um ein faires Miteinander sowie eine angemessene Vergütung für in Deutschland und nachhaltig produzierte Lebensmittel.
Wüsts Auftritt quittierte Bauernpräsident Rukwied mit einem Maximallob: „Hervorragende Rede, die Mut gemacht hat, die Perspektiven aufgezeigt hat, mit der Sie eines vermitteln konnten: Sie stehen an der Seite unserer Bauernfamilien.“ Özdemirs Vortrag, der detaillierter, aber auch langatmiger geriet als der von Wüst, kommentierte Rukwied hingegen mit dem Fazit: „Es gibt einige Punkte, über die wir diskutieren müssen. Sie haben aber auch einige positive Aspekte mitgebracht.“
Özdemir: Landwirte wichtig für Demokratie
Trotzdem betonten Rukwied und Özdemir auch Gemeinsamkeiten. Rukwied erklärte, dass die Landwirte bereit seien, beim Umwelt-, Tier- oder Klimaschutz „noch mehr zu machen“. Jedoch: „Es muss sich natürlich auch für die Landwirtschaft rechnen.“
Özdemir wiederum versicherte, notwendige Veränderungen „nicht mit dem Fallbeil“ vorzunehmen, sicherte den Bauern Verlässlichkeit und Unterstützung bei der Umstellung zu mehr Klima- und Tierschutz zu und bedankte sich ausdrücklich für Eingaben der Branche zum kürzlich vom Bundestag beschlossenen Tierhaltungskennzeichnungsgesetz. „Sie haben das Gesetz besser gemacht“, sagte er und dankte den Landwirten auch für den Druck, den sie bei der Beratung des Bundeshaushalts gemacht hätten.
Dieser Druck „hat mir in den Verhandlungen geholfen, zumindest ein bisschen abzufedern, was da an Kürzungen geplant war“, sagte Özdemir und erklärte, dass mit jedem landwirtschaftlichen Betrieb, der aufgebe, „ein Stück Demokratie verloren“ gehe. „Das sind Leute, die sich ehrenamtlich engagieren, die in den Gemeinderat gehen, die in der Freiwilligen Feuerwehr sind und so weiter. Deshalb ist das auch für den Zusammenhalt im Land wichtig“, so der Minister.