Wesel. Mehrere Ladenbesitzer, darunter Hans-Jürgen Nitsch, mussten ihre Schriftzüge entfernen. Die Stadt hat rund 25 Geschäfte beanstandet. Die Gründe.
Die Berichterstattung über Bettina Gawron, die nach 13 Jahren den Schriftzug über ihrem Juwelierladen entfernen musste, weil er gegen die städtische Gestaltungssatzung verstößt, hat Hans-Jürgen Nitsch aufmerksam gelesen. Denn er kennt das Problem: Über seinem Geschäft für Kindermode und Spielzeug „Hajü‘s Laden“ an der Goldstraße 7 verkündet das Schild, dass dort ein Pflegedienst ansässig sei. Denn auch er musste im Herbst seinen Werbeschriftzug wieder entfernen – bei Androhung eines Bußgeldes, wie er berichtet. So ist nun der – gleich große – Schriftzug des Vorgängers wieder sichtbar. Der Inhaber kann darüber nur den Kopf schütteln. „Bei mir wollte Kunden schon einen Pflegedienst buchen“, berichtet er.
Im Herbst war der Weseler mit seinem inhabergeführten Fachgeschäft von der Hausnummer 5 auf die 7 gezogen. Dort hängt eine große Werbetafel über dem Schaufenster, auf der der Pflegedienst seinen Schriftzug installiert hatte. Den bestehenden, 30 Jahre alten und von der Stadt damals genehmigten Werbeträger hatte Hans-Jürgen Nitsch mit seinem Schriftzug überklebt und für die professionelle Optik damit eine Firma beauftragt. „Es sah wunderschön aus. Man konnte meinen Laden vom Leyensplatz aus sehen.“
Doch nach dem Hansefest habe sich das Bauordnungsamt bei ihm gemeldet und verlangt, die neue Werbung zu entfernen. Die gesamte Werbeanlage sei aufgrund ihrer Größe und des Bogens über dem Eingang nicht mehr mit der neuen Gestaltungssatzung vereinbar und soll sogar, so berichtet es Nitsch, komplett entfernt werden. Das ist Sache des Hauseigentümers, der nun in Verhandlung mit der Stadt stünde. Wann es eine Einigung geben wird, weiß der Einzelhändler nicht. Vorläufig wird der Inhaber des Fachgeschäftes also keinen neuen Schriftzug installieren können. Auch die bunten, in Blumenkübel gesteckten Windspiele und die unter dem Fassadendach aufgehängten Windfahnen musste er entfernen. Letztere seien im öffentlichen Raum nicht zulässig, schildert Nitsch, und die Windspiele wurden als sich drehende Werbeobjekte interpretiert, die ebenfalls unzulässig sind.
Von anderen Geschäftsinhabern in der Innenstadt habe er ebenfalls gehört, dass es Probleme mit Werbeanlagen gab. Hans-Jürgen Nitsch hat wenig Verständnis für die städtische Regelungswut und hält sie für geschäftsschädigend. Einige Kunden hätten schon gedacht, er habe den Laden aufgegeben. Über die Sozialen Medien erreicht er zum Glück viele Kunden, auch von außerhalb. „Ich fühle mich von der Stadt überreglementiert und wenig unterstützt“, so sein Resümee. Es fehle das Fingerspitzengefühl, viele Geschäftsinhaber hätten schließlich schon genug Probleme.
Darum hat die Stadt die Kontrollen verstärkt
Aber warum ist Wesel derzeit so intensiv in Sachen Gestaltungssatzung unterwegs? In den vergangenen Jahren habe die Stadt nicht mehr so genau hingeschaut, berichtet Ludger Terlinden, Leiter der städtischen Bauordnungsbehörde. Die Überarbeitung der Satzung im Herbst und die Tatsache, dass es immer mehr Verstöße gegeben habe, nennt er als Grund. „Wir haben in letzter Zeit verstärkt darauf geachtet und haben die Auswüchse zum Anlass genommen.“ Rund 25 Verstöße seien dabei registriert und die Händler kontaktiert worden. In den meisten Fällen ging es laut Terlinden um zwei Verstöße: die fehlende Baugenehmigung und die zu großen Werbeanlagen. In der jüngsten Aktualisierung der Gestaltungssatzung sei zum Beispiel die Größe der Schriftzüge und Werbeflächen nochmals „konkretisiert“ worden.
Alte Werbeanlagen mit gültiger Baugenehmigung hätten Bestandsschutz, so Terlinden. Doch sobald ein Händler etwas daran verändere, erlischt die Genehmigung und damit der Bestandsschutz. Bei den jüngsten Kontrollen sei dann auch der eine oder andere ältere Fall aufgefallen. Ziel der 2012 erstmals für einen größeren Innenstadtbereich in Kraft getretenen Gestaltungssatzung ist laut Stadt, die Strukturen des typischen Ortsbildes mit seiner Architektur aus der Zeit des Wiederaufbaus sichtbar zu halten. So stehlt es auch in der Satzung. Terlinden ergänzt dazu, dass die Stadt schließlich viel Geld für die Gestaltung der Fußgängerzone ausgegeben habe und versichert: Wer Probleme bei der Konzeption seiner Werbeanlage habe, könne sich von der Bauordnungsbehörde beraten lassen.
Ob sich das Stadtbild so verbessern lässt, bleibt indes fraglich. Denn wer durch die Innenstadt läuft, stellt fest: Nicht alles, was in die Größenschablone der Gestaltungssatzung passt, ist gleichzeitig schön.