Wesel/Hünxe/Schermbeck. 2023 war ein Rekordjahr im Lippegebiet – auch in Wesel, Schermbeck und Hünxe. In der Zukunft drohen immer mehr extreme Hochwasser-Ereignisse.
Überflutete Keller, gesperrte Straßen, nasse Felder, bedrohte Häuser und die Feuerwehr im Dauereinsatz: Das Weihnachtshochwasser 2023 an der Lippe wird vielen Menschen wohl dauerhaft in Erinnerung bleiben – vor allem in Schermbeck-Gahlen und Hünxe-Krudenburg. In Zukunft könnte diese Hochwassergefahr noch weiter ansteigen, das machte der Lippeverband nun in seiner Jahresbilanz deutlich. Die vergangene Niederschlags- und Hochwasserlage bestätige die Prognose, „dass wir in Folge des Klimawandels immer häufiger Regenereignisse erleben werden, deren Folgen wir heute kaum einschätzen können“, wird Prof. Dr. Uli Paetzel, der Vorstandsvorsitzende des Verbandes, zitiert.
Niederschlag an der Lippe: Viel mehr Regen als in normalen Jahre
Das Kalenderjahr 2023 schafft es auf Platz eins der nassesten Jahre ab Aufzeichnungsbeginn im Jahr 1931. In gesamten Lippe-Gebiet, also von der Quelle in Bad Lippspringe bis zur Mündung in Wesel, fielen im vergangenen Kalenderjahr im Gebietsmittel 1130 Millimeter Niederschlag. das waren 71 Millimeter mehr als beim bisherigen Platz eins von 1059 Millimeter im Jahr 1965. Zum Vergleich: Das 130-jährige Mittel liegt gerade mal bei 766 Mittel, das Jahr verlief also deutlich überdurchschnittlich. Damit wurde 2023 auch die fünfjährige Serie der zu trockenen Jahre von 2018 bis 2022 beendet. Im Lippe-Gebiet lagen alle Monate beim Niederschlag über oder genau auf dem 130-jährigen Mittel. Acht Monate lagen deutlich darüber, so der Verband. Fünf Monate erreichten einen Monatsniederschlag über 100 mm. Der größte Monatsniederschlag des Kalenderjahres 2023 wurde im Dezember mit knapp 149 mm erreicht. Lediglich an sieben von 31 Tagen regnete es im Dezember nicht.
Angesichts extremer Wetterereignisse fordert der Lippeverband mit Blick auf die gesamte Region einen Umbau der Infrastruktur am Fluss und in dessen Einzugsgebiet. Er warnt davor, angesichts wieder gesunkener Pegel nun in eine „Hochwasser-Demenz“ zu verfallen. Nur weil an der Lippe „alles im Wesentlichen gut verlaufen ist, darf sich darauf nicht ausgeruht werden. Es gilt, den Hochwasserschutz weiter zu stärken“, bekräftigt Dr. Frank Obenaus, Vorstand für Wassermanagement und Technik beim Lippeverband und der Emschergenossenschaft.
So spielten nicht nur rein von der Wasserwirtschaft genutzte Retentionsräume, also Rückzugsflächen bei Hochwasser, eine Rolle – daneben sei die Ausweitung und Benennung von Flächen, die im Notfall geflutet werden können, von enormer Bedeutung. Bei diesen Notpoldern handelt es sich um anders genutzte Flächen, zum Beispiel landwirtschaftliche Äcker oder Bolzplätze, die nur im Notfall – daher der Begriff Notpolder – gezielt geflutet werden können, um besonders gefährdete Bereiche wie Häuser und Wohnungen, kritische Infrastruktur, Kindergärten oder Pflege- und Altenheime zu schützen. Potenzielle Flächen habe der Verband bereits identifiziert. Nur er kritisiert: „Die Eigentümer, unter anderem die Landwirtschaft, haben jedoch meist andere Pläne für diese Flächen, so dass bezüglich der Flächenverfügbarkeit ein Interessenskonflikt zu lösen ist.“
Darüber hinaus mache sich der Lippeverband für ein umfassendes Deichausbauprogramm stark, das an den Veränderungen durch den Klimawandel orientiert ist. Für die Deichsanierung müssten seitens der Politik deutlich mehr finanzielle Mittel als bisher bereitgestellt werden, so die Kritik. „Jeder in die Deichsanierung investierte Euro vermeidet deutlich höhere Schäden in den durch die Deiche geschützten Gebieten.“ Zudem müssten die aktuell sehr langen Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich verschlankt werden, um Deichsanierungen flächendeckend vorantreiben zu können.
Schwammstadt als Konzept
Ein Konzept, um Schäden von Dauer- und Starkregen abzumildern, ist laut Lippeverband die Schwammstadt. „Wir müssen unsere Infrastrukturen anpassen, mehr Aufnahmekapazitäten, Speicher- und Rückhaltemöglichkeiten für Regenwasser in den Wohnquartieren schaffen, denn häufigeres Extremwetter ist eine unumkehrbare Folge des Klimawandels“, sagt Vorstand Uli Paetzel. Beim wasserbewussten Stadtumbau nach dem Schwammstadt-Konzept ist die Rolle des Regenwassers zentral. Es soll nicht mehr zusammen mit Schmutzwasser aus Haushalten oder von anderen Flächen in die Kanalisation und zur Kläranlage abgeleitet werden, sondern vor Ort gespeichert, aufgefangen oder versickert werden. Diese naturnahe Regenwasserbewirtschaftung stärkt den natürlichen Wasserkreislauf und damit zum Beispiel Grundwasser oder Gewässer. Sie führt aber auch dazu, dass Regenwasser verdunsten kann und so die Lufttemperatur kühlt oder zur Bewässerung von Pflanzen zur Verfügung steht.