Wesel. Vor 85 Jahren zündeten Nazis Synagogen an – auch in Wesel. Bei der zentralen Gedenkveranstaltung ging es aber nicht nur um den damaligen Terror.

Das Bühnenhaus ist an diesem Donnerstagabend bis auf wenige freie Plätze gefüllt. Superintendent Thomas Brödenfeld eröffnet die seit vielen Jahren von der Stadt Wesel und dem Jüdisch-Christlichen Freundeskreis organisierte Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht. Er dankt den zahlreichen Besucher für ihre Anwesenheit und das damit gesetzte deutliche „Zeichen der Verbundenheit“.

Was am 9. November 1938 geschah, ist, wie Bürgermeisterin Ulrike Westkamp in ihrer Rede meint „für uns Nachgeborene unvorstellbar! Aber es war so.“ Ein Zivilisationsbruch: Nazi-Schergen zündeten um die 1.400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume jüdischer Mitmenschen in Deutschland an. „Tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden gestürmt und zerstört. Hunderte Juden wurden ermordet, Hunderte nahmen sich das Leben.“ Auch in Wesel gab es damals schreckliche Vorfälle.

Erinnerungen des Weseler Juden Erich Leyens

Am 7. Oktober 2023 habe es wieder einen Zivilisationsbruch gegeben. 85 Jahre nach der Pogromnacht „wachen wir in einer Welt auf, in der hasserfüllte, von Ideologie verblendete Terroristen unschuldiges Leben, darunter Kinder, ermorden“, sagt Westkamp und versichert: „Wir trauern um die Toten und als Geisel genommene Menschen in Israel. Wir bekunden unser Mitgefühl den Angehörigen.“ Die Bürgermeisterin setzt sich auch mit dem zugewanderten Antisemitismus auseinander. Man dürfe in Deutschland demonstrieren, auch gegen Israel und seine Siedlungspolitik. Es sei aber nicht tolerierbar, dass „dem Terror applaudiert werde und Bonbons verteilt werden, wenn jüdisches Leben abgeschlachtet wird.“

Am jüdischen Mahnmal bekundeten viele Weseler während des Pogrom-Gedenkens ihre Solidarität mit Israel.
Am jüdischen Mahnmal bekundeten viele Weseler während des Pogrom-Gedenkens ihre Solidarität mit Israel. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser

Die Veranstaltung wird fortgesetzt mit Arno Kempf, Schauspieler der Burghofbühne, der aus den beeindruckenden Erinnerungen des Weseler Juden Erich Leyens vorliest; dessen Geschäft lag an der Ostseite des Großen Markts, also direkt in der Nähe des Willibrordi-Doms. Der kluge und geschäftlich erfolgreiche Kaufmann konnte sich kurzfristig mit intelligenten, innovativen Werbeveranstaltungen dem Boykottaufruf jüdischer Geschäfte 1933 entziehen, musste aber nach anfänglicher Sympathie in der Weseler Bevölkerung das Geschäft aufgeben, nachdem seine Sicherheit selbst durch die Polizei nicht mehr gewährleistet werden konnte.

Bürgermeisterin Westkamp: „Ein starkes Zeichen“

Diese authentischen, lebensnahen Schilderungen eines offenbar sympathischen Mannes, der in Wesel bekannt und beliebt war, bleiben nicht ohne Wirkung. Es ist mucksmäuschenstill im Bühnenhaus. Die spannende Lebensgeschichte des Weseler Kaufmanns zieht das Publikum in ihren Bann. „Man konnte sich ja alles so gut vorstellen“, meint eine Besucherin später. Die musikalische Begleitung von Ingo Borgardt mit seiner Klarinette verleiht mit ihrem warmen, dunklen Klang den Worten in den kleinen Sprechpausen zusätzlich einen nachdenklichen Nachhall.

Trotz des strömenden Regens machen sich die meisten Besucher nach der Lesung mit eine Kerze auf den Weg zum Mahnmal zur Erinnerung an die Zerstörung der Weseler Synagoge und an die Ermordung Weseler Bürger jüdischen Glaubens. Bürgermeisterin Westkamp stellt zufrieden fest: „Es ist ein starkes Zeichen, dass so viele Menschen in Wesel mit ihrer Teilnahme an der Gedenkveranstaltung ihre Solidarität mit dem jüdischen Leben und dem Staat Israel zum Ausdruck bringen.“ Nach Angaben der Stadt beteiligten sich mehr als 500 Menschen an der zentralen Gedenkveranstaltung.