Schermbeck/Hünxe. Autor Andreas Heidtmann ist in Hünxe geboren und in Schermbeck aufgewachsen. Der Roman „Plötzlich waren wir sterblich“ spielt in der Jugendheimat.
Vor wenigen Tagen ist der zweite Roman von Andreas Heidtmann auf den Markt gekommen, und in Schermbeck und Hünxe mögen einige Leute bei dem Namen aufhorchen. Zu Recht. Denn der Autor wohnt zwar seit langem in Leipzig, doch geboren wurde er in der Nelskamp-Siedlung in Gartrop-Bühl. Der Vater schaffte bei Nelskamp. Als Heidtmann zwei Jahre alt war, zog die Familie dann nach Alt-Schermbeck. Bis er sich mit zwanzig Jahren zum Musikstudium nach Köln verabschiedete, hat der 61-jährige an der Lippe gelebt. An der Lippe spielt auch „Plötzlich waren wir sterblich“, der neue Roman.
Genauer: In Lippfeld. Diesen Namen hat der Autor Schermbeck im Buch verpasst. Das verschafft ihm nicht nur eine gewisse innerliche Distanz zu seinem Heimatort: „Es gibt mir auch die Freiheit, den Ententeich Schwanenteich zu nennen oder nur von einer einzigen Kirche zu erzählen“, erklärt er. Und obendrein kann ihm niemand mit pingeligen Details kommen, die er nicht richtig erinnere.
Um die Details geht es ihm nämlich genauso wenig wie um Nostalgie. Er will vielmehr die Stimmung unter der Jugend in den Siebzigerjahren nachzeichnen und zeigen, dass sich die Jugend heute gar nicht so sehr von der Jugend damals unterscheidet. Die großen Themen bleiben die gleichen – die erste große Liebe, die ersten Treffen, die Konflikte mit den Eltern. „Meine Tochter fand sich jedenfalls darin wieder“, sagt er.
Nach Schermbeck kommt Andreas Heidtmann nur noch selten
Eigentlich hatte er ihr, als sie fünfzehn war, mit dem Roman nur zeigen wollen, wie ein Leben ohne Handy aussah, erzählt er. Und meint das natürlich nicht so ganz ernst. Er liebt Ironie, und das ist auch dem Roman anzumerken. Wenn er etwa seine Hauptfigur Ben Schneider in der Ich-Form mit großer Dramatik erzählen lässt, wie er sich eine gehörige Tracht Prügel vom neuen Freund seiner Ex Susanna einhandelt, schwingt eine große Portion Ironie mit.
Ein weiteres Thema, das er beleuchten wollte, ist das Zusammenleben von Jugendlichen aus der Arbeiterschicht und Kindern wohlhabender Familien. Die Faust in Bens Gesicht stammte von einem dieser gutbürgerlichen Söhne. Und dann ist da noch die Musik. Damals in Schermbeck war Heidtmann wahrscheinlich der Einzige, der mit Klassik etwas anfangen konnte. Aber er hatte auch schon immer eine Ader für Pop-Musik. Und so ziehen sich die Titel seiner Jugend durch den Roman. Getanzt wird zu Boney M. Und die Band, in der Romanheld Ben Keyboards spielt, versucht sich an Janis Joplins Me and Bobby McGee. Heidtmanns Lieblingssong, Pink Floyds Wish You Were Here, darf natürlich auch nicht fehlen.
Wenn Rebecca, die Neue nach Susanna, Ben aus „unzumutbarer Ferne“ einen Brief schreibt, zitiert sie den Song. Der auch Bens Lieblingssong ist. Wie viel von ihm selbst in diesem Ben stecke, wird Heidtmann immer wieder gefragt: „Es ist eine Menge Fiktion dabei,“ erläutert er, „aber auch viel selbst Erlebtes.“ Manche Leute nennen das Autofiktion.
Man kann „Plötzlich waren wir sterblich“ als unabhängigen Roman über den Sommer 1976 lesen, aber auch als die Fortsetzung seines Erstlings „Wie wir lange Zeit nicht küssten, als ABBA berühmt wurde“. Der spielt zwei Jahre zuvor und Ben ist da noch voller Illusionen, über die Liebe zum Beispiel. Doch die Träume sind nun verflogen und Ben findet sich unter den Sterblichen wieder. Ein dritter Band ist übrigens angedacht.
Nach Schermbeck kommt Andreas Heidtmann seit dem Tod der Eltern vor zehn Jahren nur noch selten. Er betreibt seit 2000 in Leipzig einen erfolgreichen, mit mehreren Preisen bedachten Lyrikverlag, und da ist Zeit knapp. Die Lesereise an den Niederrhein mit dem Debütroman fiel Corona zum Opfer. Jetzt hofft Andreas Heidtmann, dass er zumindest Werk Nummer zwei bald dort persönlich vorstellen kann, wo es angesiedelt ist.
Die Romane von Andreas Heidtmann:
- Plötzlich waren wir sterblich. Faber & Faber, 256 Seiten, 24,00 Euro.
- Wie wir uns lange Zeit nicht küssten, als ABBA berühmt wurde. Steidl Verlag, 352 Seiten, 22 Euro.