Wesel. Im Marien-Hospital haben Azubis die Verantwortung für eine Station übernommen. Was hinter dem für Wesel bisher einzigartigen Projekt steckt.
Für Tamara Woywod und Sina Hanrath ist derzeit gar nichts Alltag: Die beiden Auszubildenden sind seit gut einer Woche für die Abläufe in der Gefäßchirurgie des Marien-Hospitals in Wesel verantwortlich – als Stationsleiterin und Stellvertreterin stehen sie einem Team von 22 Pflege-Azubis vor, die in dieses besondere Projekt eingebunden sind. Zum ersten Mal überhaupt übernimmt eine Gruppe von angehenden Pflegefachfrauen und -männern die Verantwortung für eine gesamte Station des Krankenhauses.
Dienstpläne erstellen, Patienten versorgen, an der Visite teilnehmen – all das und viele weitere Aufgaben einer Pflegekraft erledigen die Auszubildenden vier Wochen lang selbstständig. Das Ziel: eine möglichst realistische Vorbereitung auf den Berufsalltag. Die angehenden Pflegekräfte sollen das Miteinander im Stationsalltag einüben und das Zusammenspiel unter anderem mit den Ärztinnen und Ärzten in eigener Verantwortung kennenlernen. Dabei übernehmen sie die Früh- und Spätdienste.
„Die ersten Tage waren schon etwas chaotisch, aber mittlerweile läuft es sehr gut“, beschreibt Tamara Woywod ihre Eindrücke. Das am Marien-Hospital bisher einzigartige Projekt unterscheidet sich deutlich von den sonst üblichen Stationen der Ausbildung: Statt auf einer Station mit dem Pflegepersonal nur mitzulaufen, müssen die jungen Menschen ihre eigenen Entscheidungen treffen. „Ich gehe jetzt nach dem Dienst mit ganz anderen Gedanken nach Hause“, erzählt Sina Hanrath. „Habe ich wirklich an alles gedacht? Hat der Patient noch eine Wasserflasche bekommen?“
Natürlich werden die Auszubildenden nicht alleine gelassen – und das Projekt soll keine Maßnahme sein, um einer angespannten Personallage entgegenzuwirken, betonen die Verantwortlichen des Marien-Hospitals. „Wir setzen sogar zusätzliches Personal dafür ein“, sagt Sebastian van de Loo, verantwortlicher Pflegemanager für die Gefäßchirurgie. So ist das angestammte Stationsteam ebenfalls jederzeit im Dienst, hinzu kommen Praxisanleiter, die für Rückfragen zur Verfügung stehen. Außerdem können aus rechtlichen Gründen nicht alle Aufgaben von der Azubis übernommen werden, so dürfen sie beispielsweise keine Infusionen legen – das übernehmen dann die fertig ausgebildeten Pflegekräfte.
Projekt im Weseler Marien-Hospital: „Das ist kein Versuchslabor“
„Das ist kein Versuchslabor“, betont van der Loo. Die Patientinnen und Patienten werden über das Projekt informiert, können Fragen stellen und Rückmeldungen geben. Das ärztliche Personal auf der Station ist ebenfalls eingebunden. „Ich unterstütze das Projekt gern, weil es den Auszubildenden die einmalige Chance gibt, den klinischen Alltag in eigener Verantwortung zu meistern“, sagt Dr. Jürgen Hinkelmann, Chefarzt der Klinik für Gefäßchirurgie. Er hat keine Bedenken, die oft sehr schwer Erkrankten den jungen Leuten anzuvertrauen: „Sie werden gut begleitet und ich war in die intensive Vorbereitung eingebunden. Da war schon zu spüren, dass die Auszubildenden für die Sache brennen.“
Allein diese Vorbereitungsphase dauerte sechs Monate: Regelmäßig nahm die Projektgruppe an Schulungen teil, um bestmöglich auf die Abläufe vorbereitet zu werden – dazu gehörte auch eine Einweisung in die Gefäßmedizin und die wichtigsten Methoden in diesem Bereich. Wenn die vier Wochen um sind, wird der Versuch wissenschaftlich ausgewertet. Dafür werden unter anderem die Patienten auf der Station befragt. Denn schon jetzt steht für das Krankenhaus fest: Es soll nicht bei dem einen Mal bleiben, das Projekt dauerhaft in die Ausbildung integriert werden.
Hintergrund: Bildungszentrum Niederrhein als Vermittler
In das Projekt eingebunden ist das Bildungszentrum Niederrhein Wesel, also die hiesige Pflegeschule, als Vermittler zwischen den Auszubildenden und dem Krankenhaus. Unter den 22 Azubis wurden die Dienste nach einem festen Betreuungsschlüssel eingeteilt: So kommt jeder von ihnen im Schnitt auf 2,5 Patienten im Frühdienst und 3,3 Patienten im Spätdienst. Weil Nachtdienste schlecht planbar sind und sich deshalb schlecht für Ausbildungszwecke nutzen lassen, sind sie ausgeklammert worden.