Hünxe. Henner Lüttich erstellt für Unternehmen, Städte und Kreise passgenaue Standortanalysen. Insgesamt 67 Indikatoren spielen dabei eine Rolle.

Schade. Diese Frage bleibt unbeantwortet. Wobei man sich eigentlich gewünscht hätte, dass man hier und heute in diesem Büro am Tenderingsweg erfährt, welches die ultimative Traumstadt in Deutschland ist. Wo der Honig fließt, sich jeder gern hat und im besten Falle die Lieblings-Fußballmannschaft auch noch alle Spiele gewinnt. Doch das ist und bleibt wohl Wunschdenken, daran kann selbst Henner Lüttich nichts ändern. Gute Städte, schlechte Städte? „Nein“, schmunzelt der 66-Jährige, „die gibt es nicht. Da gibt es so viele Indikatoren. Die eine Stadt ist hierbei top, die andere wieder in einem anderen Bereich.“ Dabei hat der Hünxer zigtausend Daten in sein System eingepflegt, kann auf Tastendruck rund 11.000 Städte und Kommunen bundesweit auf seinen Bildschirm rufen.

Ein Schreibtisch, ein Rechner, ein Drucker, ein paar Schreibutensilien – fast ein wenig spartanisch kommt der Arbeitsplatz des Daten-Spezialisten aus Hünxe daher. So sieht sie also aus, die Wirkungsstätte von Contor-Regio, wo Standort- und Strukturanalysen erstellt und damit später Städte-Rankings ermittelt werden – für Unternehmen, die den perfekten Standort suchen, aber auch für Städte und Regionen bei der Analyse ihrer Infrastruktur. In diesen Wochen pflegt der Hünxer wieder aktuelle Datensätze ein – in seiner Ein-Mann-Firma. „Ich war immer gerne mein eigener Herr, arbeite am liebsten alleine.“

Nach seinem BWL-Studium in Münster hatte sich der Diplom-Kaufmann zunächst um Sanierungskonzepte für Unternehmen gekümmert. „Da wurde oftmals eine ganz verrückte, bisweilen fatale Standortentscheidung getroffen – und sehr, sehr viel Geld versenkt“, erinnert sich Henner Lüttich. Auch mit eigentlich erfahrenen und intelligenten Köpfen an der Spitze. So ist der Familienvater mit Mitte 30 nochmals an die Uni gegangen, hat dort Literatur zum Thema gewälzt – und kam mit der Erkenntnis zurück, dass es keine vernünftigen Möglichkeiten gibt, den richtigen Standort zu ermitteln.

67 Indikatoren für das Städte-Ranking

Somit begann Henner Lüttich damit, Daten zusammenzusuchen und Indikatoren aufzustellen. „Es wurde immer mehr – und damit kam auch die Frage, wie ich Transparenz in die Datenflut bekomme.“ Knappe drei Jahre war er damit beschäftigt, ein multivariates System für die Standortsuche zu entwickeln. „Man muss sich einarbeiten, das ist schon sehr aufwendig.“ Zwischen sechs und acht Wochen dauert in der Regel eine Analyse – für gerade einmal 386,75 Euro im Jahres-Abonnement gibt es dann die Software und Daten auf dem USB-Stick. Henner Lüttichs passgenaue Arbeit hat sich längst herumgesprochen – mehrere Aufträge gibt es im Jahr, meist von mittelständischen Unternehmen bis hin zu Firmen mit 30.000 Mitarbeitern.

Die Auftraggeber kommen zumeist aus dem Bundesgebiet, aber auch in den USA hat man schon mal auf die Datensätze aus Hünxe vertraut. Neben vielen Stadtverwaltungen und Kommunen. „Die Medaille hat ja zwei Seiten“, erklärte Henner Lüttich. „Unternehmen suchen nach Standorten – und Städte haben das umgekehrte Problem: Sie suchen Unternehmen, die sich vor Ort ansiedeln sollen.“ Immer vor dem Hintergrund, dem Bürger ein gewisses Maß an Lebensqualität zu geben. Den Anstoß, den Datensatz auch mal für Städte, Gemeinden und Kreise zu nutzen, kam aus Wesel: Michael Düchting, Leiter der Entwicklungs-Agentur Wirtschaft, hatte Henner Lüttich diese Anregung mal vor einigen Jahren auf der Hannover-Messe gegeben. „Da kam mir die Idee, die Daten nicht nur aus Unternehmens-, sondern auch aus Städte-Perspektive zu sehen“, so Lüttich.

Die Demographie ist einer der Indikatoren – in Wesel liegt der Anteil der Senioren deutlich über dem Mittelwert.
Die Demographie ist einer der Indikatoren – in Wesel liegt der Anteil der Senioren deutlich über dem Mittelwert. © FFS | Markus Weißenfels

Dafür musste er lediglich die Software überarbeiten, wobei die Indikatoren absolut identisch sind. Inzwischen hat der Statistik-Experte insgesamt 67 davon über die Jahre zusammengetragen und herausgearbeitet – von der Infrastruktur über die Kriminalitätsrate bis hin zum Freizeitangebot. „Ursprünglich waren es mal 100, aber das ist letztendlich zu viel.“ Etwa 10 bis 15 davon picken sich Auftraggeber heraus. Und dann geht Lüttich ans Eingemachte, holt sich Wesel auf den Bildschirm: Infrastruktur durchschnittlich, Bevölkerung mit relativ hohem Alter, Arbeitslosenzahl etwas über dem Durchschnitt im NRW-Vergleich. Das verfügbare Einkommen hat sich in den vergangenen Jahren gesteigert, auch wenn das Bruttoinlandsprodukt unterdurchschnittlich ist.

Die Unternehmen vor Ort arbeiten mit hoher Produktivität bei niedrigem Löhnen – bei diesem Indikator also ein Standort, der Gewinne verspricht. Der Wohnungsbestand ist gut, es gab eine starke Bautätigkeit im Vergleich zu anderen NRW-Städten. Interessant für die Tourismus-Planung: Die Zahl der Gästebetten ist relativ niedrig, dafür aber die Bettenbelegung sehr hoch – das könnte für ein weiteres Hotel sprechen. „Sollte die Stadt in der Tat mal prüfen“, findet Henner Lüttich. Um auch zu klären, wo die Wesel seine Stärken aber auch Schwächen hat. Und eine Strategie für das nächste Jahrzehnt zu entwickeln. Denn am Ende des Datenchecks für den Bereich Hotellerie zeigt die Ampel gelb – Platz 15 für Wesel unter insgesamt 47 Mittelstädten in NRW. Kein Top-Standort für ein neues Hotel, aber durchaus geeignet. An der Spitze liegen hier übrigens Langenfeld, Meerbusch und Rheine.

Kleines Land, große Vielfalt

Nur ein paar Sekunden dauert es, Indikatoren zu ändern oder hinzuzufügen – und ein neues Ergebnis zu erhalten. Alle Indikatoren anzuwenden mache indes keinen Sinn, wie Henner Lüttich bestätigt, denn sie variieren in der Bedeutung. In Süddeutschland beispielsweise ist die ökonomische Komponente gut, das Einkommen relativ hoch. Früher haben man einmal von einem problembehafteten, strukturschwachen Streifen in der Mitte Deutschlands gesprochen. „Doch auch Teile des Ostens haben sich entwickelt“, so Lüttich. „Und im Ruhrgebiet gibt es viele spannende Standorte. Deshalb muss man mit generellen Aussagen äußerst vorsichtig sein. Deutschland ist klein, aber in seiner Vielfalt groß.“ Es gebe viele lebenswerte Städte. Na ja, ein Name fällt am Ende aber dann doch: Geldern. „Stark landwirtschaftlich geprägt, aber mit einer hohen Lebensqualität – das hat auch mich überrascht.“ Neidisch auf eine andere Region ist Henner Lüttich aber in all den Jahren nicht geworden: „Ich fühle mich hier in Hünxe sehr wohl – das ist meine Heimat.“