Wesel. Vor allem bei Kindern schlägt schon jetzt die Erkältungswelle voll zu – und die Situation dürfte sich auch in Wesel noch zuspitzen. Die Gründe.

Dr. Georg Stefanowski hat nicht viel Zeit am Freitagmittag. Seine Praxis am Kaiserring in Wesel ist voll mit kleinen Patienten und Patientinnen. „Wir sind eigentlich schon über dem Limit“, sagt der Kinderarzt am Telefon. „Heute waren 180 Kinder hier, am Donnerstag sogar 190.“ Die Erkältungswelle rollt längst in diesem Herbst – und zwar schneller und heftiger als sonst. Und es sind bisher vor allem die Kinder, die unter Atemwegserkrankungen leiden.

„Wir waren schon im Sommer auf dem Winterniveau und sind es jetzt wieder“, sagt der Mediziner. Er nennt das den „Post-Lockdown-Effekt“. Wegen der strengen Corona-Beschränkungen hat es in der vergangenen Erkältungssaison nur wenige Menschen erwischt. Vor allem Kinder waren kaum dort, wo sie sich anstecken können: Die Schulen im Distanzunterricht, die Kitas im Notbetrieb, Freizeitaktivitäten fanden, wenn überhaupt, draußen statt. Viele Menschen haben die Hygienemaßnahmen sehr streng umgesetzt, Atemschutzmasken wurden fast überall getragen.

Kinderärzte in Wesel sehen Nachholeffekt wegen Corona

Die Lage hat sich bekanntlich geändert, Stück für Stück kehrt die Normalität zurück – und das gilt eben auch für Husten und Schnupfen. Hinzu komme das meist nass-kalte Wetter in den vergangenen Wochen und Monaten, welches das Krankwerden grundsätzlich begünstigt, sagt Stefanowski.

Dr. Simon Flümann, leitender Oberarzt der Kinderklinik im Marien-Hospital in Wesel, bestätigt diese Entwicklung. „Die Situation ist derzeit so, wie wir sie normalerweise auf dem Höhepunkt der Erkältungssaison im Januar oder Februar haben. Wir können wirklich von einer Welle sprechen.“

Er sieht ebenfalls einen Nachholeffekt, wegen der Corona-Schutzmaßnahmen seien viele Kinder über anderthalb Jahre überhaupt nicht krank gewesen. Das Problem: Ihr Immunsystem ist dadurch noch nicht auf Infekte eingestellt und wesentlich anfälliger.

Die meisten Erkrankungen bei Kindern verlaufen zum Glück glimpflich. Es habe aber auch bereits einige schwerere Verläufe von Bronchitis oder Lungenentzündungen gegeben, sagt Flümann. „Das sind aber nicht mehr, als in normalen Jahren.“ Zu den Risikogruppen gehören besonders Säuglinge und Kinder, die unter Vorerkrankungen leiden. Mit Covid-19 infizierte Kinder gebe es hingegen so gut wie nie.

Erkältungswelle: Erwachsene noch weniger betroffen

Bisher weniger betroffen von der Erkältungswelle sind Erwachsene. „Bei uns ist die Situation noch entspannt“, sagt Professor Dr. Christiane Tiefenbacher, die Chefärztin der Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie am Marien-Hospital in Wesel. Sie rechnet aber ebenfalls damit, dass im November und Dezember mehr Menschen an den Atemwegen erkranken werden – im schlimmsten Fall an Influenza, also der „echten“ Grippe.

Bisher gibt es am Marien-Hospital keinen Grippe-Fall. Doch auch das Robert-Koch-Institut erwartet, dass die Grippewelle in diesem Jahr heftiger ausfallen könnte, als sonst – und zusammen fällt mit einem erneuten Anstieg der Corona-Zahlen.

Vor allem jüngere Kinder sind von Atemwegserkrankungen betroffen.
Vor allem jüngere Kinder sind von Atemwegserkrankungen betroffen. © FFS | Thorsten Lindekamp

Deswegen appelliert Christiane Tiefenbacher an Risikogruppen mit Vorerkrankungen und Menschen über 60, sich gegen das Influenza-Virus impfen zu lassen. Das sei auch zeitgleich mit einer Impfung gegen Corona möglich. „Wer seine Auffrischungsimpfung bekommt, kann sich direkt gegen Grippe impfen lassen.“ Also: linker Arm Corona, rechter Arm Grippeschutz – oder andersherum.

Auch Kinder können gegen die Influenza geimpft werden, wie Simon Flümann erklärt. „Die Ständige Impfkommission empfiehlt die Impfung für Kinder mit Vorerkrankungen ab dem sechsten Monat. Eltern sollten aber gerade in diesem Jahr darüber nachdenken, ob sie ihre Kinder auch impfen, wenn sie gesund sind.“ Es sei zu erwarten, dass die Infektionswelle „heftig“ wird und bis in den April andauert. „Ein Impfung der Kinder schützt auch Oma und Opa.“

Hintergrund: Es gab schon RS-Fälle am Marien-Hospital

Nicht nur Erkältungsviren und die Grippe sind in diesem Jahr unterwegs – auch das sogenannte RS-Virus macht Medizinern Sorge. Das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) geht normalerweise kurz vor und nach dem Jahreswechsel um – in diesem Jahr ist es allerdings deutlich früher dran. Auch am Marien-Hospital wurden bereits Fälle verzeichnet.

Eine Infektion mit dem RS-Virus kann vor allem kleine Kinder schwerer treffen. Insbesondere bei Babys unter drei Monaten könne dieses Virus, das die unteren Atemwege angreift, eine Krankenhauseinweisung erforderlich machen.

Was sind deutliche Warnzeichen? Mehr als 38 Grad hohes Fieber, Atemschwierigkeiten, Probleme beim Füttern und/oder bläuliche Lippen und Nägel. In dem Fall sollten Eltern sofort ärztlichen Rat holen.