Wesel. Ursprünglich baute die Wohnungsbaugenossenschaft Wesel für Eisenbahner – später für alle. Nach 100 Jahren gibt es neue Herausforderungen.

Bezahlbares Wohnen war immer eine Herausforderung – nach dem Ersten Weltkrieg, als die Not groß war. Und nach der kompletten Zerstörung Wesels im Zweiten Weltkrieg. Seinerzeit war es eine Kraftanstrengung, den Menschen ein Dach über dem Kopf zu verschaffen. Heute sind die Themen zusätzlich Energieeffizienz, Barrierefreiheit, Nachhaltigkeit. 2021 blickt die Wohnungsbaugenossenschaft auf ihr 100-jähriges Bestehen zurück - feiern kann sie es nicht.

Nach den Bombardierungen gab es in Wesel kaum Wohnungen.
Nach den Bombardierungen gab es in Wesel kaum Wohnungen. © Repro Pottgiesser FFS | Stadtarchiv

Es waren schwere Zeiten für die Menschen nach dem Ersten Weltkrieg - ein großes Problem war es, ein geeignetes Dach über den Kopf zu finden. Große Unternehmen begannen, Häuser für ihre Arbeiter zu bauen. Die Eisenbahn ging einen anderen Weg: „Die Eisenbahndirektion Essen regte an, Genossenschaften zu gründen“, erläutert Stefan Parge, Vorstandsmitglied der Wohnungsbaugenossenschaft Wesel. So kam es: Am 17. April vor 100 Jahren gründete sich sich ein „Gemeinnütziger Bauverein der Eisenbahnbeamten und -arbeiter Wesel“.

Familienfest fällt Corona zum Opfer

Eigentlich sollte es dieses Jahr deshalb ein Riesenfest geben, schon lange im voraus geplant, im Welcome Hotel und Q-Stall, ein richtiges Familienfest. „Das ist ins Wasser gefallen“, bedauert Birgit Reuyß, ebenfalls Mitglied des Vorstandstrios, das Reinhard Heggenberger komplettiert. Nachholen will die Genossenschaft das Fest nicht, „das wäre seltsam, das 100-Jährige ein Jahr später zu feiern“, sagt Reuyß. Jetzt ist ein Tag der offenen Tür geplant, wenn die Geschäftsstelle von der Gantesweilerstraße in die Isselstraße umzieht.

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Am Gründungstag vor 100 Jahren schritten die beteiligten Herren schnell zur Tat: Vorsitzender der Genossenschaft wurde Albert Beitz, sein Stellvertreter August Kahlmann, die Versammlung wurde laut Protokoll „von dem Herrn Oberbahnhofsvorsteher Trippel“ geleitet.

Schon zwei Jahre später standen die ersten sechs Häuser an der Kraftstraße, je eine Wohnung mit Stall. „Man kann sich das heute kaum vorstellen, aber die Wohnungen sind damals verlost worden“, sagt Parge. Gebaut wurde gemeinsam, die Grundstücke kamen von der Stadt, das Geld von der Stadt und der Sparkasse. Übrigens stehen die Häuser noch, sie sind 1996 kernsaniert worden. Wer kein Glück hatte, baute weiter und fand später sein neues Zuhause.

Wohnungsnot in der völlig zerstörten Stadt Wesel

Stefan Parge, Birgit Reuyß und Reinhard Heggenberger  (von links) sind der Vorstand der Wohnungsbaugenossenschaft Wesel.
Stefan Parge, Birgit Reuyß und Reinhard Heggenberger (von links) sind der Vorstand der Wohnungsbaugenossenschaft Wesel. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser

Obwohl die Genossenschaft noch Jahrzehnte als „Eisenbahnerverein“ bekannt war, öffnete sie sich 1928 für Jedermann und hieß nun „Allgemeiner Spar- und Bauverein“.

Und der wurde dringend benötigt nach den Verheerungen des Zweiten Weltkrieges. Der Allgemeine Spar- und Bauverein hatte noch Wohnungen, die heil geblieben waren. „Zu dieser Zeit habe ich mit meinen Eltern, meinem Onkel und seiner Familie auf der Kraftstraße gewohnt. In der 4-Zimmer-Wohnung waren aber noch zwei weitere Familien untergebracht“, erinnert sich Helmut Heikamp in der Festschrift an seine Kindheit.

So baute die Genossenschaft. Bis es Ende der 70er und in den 80er Jahren hieß, Deutschland sei erbaut. Das Tagesgeschäft wurde die Modernisierung der Wohnungen und Häuser. Inzwischen hat sich das Blatt wieder gewendet, Wohnraum ist knapp - bebaubare Grundstücke sind es ebenso. „Wir können meist nur abbrechen und auf den Grundstücken neu bauen“, sagt Stefan Parge. 2008 baute die WBW an der Isselstraße eine erste barrierefreie Wohnanlage. Seitdem sind weitere rund 100 barrierefreie Wohnungen entstanden. Aktuelles Projekt ist der zweite Bauabschnitt Isselstraße mit 25 barrierefreien Wohnungen, zudem das neue Verwaltungsgebäude.

Angebote für verschiedene Bedarfe, inzwischen barrierefrei

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Die WBW will allen etwas bieten: Alleinstehenden und Familien. So gibt es an der Kreuzstraße auch 54 Quadratmeter-Wohnungen, an der Isselstraße 45 bis 90 Quadratmeter. An der Gneisenaustraße sollen 42 Wohnungen in drei Gebäudeteilen entstehen, unterm Strich rund 3000 Quadratmeter Wohnfläche.

Die Bauanträge sind jetzt gestellt, aber der Vorstand wartet ab: Aktuell explodieren die Baukosten. „Wir wollen sehen, ob sich das beruhigt“, sagt Birgit Reuyß. Im Schnitt liegt die Miete bei der WBW bei 5,37 Euro - die Spanne geht von 3,80 Euro im Altbestand bis zu neun Euro im Neubau. Damit die Genossenschaft das halten kann, muss sie preisbewusst bauen.