Hamminkeln. Silja Meyer-Suchsland und Regina Hüsgen bauen die lange leerstehende Lidl-Filiale zu einem Geschäft für abgelaufene, aber noch genießbare Ware um
Bürgermeister Bernd Romanski zeigt sich glücklich, dass ab Mai ein neues Geschäft den Hamminkelner Ortskern beleben wird. Dies habe vor allem zwei Gründe, betonte der 61-Jährige.
Dass der jahrelange Leerstand in der ehemaligen Lidl-Filiale an der Marktstraße 19a/Ecke Brauereistraße unweit der evangelischen Kirche endlich ein Ende finde, freue ihn sehr.
Und auch die Idee der Lebensmittelrettung lobt das Stadtoberhaupt: „Ich finde das Konzept dieses Geschäfts außerordentlich gut, weil ich – aufgrund meines Lebensalters mit einer Elterngeneration als Nachkriegskinder – so erzogen bin: ,Es wird der Teller leer gegessen und es wird nichts weggeschmissen.’“
Bürgermeister nennt das Wegwerfen „irre“
Romanski ergänzt: „Ich finde es wirklich unglaublich, vor dem Hintergrund Klimaschutz, Umweltschutz und Müllvermeidung, was heute alles weggeschmissen wird. Das ist absolut irre!“
Dann nahm Bernd Romanski ein Glas Marmelade der Lebensmittelretter in die Hand: „Hier steht das Datum 11.11.2020. Aber muss ich die deshalb wegschmeißen? Die Antwort ist: Nein!“
Das Geschäft wird „Resis Lebensmittelrettung“ heißen – jeweils die beiden Anfangsbuchstaben von Regina Hüsgen und Silja Meyer-Suchsland. „Wir sind zwei alleinerziehende Mütter die nochmal durchstarten wollen“, erklärt die 48-jährige Meyer-Suchsland, die zusammen mit der ein Jahr jüngeren Hüsgen den Laden betreiben wird.
Investition von 100.000 Euro
Dafür nehmen die beiden Frauen rund 100.000 Euro in die Hand und errichten zurzeit den knapp 500 Quadratmeter großen Verkaufsraum. Sie setzen dabei vor allem bewusst auf Nachhaltigkeit.
Hüsgen: „Das fängt an mit gebrauchten Möbel, geht weiter über Ökostrom und das Umstellen auf LED. Wir wollen das Geschäft großzügig gestalten und ein angenehmes Ambiente erreichen, mit Sitzmöglichkeiten, einer Bio-Ecke, einer veganen Ecke. Auch eine Kinderspielecke ist geplant.“
Acht Arbeitsplätze sollen entstehen, davon vier in Vollzeit.
„Wir kommen der Tafel nicht in die Quere“, ergänzt die 47-Jährige, die noch weitere Geschäfte oder auch den Großhandel bittet, sich bei ihr zu melden.
Abgelaufene Lebensmittel würden dann abgeholt – und so vor dem Wegwerfen in die Mülltonne bewahrt werden.
Für die Hälfte des Neupreises
„Wir bieten überwiegend abgelaufene Ware an. Der Großteil der Trockenware ist aber noch über Monate, teils sogar noch Jahre haltbar“, ergänzt Meyer-Suchsland. Die Kunden in dem künftigen Laden in Hamminkeln bezahlen dann jeweils nur die Hälfte der Neupreises.
„Allein in den Geschäften in Deutschland werden im Jahr rund drei Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Da kommen wir dann ins Spiel und holen im großen Stil ab“, so Silja Meyer-Suchsland.
>>> EINE VISION UND EINE MOTIVATION:
Laut Schätzungen der WHO werden weltweit rund 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel pro Jahr entsorgt – gleichzeitig hungern 821,6 Millionen Menschen in armen Ländern, erklären Regina Hüsgen und Silja Meyer-Suchsland. „Wir sagen es reicht!“
Durch den stetigen Wachstum der Lebensmittelindustrie und der Bevölkerung sei die Lebensmittelrettung der Anfang. „Wir wollen der Gesellschaft zeigen ,Ja es geht’. Jeder kann bei uns zur Nachhaltigkeit beitragen“, so die beiden Retterinnen. „Wir bieten kostbare Ware zum viel günstigeren Preis an und unterstützen langfristig die Umwelt“, ergänzen die Frauen weiter.
Als ihr Motivation beschreiben sie: „Jedes Jahr landen rund 12 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Das ist ein Wert von rund 20 Milliarden Euro die jährlich entsorgt werden. Das sind pro Verbraucher circa 75 Kilogramm Lebensmittel pro Jahr. Supermärkte schmeißen viele Lebensmittel weg, die noch verzehrbar sind. Wir retten diese, um dem Teufelskreislauf zu entfliehen.“
>>> DAS SOLL IN DEM HAMMINKELNER LADEN ANGEBOTEN WERDEN:
Die Betreiber bieten Lebensmittel, Getränke und Non-Food-Ware an voraussichtlich fünf Tagen der Woche gegen kleines Geld an, die ohne uns in der Tonne gelandet wären.
„Wir wollen das Retten von Lebensmitteln für jeden möglich machen. Unsere Mitarbeiter holen von Montag bis Freitag von unseren Kooperationspartnern (Großhandel, Einzelhandel, Produzenten, Hersteller) gegen kleinen monatlichen Abnahmepreis überwiegend abgelaufene Lebensmittel sowie Überschüsse, Fehlproduktionen, Ware mit nur beschädigten Umverpackungen innerhalb des MDH, Saisonware ab.“
Als Grundsortiment könnten in der Regel folgende Produkte im Geschäft eingekauft werden: Trockenware wie Nudeln, Brot, Gebäckwaren, Süßigkeiten; Tiefkühlware, Konserven, Milchprodukte, Getränke (auch alkoholisch), Non-Food-Ware wie Hygieneprodukte (Haushalt und Körper), Tierfutter, Ware des täglichen Bedarfs.
Eine Unverpackt-Ecke sei zu späterem Zeitpunkt nach Corona angedacht. Gerettetes Obst und Gemüse wird ebenfalls angeboten werden. Neben dem Grundsortiment variiert das tägliche Angebot dann je nachdem, was wir am jeweiligen Morgen von unseren Kooperationspartnern retten konnten.