Wesel. Jahrelang soll ein Sektenführer im Haus Constanze und anderswo in Wesel seine Gemeinschaft gequält haben. Insider erzählt von Druck und Gewalt.


Am Wochenende entspannten in der Gaststätte
„Haus Constanze“
in Wesel über viele Jahren Ausflügler – doch hinter den Kulissen herrschte offenbar eine Atmosphäre von Angst und Gewalt. 20 Fälle von Körperverletzung
sowie sexuelle Nötigung und Vergewaltigungen
werden dem 57-jährigen Sektenführer des „Balance-Recovery Live Center“ vorgeworfen.


Doch wie konnten die
Mitglieder der Gemeinschaft
den psychischen Druck und die vorgeworfenen Attacken jahrelang ertragen, ohne sich zu wehren? Ein Insider erzählt, was er erlebt habe und wie die Gruppe den Absprung schaffte.


Der Mann will anonym bleiben. Seine Aussage habe er auch bei der Polizei gemacht, sagt er – einer von vielen Zeugen in dem Fall.
Vier Tatorte
nennt die Staatswaltschaft: Eine Wohnung und das Haus Constanze in Wesel, den Campingplatz Grav-Insel und den Wohnsitz von Wilri W. in Hamminkeln.

Vor dem Haus Constanze: Weiteres Zentrum der Sekte in Wesel


Der Mann
lebte selbst nicht im Haus Constanze,
hat aber nach eigener Aussage über Jahre
Kontakte zur Sekte
gehabt und Seminare zur „Selbstheilung“ besucht. Bevor die Gruppe das Haus Constanze übernahm, habe es ein Zentrum in einem Wohnhaus in Wesel gegeben.


Auch er habe an die Methoden des „Transformations-Meisters“ Wilri W. geglaubt, sagt der Mann – aber auch beobachtet, was sich im Inneren abspielte.
Acht bis zehn Personen
hätten in der Constanze gelebt, die die Gemeinschaft von 2017 bis 2020 gepachtet hatte.

Mitglied berichtet von Übergriffen des Sektengurus


„Die Angst war groß“, schildert er. Der Niederländer, der nach außen hin freundlich wirkte, sei ein
aggressiver Mann
gewesen. Der Zeuge schildert Situationen, in denen er Gewalttätigkeiten erlebt hat. Zum Beispiel gegenüber dem Küchenpersonal. „Wenn das Essen zu heiß war oder nicht geschmeckt hat, hat er sie mit der Bratpfanne geschlagen.“ Mal habe er sie mit heißer Suppe übergossen, mal mit einem gefrorenen Fisch traktiert. „Die Leute haben Tag und Nacht gearbeitet.“

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Geld hätten sie nicht erhalten. Auch er selbst sei attackiert worden, wegen Nichtigkeiten. „Er hat oft gesagt: Ihr provoziert mich.“ Die
Sekten-Mitglieder
seien Schuld gewesen, dass er zu solchen Maßnahmen greifen müsse. Gewalt sei phasenweise an der Tagesordnung gewesen. Manchmal hätten auch Gäste mitbekommen, wie Bewohner angebrüllt wurden.


Dass die Mitglieder über Jahre geblieben sind, erklärt der Mann mit der
psychischen Abhängigkeit
. „Er hat vielen Leuten am Anfang geholfen, denn sie brauchten Hilfe. Er konnte auch gut überzeugen.“ Aber er sei auch dominant gewesen. Obwohl einigen Mitgliedern klar war, „dass etwas nicht stimmt“ hätten sie weiter daran geglaubt, dass er es eigentlich gut meint. „Das ist schwer zu verstehen, wenn man außen vor ist, aber es war eben eine Sekte.“

Ehemalige Bewohner des Hauses Constanze halten Kontakt


Wilri W. habe es geschafft, dass die
gesamte Gruppe
Druck auf einzelne ausübte, die sich auflehnten. Seine Macht sei so weit gegangen, dass Mitglieder, die bereits geflüchtet waren, wieder zurückkehrten. „Sie wurden so klein gemacht, dass sie glaubten, sie können nicht alleine leben.“ Zum Schluss sei er völlig „durchgedreht“ gewesen. „Was ich sage, kommt direkt von Gott“, sollen seine Worte gewesen sein.



Erst im März 2020, nachdem das
Haus Constanze
geräumt worden war, habe sich die Situation für die Mitglieder verändert. „In der Constanze hatte er totalen Einfluss. Doch als sie weg waren, konnten sie sich lösen“, sagt er. Nach seiner Aussage sei die Gruppe teilweise noch zusammengeblieben, habe aber mit mehr Abstand zu Wilri W. gelebt.


Nach und nach hätten sich die Mitglieder entschlossen, ihren
Sektenchef
anzuzeigen. Er stehe noch immer im Kontakt mit ihnen, sagt der Mann. Man versuche, sich gegenseitig zu stützen, gerade jetzt, wo die Medien über die Geschichte berichten. Einige hätten sich psychologische Hilfe geholt. Was außer den psychischen Folgen bleibe, seien Schulden: Mitglieder, die außerhalb gearbeitet haben, hätten ihr Geld abgeben müssen, teilweise auch als Strafe für Fehlverhalten.