Kreis Wesel. Niederrheinappell und Kreisbauernschaft diskutierten über den Flächenverbrauch durch die Kiesindustrie. Unmut und Existenzangst sind groß.

Dass die Frage des Kiesabbaus im Kreis Wesel polarisiert, ist keine neue Erkenntnis. Daher überrascht es auch nicht, dass der Parkettsaal der Niederrheinhalle am Donnerstagabend fast bis auf den letzten Platz gefüllt war. Kreisbauernschaft und die Initiative Niederrheinappell, ein Zusammenschluss aus 16 Vereinen und Verbänden hatten eingeladen, um noch einmal auf die gerade für die Landwirte dramatischen Folgen des Kiesabbaus aufmerksam zu machen.

Flächen für die Futterpflanzen fallen der Rohstoffgewinnung zum Opfer

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Stellvertretend für die Schwierigkeiten vieler Höfe erklärte Kevin Anhamm aus Kamp-Lintfort seine Situation. Der 34-Jährige besitzt vor allem Milchvieh, seine Ackerflächen braucht er, um Futterpflanzen anzubauen. Was passiert, wenn ihm diese Flächen durch Kiesabbau wegbrechen, ist offensichtlich: Weniger Fläche bedeutet weniger Futter, zusätzlich zu der Notwendigkeit, die eigene Gülle abzutransportieren – also zusätzliche Ausgaben.

Das sei für ihn eine wirtschaftliche Katastrophe, weil angesichts der aktuellen Preise für landwirtschaftliche Produkte kein Spielraum mehr vorhanden sei, so Anhamm: „Wir schaffen uns immer weiter ab“, war sein vernichtendes Fazit angesichts der vielen Herausforderungen. Landwirtschaft sei eben direkt an die Fläche gebunden, bekräftigte auch Simone Spiegels von der Initiative Niederrheinappell.

Fünf Prozent Flächenverlust gefährden Existenzen

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Jenseits von Einzelschicksalen zeigte Herwig Scholz von der Landwirtschaftskammer NRW die Gesamtdimensionen des Kiesabbaus im Kreisgebiet noch einmal auf. Bis heute seien bereits 5,4 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche wegen des Kiesabbaus verschwunden.

Was sich zunächst wenig dramatisch anhört, ist genau das Gegenteil. Gerichte haben geurteilt, dass diese fünf Prozent Flächenverlust eine Dimension darstellen, die für die Landwirte als existenzbedrohend angenommen werden kann. Wenn sämtliche Pläne umgesetzt würden, könne der Anteil der abgebauten Flächen sich sogar noch verdoppeln.

Ernährung der Bevölkerung ist Verfassungsauftrag

Das Kieswerk der Firma Hülskens in Rheinberg.
Das Kieswerk der Firma Hülskens in Rheinberg. © FFS | André Hirtz

Zahlen, die bei den meisten Gästen für blankes Entsetzen sorgten und vor allem das landwirtschaftliche Selbstverständnis angreifen. Denn, das machte Scholz unter großem Applaus deutlich, die Ernährung der Bevölkerung sei immerhin ein Verfassungsauftrag, dessen Erfüllung in Gefahr gerate.

Einen weiteren Streitpunkt griff er in seinem Vortrag auf, der die Atmosphäre weiter aufheizte: Bisher hieß es meist, es gebe kaum konkrete Zahlen zum Kiesabbau, zu Exportanteilen und anderen wichtigen Details. Tatsächlich gibt es diese Zahlen aber doch, öffentlich einsehbar bei der Landesdatenbank NRW, wenn auch etwas versteckt in seitenlangen Tabellen, die nur schwer zu durchschauen sind.


Exportzahlen erschrecken und empören die Teilnehmer

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2016 seien beispielsweise 9,5 Mio. Tonnen Kies und Sand in die Niederlande exportiert worden. Im Laufe der letzten zehn Jahre habe es aber auch Exportmengen von bis zu 18 Mio. Tonnen gegeben, stellte er heraus. Seine Befürchtung: Gäbe es in den Niederlanden einen Bauboom, könnte die Exportmenge noch steigen – und weil der Export lukrativer sei als der Verkauf im Inland, zumindest ließen die Umsatzzahlen darauf schließen, sei dann auch ein noch massiverer Abbau zu befürchten.

Es war wenig überraschend, dass diese für die Meisten neuen Zahlen für teilweise unangemessene Reaktionen sorgten. Genauso wenig überraschend war, dass der Geschäftsführer der Firma Hülskens, Christian Strunk, der Darstellung widersprach.

Kiesunternehmer widersprechen, wollen aber andere Flächen

Die Trennung in Export und inländischen Verbrauch sei mit Blick auf den europäischen Binnenmarkt nicht möglich und führe nicht zur Lösung der Probleme. Michael Hüging-Holemans, Geschäftsführer der Firma Holemans, sprang ihm bei und betonte, dass nur bedarfsdeckend gefördert werde und „nichts auf Halde“ liege. Dass die verhärteten Fronten sich einfach so lösen lassen, erschien auch am Donnerstagabend utopisch.

Gleichzeitig wurde deutlich, dass ein Dialog dringend notwendig ist, um annehmbare Abbauflächen zu finden und die weitere Zerstückelung der Landschaft zu verhindern, die dann entsteht, wenn die Kiesunternehmen viele kleine Abbaugebiete erschließen.

In dieser Frage waren sich dann letztendlich alle Anwesenden einig. An dieser Stelle, auch das betonten sowohl Kies- als auch Landwirtschaftsvertreter ,sei vor allem die Politik gefragt. Sie müsse Rahmenbedingungen schaffen, die sicherstellen, dass den Landwirten nicht im wahrsten Sinne des Wortes die Lebensgrundlage abgegraben werde.

Das Aktionsbündnis Niederrheinappell

Die IG Aktionsbündnis Niederrheinappell setzt sich so zusammen: Verein Eden, IG Dachsbruch, Kiesgegner Bönninghardt, IG Kiesgegner Alpen/Millingen, der Verein VSR GEwässerschutz und Auskiesungsgegner Rheinberg Vierbaum und der Nabu.

Erreichbar ist der Niederrheinappell per Email unter info@niederrheinappell.de

Das Aktionsbündnis hat sich im März vergangenen Jahres kreisübergreifend gegründet, um den Flächenverbrauch zu bremsen.