Kreis Wesel. Viele Patienten können es nicht glauben: Plötzlich hat ihre Apotheke ihre Medikamente nicht. Und kann sie kaum beschaffen – auch im Kreis Wesel.
Der ältere Anrufer ist empört. „Meine Frau benötigt Blutdruckmittel“, sagt der Weseler. „Aber es ist nirgendwo zu haben!“ Dann schließlich bot man ihm ein anderes Mittel an, „aus einer Duisburger Apotheke. Und wir sollten 50 bis 60 Euro dafür bezahlen!“ Viel Geld für einen Rentner. Verständnis hat er dafür nicht. „Gibt es jetzt nur noch Medikamente für Reiche?“
Tägliche Suche nach Alternativen in den Apotheken
Tatsächlich gibt es sie oft auch für die nicht. Die Lieferengpässe bei einigen Medikamenten – dazu zählen auch solche, die für Krebstherapien benötigt werden – sind zum Teil dramatisch. Und das Problem ist durch das Geschäftsgebaren der Krankenkassen hausgemacht.
Michael Jilek, Apotheker in Büderich und Sprecher der Weseler Apotheker, muss wie seine Kollegen täglich mit den Folgen umgehen. Blutverdünnungsmittel fehlen derzeit auch. Allerweltsmedikamente gegen weit verbreitete gesundheitliche Probleme sind mitunter nicht zu haben, und das in Deutschland – für viele ist das nicht zu fassen.
Einzelne Hersteller von Generika beherrschen den Markt
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Das Problem: Krankenkassen setzen auf Generika, also Nachahmer-Medikamente mit gleichem Wirkstoff, die preiswerter als das Original zu haben sind. Um Kosten zu drücken, schließen sie Verträge mit einzelnen Herstellern, die häufig in Asien produzieren.
Können die mal nicht liefern, gibt es meist keine Alternative mehr – Mitbewerber ohne Verträge sind ausgestiegen. Verschärfend kommt hinzu, wie Dr. Michael Weyer erläutert, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein im Kreis Wesel, dass das Problem international ist. In Deutschland verdienen die Hersteller wegen der Krankenkassenpolitik nur wenig. Treten weltweite Engpässe auf – mitunter fällt der halbe Markt für ein Mittel weg – verkaufen die Unternehmen deshalb lieber im Ausland. Anders als in Deutschland ist da noch etwas zu verdienen.
Patienten zahlen die Zeche
Manchmal, wie im Fall des Anrufers, kann ein Apotheker das Originalmedikament auftreiben. Das ist aber teurer, „die Differenz kann bei 30 bis 50 Euro liegen“, so Michael Jilek. Auf dieser Rechnung lassen die Krankenkassen ihre Mitglieder häufig sitzen – so wie den Weseler und seine Frau.
Leidtragende sind die Patienten. Und ihre Apotheker, die als erste den Unmut abbekommen. Sie suchen Lösungen, Tag für Tag, ein ungeheurer bürokratischer Aufwand. „Wenn wir Medikamente austauschen, müssen wir den Arzt anrufen“, erläutert Michael Jilek – auch für die Praxen ein zusätzlicher Aufwand.
Und: „Auch wenn die Wirkstoffe gleich sind, kommt es auf die ‘Verpackung’ an: Wie schnell wird der Wirkstoff im Körper freigegeben? Das muss auch an der richtigen Stelle geschehen.“ Das ist eine Wissenschaft für sich, die Galenik. In diesem Punkt unterscheiden sich die Nachahmerprodukte durchaus vom Original, so dass nicht jeder Patient jedes Mittel verträgt.
Krebstherapien können mitunter nicht fortgeführt werden
Die Apotheker telefonieren herum, finden womöglich einen Kollegen in Krefeld oder Moers, der das Mittel hat – unmögliche Zustände. „Wir sind eine Nahtstelle und müssen Klimmzüge machen, es ist frustrierend“, sagt Jilek.
Patienten können versuchen, das Geld von der Kasse ersetzt zu bekommen, sagt Dr. Michael Weyer. Garantiert ist der Erfolg aber nicht. Medizinisch ist das Dilemma vor allem für Krebspatienten dramatisch. „Mitunter können Therapien nicht weitergeführt werden“, sagt Weyer.
Im Marien-Hospital Wesel bestehe kein Versorgungsengpass für die Patienten, teilt das Haus auf NRZ-Anfrage mit. Man habe aber einen teilweise erheblich höheren Aufwand zur Beschaffung einzelner Medikamente aufgrund von Lieferengpässen bestimmter Präparate. Es muss auf Alternativpräparate zurückgegriffen werden, manchmal werden Therapien angepasst. Die Qualität der Patientenversorgung sei aber gewährleistet.
Ändern könnten die Situation nur die Krankenkassen. Ob es absehbar besser wird? „Ich fürchte, es könnte eher noch schlimmer werden“, sagt Dr. Michael Weyer.