Kreis Wesel. Der Unmut an der Basis wird immer lauter. Die Genossen wünschen sich die Rückkehr zu Taten sowie zu sozialen und Umweltthemen.

. Die SPD ist im freien Fall. Die Ergebnisse der Europawahl zeigen deutlich, dass die einstige Arbeiterpartei mittlerweile um ihre Existenzberechtigung als Volkspartei kämpft. Kommende Woche stellt die Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles die Vertrauensfrage, will sich Rückendeckung von ihren Fraktionskollegen holen. Ob das klappt? Zumindest an der Basis wird der Unmut immer lauter. Ein „Weiter so“ käme nicht mehr in Frage, heißt es oft. Die NRZ hat sich bei Funktionären vor Ort umgehört, wie sie die Lage der SPD nach der Europawahl beurteilen.

Gedrückte Stimmung in Wesel

Gedrückte Stimmung herrsche bei den Weseler Genossen, so SPD-Chef Ludger Hovest. Sein Eindruck: „Ich erkenne nicht, dass die Führung in Berlin einen Plan hat“. Er vermisse eine klares inhaltliches Profil und Personal, das Vertrauen und Sympathie ausstrahlt. Andrea Nahles ist es auf jeden Fall nicht. „Sie ist die falsche Person, sie kommt ‘rüber wie aus dem Hinterwald“, schimpft Hovest. Aus seiner Sicht muss die Partei endlich Themen und Lösungen präsentieren, um die Wähler zurückzugewinnen: Umweltthemen, die Grundrente und die Digitalsteuer für Unternehmen wie Amazon, Google und Co stehen für ihn ganz vorne. „Da darf man nicht auf europäische Lösungen warten.“ Über einen Ausstieg aus der GroKo sollten die Genossen jedoch erst zur Halbzeit der Legislaturperiode diskutieren, meint Hovest.

SPD Hamminkeln will lokal punkten

Als „nicht besonders gut“ beschreibt der Hamminkelner SPD-Fraktionsvorsitzende Jörg Adams die Stimmung, gibt sich aber auch gleich kämpferisch. Schließlich will seine Partei bei der Kommunalwahl 2020 wieder den Bürgermeister von Hamminkeln stellen. Deshalb hofft er, dass sein Stadtverband dann mit kommunalen Themen punktet und sich von der Bundes-SPD „abkoppelt.“ Ein neues Gesicht für den Fraktionsvorsitz im Bund hält er nicht für den springenden Punkt: „Wir müssen inhaltliche Fragen klären, nicht Personalfragen.“ Man müsse klar sagen sagen, wofür die SPD in 2025 steht. „Wir müssen Lösungen präsentieren und diese auch glaubwürdig verkaufen, nicht rumeiern“, findet Adams. Der Hamminkelner hält es für gut möglich, dass die große Koalition nach den Landtagswahlen im Osten, wo er kein gutes Ergebnis erwartet, gesprengt wird. Er selbst glaubt, dass eine Parteierneuerung in der GroKo nicht funktioniert. Deshalb sei es besser wenn die SPD aussteige.

Enttäuschung in Schermbeck

Auch für die SPD-Ortsgruppe in Schermbeck war das Ergebnis der Europawahl „sehr enttäuschend“, wie Fraktionsvorsitzender Michael Fastring erklärt. Nach seiner Meinung seien allerdings „massive Fehler auf Bundes- und Landesebene“ dafür verantwortlich. Zur Diskussion um die Führung der Partei bemerkt der Sozialdemokrat: „Meiner persönlichen Meinung nach brauchen wir keine Personaldebatte, damit schaden wir uns nur – unabhängig davon, ob man die Arbeit von Andrea Nahles gut findet oder nicht.“ Die SPD sollte weiter in der „Groko“ bleiben – allerdings nicht um jeden Preis: „Grundsätzlich kann man in der Regierung mehr Verantwortung übernehmen.“

Sollte aber die Herangehensweise an die Themen Klima und Grundrente nicht, wie von der SPD verlangt, angemessen erfolgen, müsse man „ernsthaft überlegen, die Groko zu verlassen“. Die SPD könne nur wieder zur Volkspartei werden, wenn sie Themen aufspüre, die für die Bevölkerung tatsächlich von Interesse seien. Die SPD müsse sich auf soziale Themen fokussieren, mehr auf die Jugend hören und auch die Öffentlichkeitsarbeit deutlich verbessern. „Denn viele ursprüngliche SPD-Ideen werden als positive Groko-Themen wahrgenommen“, kritisiert Fastring.

Hünxe steht nicht mehr hinter Nahles

Laut Hünxes SPD-Vorsitzendem Jan Scholte-Reh sei das schlechte Ergebnis bei der Europawahl vorhersehbar gewesen: „Deshalb waren wir zwar traurig, aber gefasst. Trotzdem will keiner von uns jetzt das Handtuch werfen. Es hat auch niemand gesagt, er habe keine Lust mehr auf SPD. Vor Ort hatten wir auf diese Wahl aber wenig Einflussmöglichkeiten.“ Zur Führungsdebatte erklärt Scholte-Reh: „In unserem Ortsverband ist die mehrheitliche Meinung, dass Andrea Nahles einfach nicht die richtige Frau ist.“

Wenn es bei der Halbzeitbilanz der Groko nicht gelingt, die Themen Grundrente und Klima deutlich herauszuarbeiten, „sollte das die Sollbruchstelle sein.“ Um wieder eine Volkspartei zu werden, müsse die SPD sich auf ihren „Markenkern“ beschränken und nicht versuchen, es allen recht zu machen, erklärt Jan Scholte-Reh. „Es hapert aber auch an der Kommunikation, da finde ich vieles unglaubwürdig“, ergänzt er und nennt als Beispiele den Umgang mit den Themen Bürgergeld und Grundrente.