Wesel. . Mit Leiter Mathias Schüller vom Jugendzentrum Karo haben wir über Wertschätzung und Angebote für junge Menschen in Wesel gesprochen.
Gar nicht so weit von hier, am Gymnasium Voerde, ging Mathias Schüller (59) zur Schule. Danach verschlug es ihn nach Köln, bevor der Diplompädagoge vor etwa 20 Jahren anfing, im Karo zu arbeiten – an der Schnittstelle von Kultur- und Jugendarbeit. Nicht nur, weil das Karo 20 Jahre alt wird, auch weil Mathias Schüller mit Kindern und Jugendlichen schon viel erlebt hat, machen wir hier den ersten Halt im Rahmen unserer neuen Serie „#wasgeht“, in der wir den Blick auf Anliegen von Kindern und Jugendlichen richten.
Was für eine Lobby haben Kinder und Jugendliche in unserer Gesellschaft?
Keine gute – sie sitzen nicht im Bundestag, sie dürfen nicht wählen. Das bedeutet, dass sie abhängig davon sind, dass ihre Interessen von einer Generation vertreten werden, die gedanklich schon ganz woanders ist. Im Grunde brauchen sie Erwachsene, denen sie vertrauen können, in der Hoffnung, dass die ihnen weiterhelfen. Man muss ein offenes Ohr für Kinder und Jugendliche haben und sollte sie auch nie vergessen, grad in einer Zeit, in der die Gesellschaft immer älter wird.
Haben die Menschen hier in Wesel ein offenes Ohr?
Als ich vor 20 Jahren hierhin kam, hatte ich das Gefühl, dass die Stadt Wesel ein soziales Herz hat und versucht, alle Gruppen und Generationen, auch Kinder und Jugendliche, mit einzubeziehen. Es gibt neben dem Karo eine ganze Reihe von Jugendeinrichtungen. Natürlich sind da immer noch Punkte, die man verbessern kann. Aber der Wille von allen Beteiligten, etwa von Stadtverwaltung und Politik, ist da – wir arbeiten nicht im luftleeren Raum.
Wie wichtig sind feste Anlaufstellen wie Treffs oder Vereine für junge Menschen?
Dort wird soziales Verhalten vermittelt, was die Familien zum Teil nicht mehr leisten können oder wollen. Deswegen sind offene Treffs total wichtig, denn die Jugendlichen kommen ja freiwillig, da hat man einen ganz anderen Zugang. Ähnlich ist es in den Sportvereinen.
Da wird auch eine tolle Arbeit geleistet, aber viele der Trainer, die vor Ort arbeiten, sind keine Pädagogen. Dort sehe ich auch das Problem, dass sie nicht mehr so viele Kinder erreichen, weil viele im pubertierenden Alter aufhören. So haben die Vereine auch Probleme ab einem gewissen Alter noch Mannschaften zu stellen. Aber da ist aus meiner Sicht angekommen, dass sie kooperieren müssen.
Wie sieht das Angebot in der Fläche aus?
Bis auf Bislich, wo die Jugendlichen aber sehr eingebunden sind, etwa in den Sportverein oder ins Blasorchester, sind alle Ortsteile mit offener Jugendarbeit ausgestattet. Aber nicht jeder nimmt offene Jugendarbeit wahr, das muss auch gar nicht – sie sollte diejenigen erreichen, die sie wirklich brauchen.
Wie ist Ihr Eindruck, identifizieren sich junge Menschen mit der Region, mit Wesel?
Was mich auch immer wieder überrascht ist, dass die Jugendlichen überwiegend sehr bodenständig sind. Das heißt, die meisten Kinder und Jugendlichen, auch die, die ein Abitur machen, wollen irgendwie hierbleiben. Als ich noch jung war, wollte man nach Berlin, Hamburg oder Köln. Das nehme ich bei den Jugendlichen jetzt nicht mehr so wahr, dass sie unbedingt rauswollen. Was es allerdings gibt ist die Bereitschaft – vor allem bei Schülern des dem Gymnasiums – einfach mal ein halbes Jahr im Ausland zu verbringen. Diese Zeit in den USA, Australien oder Südamerika nehmen viele mit, um dann doch wieder zu sagen: Ich bin aber Nieder-rheiner, ich bleibe hier.
20 Jahre: Das Jugendzentrum Karo feiert Geburtstag
Im Dezember 1998 wurde das Jugendzentrum Karo eröffnet, etwa ein halbes Jahr später stieß Mathias Schüller zum Team dazu.
Dieses besteht inzwischen aus fünf festen Mitarbeitern, die sich verteilt auf vier Stellen, in der Einrichtung am Herzogenring sowie in der Außenstelle im Jugendcafé Schepersfeld um Kinder und Jugendliche kümmern.
Wie hat sich in den vergangene Jahrzehnten das Freizeitverhalten von Kindern und Jugendlichen entwickelt?
Verändert hat sich das natürlich durch die Neuen Medien, die digitale Welt. Das ist rasant.
Alle Vereine, Institutionen und Ehrenamtliche, die mit Kindern und Jugendlichen zusammenarbeiten, haben Schwierigkeiten gegen Smartphone, Computer- und Videospiele wie Fortnite anzustinken. Was sich aber nicht verändert hat: Spaß haben – das ist und bleibt wichtig.
Nun können Freizeitaktivitäten durch die Schule inzwischen oft erst viel später beginnen. Wie nehmen Sie diese Entwicklung wahr?
Das stimmt, die Kinder kommen später, aber sie kommen immer noch. Die Entwicklung, dass es in Schulen vermehrt Nachmittagsangebote gibt, finde ich persönlich sehr gut – wenn es gut gemacht ist, mit vernünftiger Hausaufgabenhilfe, guten AGs.
Das Angebot einer Ganztagsschule bedeutet für viele Kinder, dass es auch in der Woche ein regelmäßiges Mittagessen gibt. Das ist nicht zu unterschätzen.
Wie ergeht es den jungen Menschen heute Richtung Schulabschluss?
Der Zeitpunkt, dass Jugendliche sich schwer taten zu begreifen, dass sie einen Schulabschluss dringend brauchen, liegt in der Vergangenheit. Inzwischen sind die Bemühungen auch der Jugendlichen, die aus nicht einfachen Verhältnissen kommen, deutlich intensiver geworden. Was aber ein Problem bleibt sind die Schüler, die keinen vernünftigen Schulabschluss schaffen, die bleiben übrig.
Wie funktioniert das Miteinander im Karo? Welche Kinder und Jugendlichen kommen?
Der größte Teil unserer Besucher geht zur Real-, Haupt- oder Gesamtschule. Gymnasiasten kommen in den Sommerferien und den projektorientierten Angeboten. Außerdem sind ganz verschiedene Kulturen hier vertreten: Deutsche, Russen, Türken, Kurden, junge Menschen aus Syrien oder Afghanistan. Alle Kulturen können sich hier in einem geschützten Raum begegnen. Es muss aber natürlich Regeln geben. Da bemerke ich bei den Jugendlichen eine hohe Akzeptanz. Das kennen wir auch von Anfang an hier im Karo – vor 20 Jahren haben wir auch eine wilde Mischung gehabt, damals kamen die Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien.
20 Jahre alt: Ist das Karo denn nun erwachsen geworden?
Nein, das will und darf es nie werden. Kinder und Jugendliche bringen einfach Lebendigkeit mit, sind auch mal durchgeknallt. Deswegen muss auch das Karo immer ein bisschen durchgeknallt bleiben. Mit dem ganz normalen Wahnsinn täglich umzugehen – dieser Drang muss auch bei allen Mitarbeitern bleiben. Ein Jugendzentrum darf nicht quadratisch, praktisch, normal sein.
Geburtstagsfeier mit Konzerten und Tag der offenen Tür
Zwischen 50 und 100 Kinder und Jugendliche besuchen im Schnitt täglich das städtische Jugendzentrum Karo, Herzogenring 12.
Die Jugendeinrichtung feiert in diesen Tagen Geburtstag: Dazu gehört auch das Konzert am heutigen Samstag, 22. September, 19 Uhr von Tim Vantol & Band, Malojian und Fox and Bones. Dafür gibt es noch Karten an der Abendkasse für 20 Euro).
Am Sonntag, 23. September, gibt es von 13 bis 18 Uhr einen Tag der offenen Tür. Bürgermeisterin Ulrike Westkamp wird um 15 Uhr ein Grußwort sprechen.