Xanten. Vor genau 75 Jahren wurde Xanten durch die Alliierten im zweiten Weltkrieg bombardiert. Dabei wurden insgesamt 85 Prozent der Stadt zerstört.

Am heutigen 10. Februar ist es genau 75 Jahre her, dass die Stadt im Zweiten Weltkrieg bombardiert wurde. Vom 10. bis zum 21. Februar 1945 flogen die Alliierten eine Welle von Luftangriffen auf die Domstadt. Nach diesen elf Tagen waren schätzungsweise 85 Prozent der Stadt zerstört. Doch warum wurde sie überhaupt zur Zielscheibe? Für den Historiker Ralph Trost, der seine Dissertation über Xanten im Nationalsozialismus schrieb, ist die Sache klar: „Xanten war ein strategisches Hindernis – die letzte Bastion vor dem Mythos Rhein.“

In den Köpfen der Alliierten, so Trost, war ein Überqueren des Rheins gleichbedeutend mit dem Sieg über Nazideutschland und die Schwelle zum Ende des Krieges. Am 8. Februar wurde der Niederrhein zum Kampfgebiet: Artilleriefeuer, das bis nach Xanten zu hören war, kündigte den baldigen Angriff der Alliierten an. An diesem Tag hatten britische Truppen bei Nijmegen die heutige deutsch-niederländische Grenzen überquert und das Feuer auf Kleve und Emmerich eröffnet. Der Startschuss für die Operation „Veritable“. Gleichzeitig rückten amerikanische Soldaten bei Roermond weiter auf deutsches Gebiet vor. Die Strategie: In einer Zangenbewegung die Gegenwehr der Wehrmacht zu brechen, um vor Xanten gemeinsam den einzigen verbliebenen Rheinübergang zu nutzen: die Eisenbahnbrücke bei Wesel.

Brücke sollte gehalten werden

Adolf Hitler persönlich hatte der Wehrmacht befohlen, diese Brücke zu halten. Nicht etwa, um der linksrheinischen Bevölkerung eine Flucht ins Reichsinnere zu ermöglichen, sondern um den nahtlosen Transport von Kohle an die Ostfront zu gewährleisten – zu einem Zeitpunkt, als der Krieg längst verloren war, erklärt Trost. General Alfred Schlemm errichtete einen großen Verteidigungsring mit Luftabwehr-Stellungen, Panzern und Bodentruppen. Einen – wie es militärisch heißt – Brückenkopf von Bislich über Xanten und Alpen bis nach Rheinberg mit einem Aufgebot von 100.000 Mann, größtenteils Fallschirmjägern, besonders hartgesottene Führergetreue. „Wir wissen heute, dass nicht nur Soldaten, sondern auch unzählige Zivilisten und Städte durch den Führerbefehl in den letzten Kriegsmonaten am Niederrhein geopfert wurden“, sagt Trost. Die linksrheinischen Städte hätten viel früher evakuiert werden müssen, es sei bekannt gewesen, dass feindliche Truppen im Anmarsch waren.

Eine Million Soldaten rückte vor

Die britisch-kanadische Armee zählte 500.000 Mann, genauso viele Amerikaner rückten aus Süden vor, kamen aber nur langsam voran: Die Briten waren auf sich allein gestellt, mussten Proviant, Waffen und Munition transportieren, während die Wehrmacht Nachschub aus dem Ruhrgebiet bekam. „Der Februar war nasskalt“, erklärt Trost, „die Panzer hätten sich im schlammigen Untergrund festgefahren.“ So mussten die Briten befestigte Straßen oder Bahntrassen nutzen. Nach Wesel gab es für sie nur wenige Wege, sie liefen über Xanten: die heutige B 57 von Kleve über Marienbaum und die parallel verlaufende Reichsbahn sowie die Boxteler Bahn, die – von den Niederlanden kommend – entlang des Uedemer Hochwalds über Xanten nach Wesel verlief.

Auf alten Karten des kanadischen Militärs sind vermutete Artilleriestellungen der Wehrmacht eingezeichnet. Demnach glaubten die Alliierten, dass die Wehrmacht in Xanten stationiert war. Also wurden Luftangriffe geflogen, auch die Bunker am Markt und am Fürstenberg attackiert. Ein übliches Vorgehen: Das Gebiet säubern, damit die Bodentruppen vorrücken können. Die Informationen stellten sich als falsch heraus, Hunderte Zivilisten, die in der Stadt ausgeharrt hatten, kamen um. „Viele wollten, dass der Krieg vorbeigeht. Bei einer Flucht ins Reichsinnere hätte er sie verfolgt“, sagt Trost. Spätestens am 21. Februar waren kaum mehr Zivilisten, nun aber tatsächlich deutsche Soldaten in der Stadt, die sich hierhin zurückgezogen hatten. So erfolgte ein weiterer Angriff, der weite Teile Xantens endgültig in Schutt und Asche legte. Dabei wurde der Dom offenbar nur zum Ziel, weil Soldaten den Nordturm als Spähposten nutzten. Eine Bombe sprengte die Stellung am 10. Februar. Am 21. Februar fiel der Nordturm vollends. Erschütterungen im Umfeld hatten ihn einstürzen lassen. Danach kam es an der Stadtgrenze zu letzten Gefechten, ehe die Deutschen auf die rechte Rheinseite flüchteten. Von dort beschossen sie die Stadt später selbst.

Als die Alliierten am 24. März den Rhein mit einer Schwimmbrücke überquerten, beobachtete Großbritanniens Premier Winston Churchill das Spektakel vom Fürstenberg. Er war gekommen, um den Sieg zu erleben. Die Weseler Brücke wurde am 10. März auf Befehl von General Schlemm doch noch gesprengt.