Oberhausen. Zwischen nervtötend und bewunderswert irrlichtert die Premiere von Joël Pommerats „Ich zittere“: Ein großer Schauspieler-Abend für Klaus Zwick.
Während der Erfolgs-Intendanz von Kathrin Mädler am Theater Oberhausen gab‘s wohl noch keine Produktion, die so ausdauernd - und so gewollt - zwischen nervtötend und bewunderswert irrlichterte wie Joël Pommerats „Ich zittere“ (in Klammern mit „1 und 2“ untertitelt, dabei sind‘s 110 ziemlich rasante und pausenlose Minuten). Im Programmbuch zur ausklingenden „Herzland“-Spielzeit war das Werk des 61-Jährigen aus der zentralfranzösischen Auvergne noch als „eine Art Cabaret“ angekündigt, doch davon blieb eigentlich nur die zwischen verquast-komisch und zu Herzen rührende Figur des Conférenciers im blauen Glitzeranzug: Ihr sollte Klaus Zwick den ganzen Facettenreichtum seiner Kunst aufprägen.
Doch bis man diesen schlussendlich wie Dracula in den Sarg sinkenden Untoten so richtig liebgewonnen hatte, waren zunächst einige Inszenierungs-Qualen aus Wolfgang Menardis speziellem „Regietheater der Grausamkeit“ zu überstehen. Und zwar schon bevor im Großen Haus das Spiel überhaupt begonnen hatte. Denn bereits während des Einlasses zuckten immer wieder grellweiße Stroboskop-Blitze zu synthetisch knatterndem Maschinenlärm: Mit derlei Methoden dürfte die CIA ihren Gefangenen den Schlaf rauben; als Theaterbesucher möchte man so nicht willkommen geheißen werden.
Doch Menardi scheint das brachiale Aufzucken von Lichtern und Lärm für den Regieeinfall schlechthin zu halten - und überdosiert nach Kräften. Einem gesetzteren Abo-Publikum müsste man vor dieser Strapaze eigentlich einige Trainings-Abende in einschlägigen Hardcore-Discotheken empfehlen. Und dann gibt auch noch der überaus sprunghafte Text Joël Pommerats einige Steilvorlagen für Verrisse. So sollte man selbst die beste Schauspielerin nicht schon während der ersten Minuten über „diese Kunstkacke“ fluchen lassen, während sie in Glitzerkleid und auf hohen Absätzen abzurutschen droht: Man könnte geneigt sein, ihr recht zu geben.
Als hätte Düsterrocker Nick Cave die „Muppet Show“ übernommen
Anke Fonfereks deftige Verwünschungen galten allerdings einem wahrlich spektakulären Bühnenbild. Mirjam Stängl schuf eine runde Spielfläche wie eine gewaltige Schallplatte, die in der Mitte geknickt und nach oben gebogen wurde: Hier wird das Ensemble mehr noch als zu Bewegungskünstlern schon fast zu Alpinisten. Und aus dem nicht einsehbaren Loch in der Mitte brodelt unheilvolles Licht. Dies ist der Schauplatz für ein krasses Unterwelt-„Cabaret“, das in seinen bizarrsten Momenten so wirkt, als hätte Düsterrocker Nick Cave für eine Folge die „Muppet Show“ übernommen.
Schließlich kreist die Show auf einer mit ihr dauerkreiselnden Drehbühne um den angekündigten Tod des Conférenciers, dessen jede Bewegung in etlichen Szenen zwei schattenhafte „Doubles“ reproduzieren. Wollte man den blassroten Faden in den meist nur durch Stroboskoplicht-Gewitter „verbundenen“ Szenen erkennen, wäre es wohl das altgediente Paradoxon: „Gibt es ein Leben vor dem Tod?“
Düster-Cabaret „Ich zittere“ gewinnt mit den märchenhaften Momenten
Zunächst anstrengend bemüht, in der zweiten Hälfte dann immer anrührender umkreist Pommerats Szenenfolge ihr makabres Thema. Da ist Anke Fonferek als jene Intellektuelle, die in die Fabrik ans Fließband hinabsteigt, um sich von der Maschine verstümmeln zu lassen - und Regina Leenders, die als ihre vernachlässigte Tochter diese Moritat erzählt. Ob Joël Pommerat, der „Ich zittere“ vor immerhin schon 20 Jahren für das berühmte Festival von Avignon mit seiner Schauspieltruppe ersann, diesen schaurigen Reigen wohl mit reichlich kleckerndem Kunstblut ins Bild setzte?
Wolfgang Menardis deutsche Erstaufführung bleibt in diesem Sinne diskreter: Seine Schocks sind allein Licht und Lärm, aber davon reichlich. Dabei sind es die verhaltenen, märchenhaften Momente, mit denen „Ich zittere“ schließlich sein Publikum gewinnt. Das gilt für Khalil Fahed Aassy als tieftraurig verstummender „Mann, der nicht existierte“. Es gilt für Siryel Elina Chtioui als Meerjungfrau, die für den Geliebten ihre glitzernde Flosse - und ihre Stimme - hergibt und sich nun als Wesen mit zwei Beinen an Krücken mühen muss. Doch der Conférencier, ein ruchloser Romantiker, hat es sich anders überlegt.
„Ich mag es, dass meine Geschichten unwahrscheinlich, verdreht sind“, ist so ein Bonmot von Joël Pommerat über sein Theater. Die Weigerung der Zeitgenossen, für ihre Taten und Worte einzustehen, prägt leitmotivisch die Nummernfolge von „Ich zittere“. Zu der zählt auch die schaurige Farce eines Strafprozesses, in dem ölig grinsende „Pate“ (Oliver El-Fayoumy) alle Fäden in der Hand hält.
Klaus Zwick als Conférencier bleibt nur der wortreiche Abgang in den schon von einer bunten Trauergemeinde belagerten Sarg - und ein sprunghaftes Wiederauferstehen als der am vernehmlichsten gefeierte Akteur dieses grellbunten Düsterabends.
„Ich zittere“ auch in der kommenden Spielzeit als Wiederaufnahme
Das Theater Oberhausen zeigt „Ich zittere“ im Juni am Freitag, 7., Samstag, 15., Mittwoch, 19., und Samstag, 29., jeweils um 19.30 Uhr im Großen Haus. Zudem ist es für die kommende Spielzeit ab Oktober als Wiederaufnahme angekündigt.
Karten von 11 bis 23 Euro gibt‘s an der Theaterkasse, 0208 8578 184, online theater-oberhausen.de