Oberhausen. Ein Bühnenereignis: Die Uraufführung von Asja Krsmanovićs „Sauer“ am Theater Oberhausen ist eine große Ensemble-Leistung.
Für das eintretende Publikum hat das Theater Oberhausen einen ganz speziellen Bühnennebel im Studio verbreitet: Nicht als dicke, rauchige Wolken sondern als feiner feuchtwarmer Dunst dimmt er die Sicht auf die noch leere Bühne. Das Ensemble hört man dazu chorisch vom Band raunen: Man wage es ja kaum auszusprechen, aber ob es nicht besser wäre, wenn Oma nicht mehr lebte? Der dezent-unheilvolle Ton weicht in dieser Uraufführung von Asja Krsmanovićs Familiendrama „Sauer“ allerdings vom Start weg einem ungleich raueren Räsonieren. Und die dumpfe Luft aus der Einkoch-Küche klären krachend zuckende Wort-Gewitter: Ein großes Schauspiel-Ereignis, das ohne großen Kulissenzauber auskommt.
Regisseur Niko Eleftheriadis verzichtet schlau darauf, Gebirge aus Einmachgläsern zum Bühnenbild aufzutürmen: Der asymetrisch eingerichtete Studio-Raum mit drei kleineren, versetzten Zuschauertribünen und großen Projektionswänden bietet genügend Schauwerte. Zumal Bühnen- und Kostümbildnerin Heike Mondschein statt einer trauten Familie eine kleine Armee antreten lässt: in Khaki-Uniformen, die Haare streng zurückgegelt. Wie auf dem Appellplatz richtet sich dieser Stoßtrupp unter den Spot-Lichtern aus - und giftet los. Während die Mutter (Anke Fonferek) als Kommandeurin des alljährlichen Gemüse-Einlege-Rituals mit kaltem Schmiss ihre Schwiegertochter (Ronja Oppelt) niedermacht, meint man für Momente sogar, die Maske habe dieser Schreckensgestalt ein winziges Hitler-Bärtchen verpasst. Ist aber nur ein fieser Schatten.
Die Lacher über diesen furiosen Schlagabtausch zur Eröffnung lassen neben Verunsicherung auch Vorfreude anklingen: auf einen mit Verve dargebotenen großen Schauspiel-Abend. Das ist nicht zuviel erwartet - obwohl der Regisseur und Videofilmer nach diesem ersten Aufmarsch die nächste Szene an die beiden Filmleinwände weitergibt: Hier sieht man auch die Wohnküche mit der verwirrten Oma (Anna Polke) im wuchtigen Ledersessel, während am großen Tisch das Gemüse geschnippelt wird. Gebotene Distanz zum Quasi-Naturalismus schafft die Bearbeitung der Filmbilder im Zeichentrickstil des alten „Zack“-Comicmagazins: Die mühsam gebändigte Wut und Verzweiflung einer pflegenden Mutter im kühlen Look von „Mondbasis Alpha 1“.
Den Enkel ekeln der Vorratskeller und das Einkoch-Ritual
Als demente Großmutter mit manchmal erschütternd lichten Momenten spielt Anna Polke eine Kette von kleinen Explosionen: Aus dem Dämmer brechen Schimpfkanonaden in einer derart groben Sprache, dass sie selbst ihre pflegenden Kinder nicht einfach überhören können. Torsten Bauer als ihr Sohn spielt die in Asja Krsmanovićs Drama am kniffligsten einzuschätzende Figur: Beim Aufmarsch ein gehässiger Zyniker, zeigt er nach und nach tiefe Verletztheit. Tim Weckenbrock als sein Neffe und einziger Enkel der nun schon lange geistig abwesenden Partriarchin ist das „Muttersöhnchen“: Ihn ekeln der Vorratskeller und die Regalmeter mit sauer Eingelegtem - und doch schleppt er Jahr für Jahr sich und seine Frau zum Einkoch-Ritual.
Das junge Paar in „Sauer“ hat in seinem Aufbegehren gegen eine übermächtige, einander in Abneigung verbundene Familie einige Ähnlichkeit mit den Rollen von Maggie und Brick in Tennessee Williams‘ „Katze auf dem heißen Blechdach“ - vor allem mit Blick auf die bösen Pointen des ersten Aktes. Doch die junge bosnische Autorin, die ihrem Text „diese herzegowinische Schärfe“ attestiert, zeigt nicht einen einzelnen zum Zerreißen gespannten Familien-Abend, sondern ein fünffaches Déjà-vu mit entscheidenden Variationen.
„Sauer“: Zum Schluss spricht der Chor der Einmachgläser
In jedem Akt offenbart sich ein Verlust. Erfährt in der ersten Szene die Mutter, dass die Schwiegertochter ihr ungeborenes Kind verloren hat, so fehlen in den nächsten Akten: der Bruder, der Sohn, die Mutter, die junge Ehefrau. Und aus den mit Gusto aufs Tapet geknallten Wutreden wird mehr und mehr eine nuanciertere Reflexion über Endlichkeit. „Ich liebe meine Figuren als Autorin“, sagt Asja Krsmanović im Interview des Programmheftes, „weil ich weiß, dass ihre Aussagen nur ein Schutz vor ihrer Verwundbarkeit sind.“
Zum Schluss spricht das Ensemble als Chor - jedoch nicht der Verstorbenen, sondern der im Keller vergessenen Einmachgläser. Sie beklagen ihr Schicksal: von Unbekannten in Einkaufstüten gestopft und auf der Müllhalde entsorgt zu sein. Zum großen Applaus verneigt sich die verkrachte „Familie“ gemeinsam vor ihrem Publikum: Schließlich war‘s eine überragende Ensemble-Leistung.
Nur fünf „Sauer“-Termine im April und Mai
Die zweite Vorstellung von „Sauer“ folgt bereits am Samstag, 13. April, um 19.30 Uhr im Studio am Will-Quadflieg-Platz. Weitere Termine sind Sonntag, 28. April, um 18 Uhr sowie im Mai am Mittwoch, 8., Samstag, 18., und Samstag, 25.
Karten zu 15 Euro, ermäßigt 5 Euro, gibt‘s bei der Theaterkasse, 0208 8578 184, per Mail an service@theater-oberhausen.de