Oberhausen. Kapazitätskrise: Die Suche nach Intensivbetten für Schwerstkranke gerät in Oberhausen und der gesamten Region zum Glücksspiel.

Dieser Engpass kann für Patientinnen und Patienten bedrohlich werden: Die Situation auf den Intensivstationen hat sich erneut zugespitzt. In Oberhausen sind nur noch zwei Intensivbetten frei, 40 sind belegt (Stand: 19. März 2024, 13.07 Uhr). Das verrät ein Blick ins Divi-Intensivregister des Robert Koch-Instituts (RKI), das die freien Betten auf den Intensivstationen festhält. Burkard Völker hat erlebt, was das im Notfall bedeuten kann.

Mit einem Mal war er da, der Bluterguss in Burkard Völkers Wade – und er wurde immer größer. „Ich weiß beim besten Willen nicht, wo ich mir den geholt habe“, erzählt der 59-Jährige rückblickend. Dass da in seinem Bein aber irgendetwas so gar nicht in Ordnung war, war dem Oberhausener schnell klar. Der Hausarzt schickte ihn zum Gefäßspezialisten, der Facharzt leitete ihn gleich an die Notambulanz des gegenüberliegenden Evangelischen Krankenhauses weiter. „Um 11.15 Uhr kam ich dort an.“

Lange warten musste er nicht. „Ärzte und Pflegepersonal waren wirklich top.“ Alle nötigen Untersuchungen hatte er bald hinter sich und mit ihnen auch das Ergebnis. „Der Bluterguss war durch ein gerissenes Gefäß entstanden und musste noch an diesem Tag entfernt werden, denn er wuchs immer weiter und drohte, Adern abzuklemmen.“ Es bestand Gefahr für sein Bein. Die Chirurgen des EKO hätten ihm zur Not-Operation geraten. Und damit begann das eigentliche Problem.

Auch die Krankenhäuser in der Umgebung winken ab

„Denn im EKO war kein Intensivbett mehr frei, das Ärzte- und Pflegeteam setzte sich aber sofort für mich ans Telefon.“ Die Drähte liefen heiß, das Ergebnis war ernüchternd: „Es gab in ganz Oberhausen kein einziges freies Intensivbett.“ Auch aus den Krankenhäusern in der Umgebung hieß es: „Keine Kapazitäten mehr.“ Erst am Abend zeichnete sich eine Lösung ab: „Einem Patienten im EKO ging es besser, er durfte die Intensivstation verlassen.“ Um 20.30 Uhr des gleichen Tages lag Burkard Völker auf dem OP-Tisch.

Fehlende Ärzte und Pflegekräfte führen immer wieder dazu, dass Krankenhäuser Betten abmelden müssen – auch auf den Intensivstationen. (Symbolbild)
Fehlende Ärzte und Pflegekräfte führen immer wieder dazu, dass Krankenhäuser Betten abmelden müssen – auch auf den Intensivstationen. (Symbolbild) © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Trotz der kritischen Situation fühlte er sich im EKO stets gut aufgehoben. „Denn alle signalisierten mir, dass sie sofort eingreifen würden, wenn es erforderlich ist – und für mich im Falle des Falles eine Notlösung im eigenen Haus schaffen würden.“ Zum Glück war dies nicht nötig. Dreimal musste Burkard Völker im EKO schließlich operiert werden. „Alles verlief problemlos. Ich bin dem gesamten Team dort wirklich sehr, sehr dankbar. Sie haben mein Bein gerettet!“

Burkard Völker ist selbst gelernter Krankenpfleger, viele Jahre davon hat er auf einer Intensivstation gearbeitet. Inzwischen ist der Oberhausener als Pflegeberater tätig und er weiß: „Hier wurde Unmögliches möglich gemacht.“ Aber er meint auch: „Zu solchen Situationen darf es gar nicht kommen, die Krankenhäuser baden gerade aus, was in der Politik durch eine chronische Unterfinanzierung vermasselt worden ist.“

Auch im EKO ist die Intensivstation fast immer voll ausgelastet

Das Evangelische Krankenhaus Oberhausen äußert sich aus Datenschutzgründen zwar nicht zu dem konkreten Fall, bestätigt aber allgemein: „Die Erwachsenen-Intensivstation im Evangelischen Krankenhaus Oberhausen (EKO) ist regelhaft voll ausgelastet. An manchen Tagen müssen Betten aufgrund von Ausfällen des pflegerischen und ärztlichen Personals gesperrt werden, um eine optimale Versorgung jeder einzelnen Patientin und jedes einzelnen Patienten zu gewährleisten, um die Vorgaben der Pflegepersonaluntergrenzen zu erfüllen.“

Die Versorgung von Notfällen bleibe im EKO immer gewährleistet, unabhängig davon, wie ausgelastet die Intensivstation sei, betont eine Krankenhaussprecherin. Notfälle würden nie abgewiesen, „sie werden immer untersucht und versorgt“. Gegebenenfalls müsse eine Patientin oder ein Patient dann zur weiteren Versorgung in ein anderes Krankenhaus verlegt werden.

Bis zu 50.000 Vollzeitkräfte fehlen bundesweit in der Intensivpflege

Tatsächlich ist das eigentliche Problem in fast allen Krankenhäusern nicht allein die Anzahl der Betten auf den Intensivstationen, sondern eher der sich seit Jahren verschärfende erhebliche Personalmangel. Bereits im Oktober 2022 veröffentlichte die Hans Böckler Stiftung (Forschungseinrichtung des Deutschen Gewerkschaftsbundes) dieses alarmierende Studienergebnis: „Bundesweit fehlen bis zu 50.000 Vollzeitkräfte in der Intensivpflege der Krankenhäuser. Eine einfache Lösung des Problems ist nicht in Sicht. Gerade deshalb muss die Politik in Bund und Ländern endlich handeln.“

Viel getan hat sich seitdem offensichtlich dennoch nicht. Die Lage in der gesamten Region bleibt auch vor dem Hintergrund einer noch immer anhaltenden Infektionswelle angespannt. In Mülheim sind laut Divi-Intensivregister derzeit (Stand: 19. März 2024, 13.07 Uhr) alle 34 Intensivbetten belegt, in Essen sind noch sechs Betten frei (105 belegt), in Gelsenkirchen fünf (55 belegt). Als problematisch gilt bereits ein freier Bettenanteil auf den Intensivstationen von nur noch 15 Prozent. Alle genannten Nachbarstädte liegen unter zehn Prozent, Oberhausen sogar schon bei knapp fünf Prozent. Werden Patienten auf eine normale Station verlegt, kann sich die Lage auch innerhalb eines Tages zwar rasch wieder ändern. Experten bemängeln allerdings, dass es immer häufiger und länger zu Engpässen kommt. Zuletzt waren die Kinder-Intensivstationen erneut besonders stark betroffen.

Angesichts dieser Entwicklung bleibt nur zu hoffen, dass die Teams aller Krankenhäuser sich genauso engagiert für ihre Patientinnen und Patienten einsetzen, wie im Evangelischen Krankenhaus Oberhausen. Denn schon jetzt scheint es für Schwerstkranke nach einem Unfall, mit einem Schlaganfall oder mit einem Herzinfarkt eher ein Glücksspiel zu sein, ob sie im nahen Umkreis auf einer Intensivstation noch angemessen behandelt werden können – oder erst auch noch lange Transportwege in Kauf nehmen müssen.

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