Oberhausen. Nur noch acht freie Plätze für Schwerstkranke in der Stadt. Die Lage in den Krankenhäusern vor Ort spitzt sich zu.

Der Rettungssanitäter ist verzweifelt: „Mal sehen, wohin wir Sie bringen können! Wenn wir Pech haben, müssen wir, so wie in der letzten Woche, wieder bis nach Bad Oeynhausen fahren – alle Krankenhäuser im näheren Umkreis sind dicht.“ Passiert ist dieser Vorfall vor wenigen Tagen in einer Nachbarstadt. Betroffen ein Patient kurz vorm Lungenversagen. Ein Alptraum. Ein Blick ins Divi-Intensivregister des Robert Koch-Instituts (RKI), das die freien Betten auf den Intensivstationen festhält, bestätigt: Die Zeichen in NRW stehen auf Rot. Es gibt kaum noch freie Betten für Schwerstkranke. Auch in Oberhausen?

In Nordrhein-Westfalen melden die Krankenhäuser insgesamt nur noch 8,99 Prozent oder insgesamt 326 freie Intensivplätze (Stand: 21. Februar 2024, 9.30 Uhr). Normalerweise schrillen bei zehn Prozent die Alarmglocken. Doch was bedeutet das? Auf der Homepage des RKI heißt es dazu: „Auf einer Intensivstation mit Akutversorgung wird stets eine gewisse Anzahl an freien Betten benötigt, um Notfälle wie Herzinfarkte oder Unfallopfer schnell und adäquat intensivmedizinisch versorgen zu können.“ Im Durchschnitt verfügt eine Intensivstation über zehn bis zwölf Betten. Zehn Prozent entspricht damit nur noch einem freien Bett im Intensivbereich, „das für die Behandlung eines Schlaganfalls, eines Herzinfarkts, eines Unfallopfers, eines Traumas sowie für einen Covid-19-Fall zur Verfügung steht“. Ist dieses Bett nicht frei, kann der nächste Notfall über die vorgeschriebene Erstversorgung hinaus nicht mehr ortsnah weiterbehandelt werden. Dann benötigen die Rettungsdienste manchmal sogar Stunden, um Patienten sogar weit über die Stadtgrenzen hinaus unterzubringen.

Dr. Simone Laporte ist Fachärztin für Notfallmedizin, Innere Medizin, Kardiologie und Sportmedizin und leitet die Zentrale Notaufnahme an der Helios St. Elisabeth Klinik in Oberhausen. Foto: Helios
Dr. Simone Laporte ist Fachärztin für Notfallmedizin, Innere Medizin, Kardiologie und Sportmedizin und leitet die Zentrale Notaufnahme an der Helios St. Elisabeth Klinik in Oberhausen. Foto: Helios © WAZ

Als problematisch gilt bereits ein freier Bettenanteil von unter 15 Prozent und genau diesen Wert hat Oberhausen soeben erreicht (21. Februar 2024, 9.30 Uhr). Laut Divi-Register gibt es 50 Intensivplätze in unserer Stadt. Frei sind davon nur noch acht. Dr. Michael Reindl, Leitender Notarzt der Stadt Oberhausen und Chefarzt der Klinik für Akut- und Notfallmedizin im Ameos Klinikum St. Clemens, weiß: „Die Belastung der Krankenhäuser in Oberhausen ist ähnlich hoch wie in allen anderen Teilen NRW`s.“ Die Verfügbarkeit von Intensivbetten sei eingeschränkt. Immerhin: „Wir gewähren aber stets eine Erstversorgung.“ Auch eine umfassende Diagnostik werde in der Ameos-Klinik für Akut- und Notfallmedizin immer durchgeführt. Danach aber könne es tatsächlich zu Verlegungen kommen, entweder aus Platzgründen oder weil ein anderes Krankenhaus eine spezialisierte Fachabteilung vorhält. Seit Anfang Dezember 2023 bis zum 6. Februar 2024 sei es bei Ameos bei rund 30 Patienten zu einer Weiterverlegung gekommen.

Notfälle werden immer behandelt

Auch die leitende Ärztin der Zentralen Notaufnahme an der Helios St. Elisabeth Klinik Oberhausen, Dr. Simone Laporte, bestätigt: Jeder Notfallpatient werde untersucht, versorgt und ambulant behandelt „oder – wenn notwendig – stationär zur weiteren Behandlung aufgenommen“. Niemand werde abgewiesen. „Das gilt auch unabhängig vom Meldestatus im IG.NRW Portal.“ In diesem Portal melden die Krankenhäuser für alle Stationen ihre freien Aufnahmekapazitäten. Steht im gesamten Haus (und eben nicht nur auf der Intensivstation) kein einziger Behandlungsplatz mehr zur Verfügung, melden sie sich dort ab. Selbst in solchen Fällen aber greift im akuten Notfall, bei Lebensgefahr, noch die Erstversorgungspflicht der Krankenhäuser.

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Allerdings sei auch die Lage in den Notambulanzen der Stadt zunehmend angespannt. Reindl macht dafür auch die jüngste Krankenhausreform mitverantwortlich. „Bei rund 120 Patientenkontakten am Tag im Ameos Klinikum St. Clemens, Tendenz steigend, sind die Auswirkungen auch in Oberhausen bereits deutlich zu spüren.“ Denn durch etliche Schließungen im stationären Bereich, wie im Essener Norden, und den Wegfall ambulanter Angebote, wie dem kinderärztlichen Notdienst in Mülheim, komme es längst zu einer Umverteilung von Patientenströmen, die die Einrichtungen in Oberhausen nun zusätzlich belasteten.

Engpässe auch im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin

Folge: „In den Wintermonaten kam es besonders zu Kapazitätsengpässen im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin“, weiß der Leitende Notarzt der Stadt. Auch dies sei und bleibe auch ein NRW-weites Problem. Für die kleinen Patientinnen und Patienten besonders schwierig zu verkraften: Es kam zu langstreckigen Verlegungen. „Die entsprechenden Kinderkliniken haben sich in Eigeninitiative sogar zu einem zentralen NRW-weiten Bettennachweis zusammengeschlossen, um Verlegungen von Bonn nach Bielefeld oder von Oberhausen nach Dortmund koordinieren zu können“, erläutert Reindl. (Die Schirmherrschaft dafür hat die Universitätsmedizin Essen und die Stiftung Kinderschutz NRW übernommen.)

Reindls düsteres Fazit: „Insgesamt kann festgehalten werden, dass insbesondere in der kalten Jahreshälfte die Anzahl an Notfallpatienten deutlich zunimmt, die Krankenhausreform die Situation in den Kliniken eher zusätzlich anspannt, statt entlastet und die Belastung für alle Patienten wie Personal deutlich angestiegen ist.“ Zumindest ein kleiner Lichtblick: Die Anzahl der Covid 19-Patientinnen und Patienten auf den Intensivstationen ist in Oberhausen auf knapp zwei Prozent gefallen.

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