Oberhausen. Maler Yury Kharchenko hat ein Atelier im Oberhausener Kunsthaus Haven. Mit 38 Jahren legt er bereits zum zweiten Mal eine üppige Werkschau vor.
Mit 38 Jahren als Maler bereits zum zweiten Mal eine üppige Werkschau vorlegen zu können - und dies bei Hirmer in München, einem der national und international führenden Fachverlage für Kunst - sollte Anlass geben zu berechtigtem Stolz. Doch die jüngsten Gemälde, die Yury Kharchenko auf seiner Internetseite präsentiert, zeigen eine in schwere Symbolik getränkte Kunst, die sich aus tiefer Verzweiflung empor kämpft: Mit Gemälden auf schwarzem Grund reagiert der in Moskau geborene, im Ruhrgebiet aufgewachsene Maler auf den Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023. Er habe hilflos geweint, sagt der Wahl-Berliner mit Atelier im Oberhausener Kunsthaus Haven. Seine Menora, der siebenarmige Leuchter als Symbol des Judentums, ist nur noch ein graues Schemen, kein strahlendes Licht - und droht vor der tiefen Schwärze des Bildgrundes zu verlöschen.
Die ersten Bilder des Bandes „Painting 2018 - 2023“ gemahnen auf ganz andere Weise, mit Stärke und Entschlossenheit, an die historischen Schrecken des 20. Jahrhunderts: Das Kapitel „Stars“ erzählt - zwischen etlichen Stillleben dicht übereinander gefügter Davidsterne - die Geschichte jener jüdischen Familie, die den ukrainischen Namen Kharchenko annahm, um verschont zu bleiben von dem auch in der Sowjetunion grassierenden Antisemitismus. Dabei gilt es den Unterschied zwischen David- und Sowjetsternen zu beachten: Denn der tiefrote Grund, auf den Yury Kharchenko das Porträt seines Urgroßvaters Abraham stellte, ist - mit Hammer und Sichel in der linken Ecke - sowohl Flaggentuch als auch Fanal: Dieser nach einem Passfoto porträtierte junge Mann ist im Gulag während der brutalen Stalin‘schen „Säuberungen“ umgekommen.
Seine beiden Großväter Arkadij und Michael zeigen Porträts dagegen als „Superhelden“ - und zwar ganz konkret in der blauen „Superman“-Kluft mit wehendem rotem Umhang. Beide hatten während des Zweiten Weltkriegs in der Roten Armee gekämpft, wie der junge Maler bewundernd schreibt, „um die Welt vom Nationalsozialismus zu befreien“. Die im Bildband neben diese Porträts platzierten Fotografien erscheinen sympathisch unheroisch - trotz der zahlreichen Orden, die Arkadij noch als 87-jähriger „Kontingentflüchtling“ im Ruhrgebiet angelegt hatte.
„Neue Deutlichkeit“ und Angst nach dem 7. Oktober
Heldentum und Gedenkkultur können bei diesem geschichtsbewussten jungen Maler nur in teils brachial gebrochener Form existieren: Selbst berufenen Essayisten der Kunstszene fällt es nicht leicht, die von Kharchenko in den letzten Jahren zusammen gezwungenen Bildzeichen der Auschwitz-Silhouette und davor posierender Comic-Heroen zu interpretieren. Von „einer neuen Deutlichkeit“ schreibt Kay Heymer, Kurator des Duisburger MKM Museum Küppersmühle, „mit der er bewusst macht, dass er nicht zurückweichen wird, dass er seine Existenz vehement und selbstbewusst behauptet.“ Den Großstadt-Alltag nach dem 7. Oktober bestimmt beim Künstler allerdings nicht Selbstbewusstsein, sondern Angst und Sorge um seine Familie: Würden jene, die auf der Straße die Verbrechen der Hamas feierten, ihm einen Stern an die Wohnungstür schmieren? Sollte er sich bewaffnen?
Mit einem Revolver hatte Yury Kharchenko vor sieben Jahren für eine vielteilige Bild-Installation posiert, als er dem Schicksal des 17-jährigen Attentäters Herschel Grynszpan nachforschte. Die fünf Schüsse des Verzweifelten in Paris lieferten dem NS-Regime 1938 den Vorwand für die Pogromnacht des 9. November. Für den Maler ist Herschel Grynszpan nicht nur ein „Held“, sondern Verwandtschaft. Und auch die grellen Comic-Heroen, wie den vor der Silhouette des Todes von Auschwitz-Birkenau kauernden Spiderman, waren einst in den 1930ern die Kreationen jüdischer Zeichner. Kunsthistoriker Kay Heymer verweist allerdings bei diesem Motiv auf noch viel ältere Quellen in der spätromantischen russischen Malerei: Yury Kharchenkos Gemälde nennt der Essayist „virtuos, das Vergnügen an seinen Bildern ist jedoch niemals von dem Umstand zu trennen, dass sie einen sehr ernsten Hintergrund haben.“
Respektvoll, aber eindringlich forschend sind die Grisaille-Porträts berühmter Jüdinnen und Juden, von Franz Kafka bis zu einem Bildnis von Amy Winehouse als Kind. Neben die beiden Porträts einer sehr „erwachsen“ wirkenden Anne Frank stellt der so überaus produktive Maler die Frage: „Was können nur diese Bilder bedeuten, woher kommt ihre Sinnlichkeit?“
„Schönheit umarmt Horror“ - so wirbt der Kunstbuch-Verlag
Mit dem Slogan „Schönheit umarmt Horror“ bewirbt der Hirmer Verlag den 300 Seiten starken Band mit 220 Abbildungen: „Yury Kharchenko. Painting 2018 - 2023“. Er kostet 49,90 Euro, erhältlich im Buchhandel, ISBN: 978-3-7774-4188-7.