Oberhausen. Wir haben kein extremes Hochwasser an der Ruhr - und trotzdem weichen Deiche wie in Oberhausen auf, müssen gestützt werden. Wie kann das sein?
Sie arbeiten in Matsch, Wasser und in der Kälte, sie arbeiten nachts und am Tag: Über 1000 Helferinnen und Helfer sind am Weihnachtswochenende aus halb Nordrhein-Westfalen in Oberhausen zusammengeströmt, um den Deich an der Ruhr mit Sandsäcken und Schutzmaterial zu retten, Privatleute wollen mithelfen und backen Kuchen für die Katastrophenschützer. Engagement, Verantwortungsgefühl, Tatkraft und Pflichtbewusstsein, um Anwohner vor der Überflutung mit dreckigem Ruhrwasser zu schützen - was zu Weihnachten im Oberhausener Süden zu beobachten war, ist eine Werbung für die Geisteshaltung vieler Menschen in Deutschland: Wir packen an, wir schaffen das, wir halten zusammen.
Doch leider war eine solche Rettungsaktion bereits zum zweiten Mal innerhalb von zweieinhalb Jahren notwendig, dabei haben wir diesmal an der Ruhr noch nicht einmal ein extremes Hochwasser, das bis an die Deichkrone und darüber reicht. Waren es im Sommer 2021 noch sieben Meter am Hattinger Ruhrpegel, so sind es in diesen Tagen in der Spitze gerade mal sechs Meter. Und trotzdem weicht der Ruhrdeich so stark auf, dass ein fast panikartig eilig angeordneter Ad-hoc-Masseneinsatz von Feuerwehr und THW notwendig war - wie bei irgendeiner völlig unabsehbaren, plötzlichen Katastrophe.
Es gibt keinen Mangel an Erkenntnissen, aber an Tatkraft
In diesem Fall gibt es aber gar kein Erkenntnisdefizit, nicht nur Fachleute wissen das: Der Ruhrdeich war schon im Sommer 2021 beim Jahrhunderthochwasser marode; Hochwasser-Ereignisse sind im Klimawandel die neue Gegenwart. In mehreren Analysewellen haben Experten dieses Landes in den 80er Jahren, in den 90er Jahren und zuletzt 2014 erfasst, dass ein guter Teil der Deichanlagen sanierungsbedürftig ist. Der vor zehn Jahren aufgelegte Sanierungsfahrplan des Landes für 47 Deiche ist allerdings gerade mal zu 13 Prozent abgearbeitet: Wenn wir in diesem Tempo weitermachen, dann sind wir erst nach drei Jahrzehnten damit fertig und können von vorne anfangen.
Wie ist es möglich, dass am Ruhrdeich unbemerkt 50 (!) Bäume über viele Jahre wachsen können, deren Wurzeln das Deichfundament zerstören? Wie ist es möglich, dass in Oberhausen eine Kuhherde den Deich zertrampeln kann? Wie ist es möglich, dass im Sommer 2021 der Ruhrdeich mit Sandsäcken mühsam gerettet werden musste - und seitdem nichts Entscheidendes passiert ist? Dabei beobachten doch mehrere, für den Steuerzahler äußerst teure Behörden den Ruhrdeich: die Stadtverwaltungen Mülheim und Oberhausen, die Bezirksregierung Düsseldorf, das NRW-Umweltministerium, der Essener Ruhrverband und das Duisburger Wasser- und Schifffahrtsamt.
Vorbild nehmen am Engagement von Katastrophenschützern
Wir Bürger sehen hier bei den Deichen eine ähnliche Misere wie bei Kanalbrücken, Straßen und Schienen: Es gibt viele Konzepte und Konferenzen, aber es fehlen Leute, die tatsächlich handeln. Beim Ruhrdeich muss jetzt genau analysiert werden, wer hier wo versagt hat - und dann heißt es: Ärmel hochkrempeln und arbeiten. Wie das geht, können sich die staatliche bezahlten Bediensteten in ihren warmen Büros und gemütlichen heimatlichen Arbeitszimmern bei ihren Kolleginnen und Kollegen des Katastrophenschutzes abschauen.
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