Oberhausen. „Zwei halbe Leben“ feiert am Theater Oberhausen Premiere. Gerburg Jahnke als Autorin vereint etwas Ostalgie mit unbändigem Redefluss.
Ergeben „Zwei halbe Leben“ kein ganzes? Ist die Summe der Lebenshälften aus Ost und West ungenügend? Eine bis hinters Komma austarierte Bilanz will Gerburg Jahnkes Schauspiel, untertitelt „Eine Reise auf die andere Seite der Mauer“ sicher nicht liefern. Aber in der Fülle der Anekdoten, mit Ingrimm gespielte Witze und einiger Lieder von ausgesucht doof bis bewegend ist dieser Abend ein Fest für einen großen Schauspieler, der selbst „zwei halbe Leben“ überblickt. Noch dazu ist Torsten Bauer geboren am 13. August 1961, dem Tag des Mauerbaus.
Die ihre Plätze auf der Studio-Tribüne einnehmenden Premierengäste begrüßt eine Bilderschau aus dem deutschen Wendejahr 1989: Trabi-Kolonnen im Flutlicht des plötzlich nur noch nutzlos dastehenden „antifaschistischen Schutzwalls“, dazu viele strahlende Gesichter, gekrönt von pudeligen Dauerwellen, andere bestückt mit Schnauzbärten wie aus dem Stummfilm-Fundus. Zum Glück geraten die fast anderthalb Stunden mit Torsten Bauer als „Hanna“ nicht zur Travestie-Nummer. Keine Perücke, kein grelles Make-up. Stattdessen begrüßt das Publikum eine flatterhafte Gastgeberin, etwas aufgeregt und überdreht, weil sie nicht so oft Besuch erwartet.
Und dieser Besuch soll auch bloß beim Packen behilflich sein. Denn die Jahre in München sind für die engagierte Erzieherin beendet: Hanna kehrt doch noch zurück zu ihrem Mann, dem sie jeweils für Wochen die Mahlzeiten eingetuppert hatte, der aber offensichtlich immer hilfsbedürftiger geworden ist. Auf der Bühne ist dieser Ex-Funktionär des Arbeiter-und-Bauern-Staates eine Abwesenheit, mit der sich Gerburg Jahnkes sonst so redefreudige Heldin nicht lange aufhalten mag. Dabei ist ihr fast jede Abschweifung recht - und sei es das bayrische Selbstverständnis als „Freistaat“: Muss Hanna etwa an der Landesgrenze ihren DDR-Pass vorzeigen?
Im Zweifelsfall hilft halt immer ein Witz - während 40 DDR-Jahren die kleinste oppositionelle Möglichkeit. Torsten Bauer wechselt bei diesen O-Tönen minimaler Ost-Subversion stets in schrilles Sächsisch (und man hofft, es ist mehr Karikatur als „Native Speech“). Der Dialekt funktioniert jedenfalls wie An- und Abführungszeichen: Für diese teils bizarren Abschweifungen ist nicht die Autorin verantwortlich.
Aufführung von „Zwei halbe Leben“: Viel enthüllender sind doch Kinderlieder
Dabei hat das Collagenhafte an Frau Jahnkes denn doch hörbar aus strenger Kabarett-Schule schöpfendem Text einen beträchtlichen Charme: Torsten Bauers Familiengeschichte ist natürlich eine sprudelnde Quelle, obwohl hier ausdrücklich keine biografische Erzählung dargeboten wird. Eine wichtige DDR-Zutat, allerdings sparsamer dosiert, sind die Lieder - und zwar eher nicht die kritische bis pseudokritische Lyrik des Ost-Rock. Viel enthüllender sind doch Kinderlieder, die das Lob des Volkspolizisten singen, oder von den Jungen Pionieren beim Altpapiersammeln.
Klar, hier kommt Peter Engelhardt ins Spiel: Als 1a-Gitarrist ist er mit den kleinen Coups nach Noten eigentlich unterfordert. Dafür gab ihm die Regisseurin, wohlvertraut aus etlichen Ebertbad-Produktionen, jetzt sogar einiges an Dialogtext. Und Engelhardt spielt als „Peter“, gelassen-zurückhaltend, aber punktgenau mit. Gemeinsam baut man die Phalanx aus Emaille-Töpfchen. Schließlich war die prompte Erziehung zur „Stubenreinheit“ der ganze Berufsstolz der Erzieherin in ihrer Kinderkrippe. Gemeinsam blickt man ins alte Fotoalbum - und das Publikum sieht als Projektionen putzige Bilder der kleinen Töpfchenhocker und jenen heute wie Tristesse wirkenden Fortschritt des Plattenbaus.
Einen bitteren Moment liefert das Stichwort „Hoyerswerda“. Dort ist Torsten Bauer aufgewachsen. 1991 ruinierte die Arbeiterstadt, entstanden am Standort eines Braunkohlekombinats, ihren Ruf durch Angriffe auf die Wohnungen afrikanischer und vietnamesischer Vertragsarbeiter. Hanna, damals schon Berlinerin, rechtfertigt nichts, aber sie kann sich die unmenschliche Wut der von der Wende Enttäuschten erklären.
Ein „Vagina-Monolog“ wie aus der Muppets-Show
Doch das garstig politische Lied dominiert nicht den Ton dieses Lebensrückblicks, der eher abgeklärt bis amüsiert zwei sehr unterschiedliche Traditionen des Feminismus‘ erhellt. Die schärfste Szene liefert denn auch das Stichwort der „Vagina-Monologe“, einst ein Skandalerfolg der New Yorker Bühnenautorin Eve Ensler. Torsten Bauer spielte mit einem aus pinkem Satin genähten Modell der Schamlippen, als wär‘s eine Muppets-Handpuppe, die Jim Henson sich nie getraut hätte. Dazu eine zündende Rede über Emanzipation im ach so libertären München - und drüben. Diese Szene hätte, wäre sie denn dort platziert gewesen, das überaus ernste „Paragraph 218“-Dokudrama der vorigen Spielzeit gerockt.
Gleiches gilt für Nina Hagens „Unbeschreiblich weiblich“ - vom vortrefflichen Sänger Torsten Bauer mal nicht punkig dargeboten, sondern (weder sächselnd noch berlinernd) als herbe Ballade: „Marlene hatte andere Pläne /
Simone Beauvoir sagt: Gott bewahr! / Und vor dem ersten Kinderschreien / muss ich mich erstmal selbst befrei‘n“. Fürwahr ein Befreiungsschlag, für den sich Bauer, Jahnke und ihr Dreamteam gehörig feiern lassen durften.
Theater Oberhausen: Tickets werden schon knapp
Tickets für die Aufführungen im Rest-Jahr werden schon knapp. Karten zu 15 Euro, ermäßigt 5 Euro gibt es noch für die fünf Termine im Dezember – und zwar am Samstag, 2.12., Mittwoch, 13.12., Samstag, 16.12., Donnerstag, 21.12., und Donnerstag, 28.12, jeweils um 19.30 Uhr im Studio.
Infos beim Kartentelefon des Theaters Oberhausen, 0208 85 78 184 oder per Mail an service@theater-oberhausen.de.