Oberhausen. Für die große Jahresausstellung im weißen Europahaus kommt aktuell nur eine Farbe infrage. Doch das Weiß ist teils blutig bekleckert.
Nein, die Aktiven der Galerie KiR beteuern glaubhaft, diese zündende Idee nicht aus der Theaterbar geklaut zu haben. Obwohl dort in dieser Saison immer mal wieder Yasmina Rezas „Kunst“ auf dem Spielplan steht. Drei Freunde zerstreiten sich fast bis zur Handgreiflichkeit, weil einer ein weißes Gemälde gekauft hat. Weiß auf Weiß: Eine solche Arbeit lässt sich unter den 36 Werken im Europahaus tatsächlich bewundern - und sie überzeugt, im schwarzen Rahmen, als fein strukturiertes Relief. Iris Schnaitmann nennt ihr Material-Gemälde „Wunderbar entspanntes Weiß“ - doch ganz so wohlig kommen längst nicht alle Exponate der 15 KiR-Künstlerinnen und 10 Künstler der Kunstinitiative Ruhr daher.
„Die Farbe Weiß“, das schlichte Motto der großen Jahresausstellung, zu sehen vom 3. Dezember bis 28. Januar 2024, sorgt jedenfalls für einen Coup im sonst so bunten Ausstellungsgeschehen an der Elsässer Straße 21. Erst jetzt fällt auch auf, dass selbst das Galerie-eigene Klavier weiß lackiert ist . . . Etymologen verweisen beim Wort „weiß“ auf die altdeutschen Begriffe für „leuchten und glänzen“. Beides lässt sich an den Exponaten wunderbar nachvollziehen. Da ist die nachdenklich in ihrem sinkenden Kahn hockende „Mutter Erde“ von Klaus Reimer. Der Bildhauer beließ dem weißen Marmor seinen natürlichen Glimmer - und gibt damit selbst dem Untergang einen Hauch von Glamour.
Im Schaufenster: Schachbretter mit Schneelandschaften
Die Natur beschwören auch die größten Gemälde dieser Ausstellung ganz in Weiß: Sei es das dramatisch aufwogende Gewölk von Judith Pasquale, sei‘s die (in den Alpen dramatisch dahinschwindende) Gletscherlandschaft von Karl-Heinz Schlüßler. Selbst aus dem Dunkel der Tiefsee sorgt Weiß für Leuchtkraft, jedenfalls im Gemälde der auf Meereslebewesen spezialisierten Marayle Küpper.
Zeitdiagnose auf der kleinen Fläche zweier Schachbretter leistet Alfred Grimm mit seinen schneebestäubten und eisig glltzernden Objektbildern im KiR-Schaufenster. Durch das erste Schachbrett pflügt eine womöglich transsibirische Eisenbahn, das zweite zeigt einen von Figuren umstellten Eisbären. Der Titel dieses an das Artensterben gemahnenden Mementos: „Vereiste Stellung“.
Wem das schon martialisch vorkommt, der dürfte angesichts Frank Gebauers‘ Lebensbilanz geschockt sein: Er spannt seine 60 Jahre zwischen zwei Bluttaten: „Dallas 1963“ zeigt ein rot beflecktes Oberhemd, weiß überstrichen. Bei „Gaza 2023“ formen die roten Kleckse die Silhouette Israels auf einer weißen Landkarte. Andere Kreative verbildlichen lieber, anspielungsreich, aber auch harmloser, den gängigen Begriff „weiße Weste“: So heißt zum einen das von Dagmar Gärtner in einen Rahmen gehängte Herrentextil, zum anderen eine Plastik von Georg Overkamp: Diese Weste zeigt sich zwar äußerlich persilweiß, das Innenfutter allerdings dekorierte der Künstler mit einem Gruselkabinett unserer Umweltsünden.
Weiß liefert der Kunst viel mehr als bissige Pointen
Welche skulpturale Wirkung dagegen „echt weißes“ Weiß als elegant drapierter Stoff entfalten kann, zeigt eindrucksvoll das Foto von Tanja Jürgensen, einem starken Neuzugang bei der Kunstinititative Ruhr. So strahlt Weiß auch in dieser Ausstellung als leuchtendes Zeichen der Harmonie. Und wer wissen will, ob sich Yasmina Rezas „Kunst“-Experten je wieder versöhnen, der erlebt die Aufklärung am 3. und 27. Dezember in der Theaterbar - und könnte vergleichend bei KiR bestaunen, dass sich mit der Farbe Weiß noch viel mehr anstellen lässt, als einige bissige Pointen ins Publikum zu feuern.
>>> Die Öffnungszeiten
Die Ausstellung, „Die Farbe Weiß“, eröffnet am Sonntag, 3. Dezember um 17 Uhr, in der Galerie KiR, Elsässer Straße 21, und bleibt dort bis zum 28. Januar 2024 zu sehen, geöffnet mittwochs und freitags von 17 bis 19.30 Uhr, sonntags von 16 bis 19 Uhr.